Hugo Wietholz – ein Diakon des Rauhen Hauses – Autobiographie. Jürgen Ruszkowski

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Hugo Wietholz – ein Diakon des Rauhen Hauses – Autobiographie - Jürgen Ruszkowski

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unterernährt. Bei meiner Schwester wirkte sich die Rachitis so aus, dass sie erst sehr spät laufen lernte. Wer war der Leidtragende? Der Bruder musste sie in der Karre spazieren fahren. Manchmal wurde mir das zu dumm. Ich kippte die Karre um, Mariechen lag mit großem Geschrei auf dem Erdboden. Mutter kam in Windeseile angerannt und schimpfte: „Der Bengel ist zu nichts zu gebrauchen.“ Ich aber war frei vom Ausfahren und konnte mit meinen Freunden spielen. Wir hatten etliche Spiele, je nach Jahreszeit. Oft wurde Kriegen gespielt rund um den Häuserblock Knauerstraße – Schrammsweg – Kellinghusenstraße - Goernestraße und zum Anschlagmal wieder zur Knauerstraße. Dann gab es Kreiselspiel und Messersteck. Langeweile kannten wir nicht.

      Am 9. November 1918 war Kriegsschluss. Bei uns in der Goernestraße liefen Matrosen herum und schossen. Wir haben uns versteckt, bis der Aufstand vorbei war. Der deutsche Kaiser musste abdanken und ging mit großem Gepäck nach Holland. Wir Kinder sangen damals oft: „O, Tannenbaum, der Kaiser hat in`n Sack gehau’n.“

      In Versailles wurden Friedensbedingungen ausgehandelt. Die Franzosen kannten kein Pardon gegen Deutschland, der Hass war groß. In den damaligen Bedingungen (8% von Deutschland wurde abgetrennt, Reparationen in unglaublicher Höhe, Danzig als Freistaat mit einem Korridor durch Polen) lag schon der Keim eines neuen Krieges. Was politisch so um uns herum vorging, war uns schnuppe. Wir hatten unsere Kinderwelt. Wir ärgerten die Uddels (Polizisten) beim Ausmachen der Laternen und waren im Herbst oft an der Planke des Bürgermeisterparks und klauten die Birnen vom Spalier.

      In der Schule fiel der Unterricht oft wegen Kohlenmangel aus. Unser Hunger war meist nicht zu stillen. Mutter gab uns dann eine Scheibe Steckrüben, damit unser Betteln aufhörte. Zu der Zeit kümmerte sich ein Judenkomitee um Bedürftige. Eine Dame kam öfter zu uns und brachte Kleidung. Wir bekamen jeden Tag Lebertran.

      1919 gab es eine Schulspeisung, die von den Quäkern, einer religiösen Gruppe aus Amerika, durchgeführt wurde. Sie war nur für ganz besonders bedürftige Kinder gedacht. Weil wir angeblich nicht dazu gehörten, standen wir oft an der Tür, wo das Essen ausgegeben wurde, in der Hoffnung auch etwas zu bekommen. Einmal in der Woche gab es Schokoladensuppe und Weißbrot. Wenn wir Glück hatten, durften wir die Milchkannen auskratzen, da war immer noch allerlei drin.

      Die Geldentwertung nahm immer mehr zu, es war alles sehr teuer geworden. Vater, der wieder bei seiner Firma angefangen hatte zu arbeiten, musste sich beeilen, wenn er sein Geld bekam, damit sofort etwas dafür gekauft wurde, sonst war es schon wieder wertlos. Ab und zu gab es im Angebot auch Pferdefleisch. Um etwas davon zu ergattern, wurde ich schon morgens um 5 Uhr in Marsch gesetzt. Ich musste mich dann in die Schlange der Wartenden einreihen, hatte Glück, bekam ein Stück Beinfleisch, und wir alle freuten uns. Mutter konnte nun endlich eine Suppe kochen, wo mehr (Fett-) Augen heraus als hinein schauten.

      Sonntags ging ich mit meiner Schwester zur Sonntagsschule, die in einem Gartenhaus gehalten wurde. Das Haus gehörte den Guttemplern und steht heute noch. Die Frauen in der Sonntagsschule gaben sich viel Mühe, uns die biblischen Geschichten und die Lieder beizubringen.

      An einem Sonntag machten wir mit ihnen einen Ausflug nach Rissen. Immer aber musste ich auf meine Schwester aufpassen, die mir mit ihrem Geplärre oft auf den Keks ging. Ich hatte in diesem Alter um 10 nichts im Sinn mit Mädchen, es hätte sie gar nicht zu geben brauchen.

      Im Herbst, wenn der Sturm die Bäume geschüttelt hatte und viele Äste auf der Erde lagen, ging Mutter mit uns und einem leeren Kinderwagen los, um Holz zu sammeln. Das Brennholz war knapp. Wir mussten oft bis zum Borsteler Moor mitmarschieren. Uns gegenüber befand sich die Badeanstalt in der Kellinghusenstraße. Dort wurde Koks angeliefert. Die Wagen wurden scharf bewacht, so dass es nicht möglich war, Koksstücke zu ergattern. Wenn aber die Asche auf die Straße geschüttet wurde, um dort später abgeholt zu werden, waren wir Kinder eifrig dabei, die kleinen unverbrannten Koksstücke heraus zu klauben. Es kam allerlei zusammen, um damit zu heizen, und Mutter freute sich, wir hatten eine warme Stube. Langsam besserte sich die Versorgungslage. Wir konnten öfter Pferdefleisch erstehen.

      Die Großen hatten so viel zu erzählen. Als man einmal bei den Kriegserlebnissen ankam, sagte mein Vater zu mir: „Sollte es noch einmal dazu kommen, nimm das Gewehr und haue es ihnen um die Ohren.“ Ja, wer ahnte damals wohl, dass der Rummel in 20 Jahren wieder los gehen würde.

      In Europa wütete eine Grippeepidemie, die viele Millionen Menschen dahin raffte. Auch unsere Mutter wurde furchtbar geplagt von dieser Krankheit und wir fürchteten, sie könnte ihr erliegen. Wie froh waren wir, dass sie diese Krankheit überstand.

      1919 war in Hamburg der Aufstand der Spartakus-Kommunisten. Bei dem Kampf gegen die Polizei, die für Ordnung sorgen sollte, kamen auch viele Polizisten ums Leben. Wir Kinder erlebten den langen Trauerzug mit den Särgen, an der Kellinghusenstraße. Wir waren schockiert über das Bild, das sich uns dort bot. Diese Toten liegen in Ohlsdorf bei der Blutbuche, als Mahnung an den Blutsonntag.

      Ich konnte eine Laufstelle in der Eppendorfer Landstraße ergattern. Es war das Wild- und Geflügelgeschäft von Witthoeft. Morgens musste ich mit einer Karre voller Eisblöcke zu den Kunden fahren. In einem Eimer wurden aus jedem Block kleine Eisstücke geschlagen, die dann in den Haushalten gebraucht wurden, um in dem mit Zink ausgeschlagenen Eisschrank die Speisen zu kühlen. Diese Tätigkeit konnte ich aber nur in den großen Ferien ausführen. Nach dem Eisaustragen, waren dann die bestellten Pakete mit Wild oder Geflügel zu den Kunden zu bringen. Oft bereiteten wir das Geflügel vor zum Einfrieren und fuhren damit zum Kühlhaus in der Kampstraße. War das aber kalt da drinnen, ich war immer froh, wieder draußen zu sein. Auf dieser Laufstelle bin ich gern gewesen. Ich sah, wie die Hühner zurecht gemacht wurden oder wie das verschiedene Wildbret zerkleinert wurde. Oft gab es auch ein gutes Stück mit zum Essen. Ich glaube, der Konfirmandenunterricht machte dieser Stelle später ein Ende.

      Ich machte oft einen Besuch in der Bankstraße. Dort hatte mein Großvater in einem Keller seine Klempnerwerkstatt. Manchmal bettelte ich um eine Taschenlampenbatterie, die er mir auch gern gab. Mein Vater war in dieser schlimmen Zeit der Geldentwertung hier bei seinem Vater in Lohn und Brot. Die Großmutter bewohnte mit den meisten Kindern in der Bankstraße eine große Wohnung.

      Wenn meine Eltern uns am Sonntag mal los sein wollten, gab es ein paar Groschen, und wir durften zur Kindervorstellung ins Kino. Ein Kino war in der Alsterdorferstraße, ein anderes in der Straße Im Tale. Meistens waren es Indianerfilme, die wir sahen. Während der Vorstellung klimperte ein Mann am Klavier, denn den Tonfilm gab es noch nicht. Abends übte ich fleißig auf der Mundharmonika, bis ich das erste Lied spielen konnte: „An der Saale hellem Strande...“

      Ich bastelte einen Kaninchenstall, den bald ein Kaninchen bewohnte. Jetzt musste jeden Tag für Futter gesorgt werden. Was zuerst nur Spaß machte, nun aber in Arbeit ausartete, wurde zur Last. Der Käfig stand auf dem Dachboden und musste ja auch sauber gehalten werden. Das ging dann doch nicht lange gut. Das Tier wurde geschlachtet aber ich konnte kein Stück davon essen.

      Dann kam eine Zeit, wo wir Jungen alles mögliche bastelten. Beliebt waren Flugzeuge mit Propeller, die mit einem Gummiband aufgezogen wurden. Unsere Fertigkeit im Bau von Doppeldeckern war erstaunlich. Zwei Unfälle musste ich verzeichnen. Einmal glitt mir beim Schnitzen das Messer aus und fuhr in den Daumen, so tief, dass man die Stelle heute noch sehen kann. Beim Basteln kann man ja allerlei Dinge gebrauchen, so fand ich eines Tages irgendwo eine Patrone. Wahrscheinlich hatte Vater sie als Andenken mitgebracht. Ich wollte sie für mein Flugzeug gebrauchen. An der Patrone befand sich ein Stift, wahrscheinlich der Zünder, wovon ich aber keine Ahnung hatte. Dieser Stift störte mich. Also ging ich zum Hauklotz, der neben dem Herd stand, um das Holz zu zerkleinern. Dort arbeitete ich ja auch sonst mit meinen Schnitzereien. Nun wollte ich hier den Stift aus der Patrone entfernen. Der aber rührte sich nicht. Ich, so blöd wie ich war, nahm das Ding in den Mund und versuchte den Stift mit den

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