Der Mensch - eine Fehlkonstruktion?. Anton Weiß

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Der Mensch - eine Fehlkonstruktion? - Anton Weiß

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dass es mittels der Ratio über sich und seine Welt verfügen kann und auch soll. Dabei kann es guten Glaubens sein und nach seinen besten Kräften das Gute wollen, es kann sogar Gottes Hilfe anflehen, damit ihm das, was er sich vornimmt, gelingen möge, aber es ist immer das Ich, das im Mittelpunkt des Denkens und Handelns steht.

      „Machet euch die Erde untertan“ – das ist keine göttliche Offenbarung, sondern es ist die Erfahrung des Menschen, der sich in seinem Ich-Sein erlebt und glaubt, dass das mit dem Ich-Sein verbundene Herrschaftsgefühl auch gottgewollt ist. Es ist eben der Naturfahrplan der Selbsterhaltung, sich alles gefügig zu machen, das heißt sich über alles zu stellen und nach seinen Wünschen und Vorstellungen zu gestalten. Der Mensch herrscht über die Natur. Aber auch der Mann herrscht über die Frau – das ist im Christentum genau so grundgelegt wie im Islam oder Judentum -, die Frau über das Kind, der Clan über den einzelnen, der Staat über seine Bürger. Wer sich mächtig fühlt, stellt sich über jene, die schwächer sind. Aber immer, wo Menschen über Menschen herrschen, entsteht in einem kürzeren oder längeren Zeitraum ein Aufbegehren der Unterdrückten, das zu Veränderung und Revolte führt. Aber es ändern sich immer nur äußere Verhältnisse und nicht die Grundstruktur, die Ursache dieser Verhältnisse ist - das Ich. Denn auch der, der die Verhältnisse ändern möchte, will es deshalb, damit seinem Ich mehr Freiraum ermöglicht wird. Und damit drehen sich alle Veränderungen immer im Kreis, jede veränderte gesellschaftliche Situation muss wieder geändert werden, weil sich herausstellt, dass sich nur die Seiten gewechselt haben, dass, wer unten war, jetzt oben ist. Damit haben sich nur die Rollen vertauscht, an der Struktur des Menschen hat sich nichts geändert. Und so ist es nur eine Frage der Zeit, bis es wieder zum Aufbegehren der jetzt neu Unterdrückten kommt. Solange die Vorherrschaft des Ichs nicht gebrochen wird, ändert sich in der Geschichte nichts. Diese Veränderung aber kann nur im Einzelnen geschehen, und es ist ein Kreuzweg, den der Einzelne gehen muss, und niemand kann es ihm abnehmen oder stellvertretend für ihn leisten. Der Weg führt durch das Feuer des Todes des eigenen Ichs, so wie es im Kreuzestod Jesu oder im Phönix aus der Asche, im Durchschreiten und Durchleiden der Unterwelt oder im Kampf um Leben und Tod mit dem Drachen symbolisch dargestellt ist. Die Menschheit hat immer schon in Mythen und Märchen den Kampf geschildert und daher davon gewusst, welche enorme Auseinandersetzung erforderlich ist, um über sein Ich hinaus zu gelangen, es zu überschreiten, zu transzendieren.

      Seit der Aufklärung gibt es immer wieder Menschen, die überzeugt sind, dass man diese Machtstrukturen der Herrschaft von Menschen über Menschen aufbrechen und beseitigen können müsste. Sie glauben, dass es mit Hilfe der menschlichen Vernunft möglich sein müsste, zu einem friedlichen, gleichberechtigten Zusammenleben der Menschen ohne Herrschaftsverhältnisse zu gelangen. Was sie nicht sehen, ist die Tatsache des Ichs, das im Zentrum dieses Bemühens steht und sich damit selbst im Wege steht, denn das Ich setzt sich immer an die erste Stelle. Und so lange es nicht gelingt, die Ich-Struktur zu durchbrechen, was immer nur einem Einzelnen möglich ist und größten moralischen Einsatz verlangt, so lange ändert sich nichts im Verhalten der Menschen zu einander. Es sind nur schöne Ideen, bei deren Verwirklichung auch diejenigen scheitern, die von diesen Ideen überzeugt sind. Sie scheitern an ihrem Ich, das viel fundamentaler das Leben bestimmt als die Einsicht und die Ratio.

      Wir glauben, das Leben mit Hilfe unseres Verstandes in den Griff bekommen zu können und merken gar nicht, dass wir uns dadurch über und gegen das Leben stellen. Das Leben ist aber mehr als wir, es war vor uns und wird nach uns sein. Es ist das, woraus alles kommt. Aber wir sind mit diesem Gang des Lebens nicht zufrieden und wollen unser eigenes Leben gestalten. Wir machen uns Gedanken und stellen Überlegungen an, wie wir das Leben nach unseren Vorstellungen und Wünschen gestalten wollen, sei es im persönlichen, sei es im politischen Leben. Und diese Vorstellungen kollidieren mit den Vorstellungen anderer Menschen, und dadurch kommt es unweigerlich zu Konflikten. Diese Tendenz des Menschen, das Leben nach seinen Vorstellungen zu gestalten hat als Kristallisationspunkt das Ich. Von seinem Ichsein her glaubt der Mensch sein Leben nach seinem Wollen und mit Hilfe seines Verstandes meistern zu können und kollidiert dabei mit den Gesetzen der Natur und den Wünschen, Vorstellungen und Interessen der anderen Menschen.

      Konflikt mit der Wirklichkeit

      Wir glauben, mit Verstand und unserer Tatkraft unser Leben in die von uns gewünschten Bahnen lenken zu können, und das wird einfach der Wirklichkeit nicht gerecht. Die Realität des Lebens ist so viel umfassender als dass sie vom Ich – gekennzeichnet durch Verstand und Willen – in den Griff zu bekommen wäre. Aber genau das versuchen wir in allen Bereichen des Lebens, sei es in der Technik, der Wirtschaft oder in den Beziehungen, sowohl den persönlichen als auch der Völker. Und das ist zum Scheitern verurteilt. 2008 haben wir so augenscheinlich erlebt, wie der Finanzmarkt genau durch dieses Denken, alles beherrschen zu können, zusammengebrochen ist. Boaz Weinstein erläutert in der Süddeutschen Zeitung (SZ) vom 07.02.09, wie Banker arbeiten. Sie bedienen sich komplizierter mathematischer – also höchst rationaler - Modelle, in die die Wahrscheinlichkeiten aller denkbaren Ereignisse eingehen, bis ins Kleinste ausgetüftelt in der Überzeugung, damit jedes Risiko vermeiden zu können. Dennoch ging es schief, weil Unvorhergesehenes passierte, nämlich dass Lehmann Brothers pleite ging. Das brach den großen Banken das Genick. Die mathematische Berechnung ist die Rationalität, der Zusammenbruch von Lehmann ist das Leben. Das Leben ist immer unberechenbar, es ist immer neu und immer anders als von der Ratio berechnet und geplant; es sind immer viel mehr Faktoren beteiligt, als es vom Verstand her zu erfassen ist. Dabei wäre das Unvorhergesehene sogar zu sehen gewesen, wenn man zur Kenntnis genommen hätte, dass irgendwann die Immobilienblase platzen musste.

      Von der Vernunft her glauben wir Frieden schaffen zu können. Vernunft kommt von vernehmen. Wir vernehmen die Möglichkeit zu Frieden, aber im konkreten Leben spielen immer andere Faktoren eine Rolle, eben der konkrete Mensch in seinem Ich-Sein. In der Realität befindet sich der Mensch im Ich, d. h. maßgebend sind für ihn das Bestimmtsein durch Art- und Selbsterhaltungstrieb. Solange er das nicht transzendiert hat, ist er diesen Bedingungen unterworfen und damit unfähig zu Frieden. Dem, was er von der Vernunft her für wünschens- und erstrebenswert hält, wird von seinem konkreten Menschsein her Prügel zwischen die Füße geworfen.

      Im konkreten Leben spielen immer viel mehr Faktoren eine Rolle, als dass sie vom Verstand der beteiligten Menschen in Rechnung gestellt werden könnten.

      Man braucht nur nach Afghanistan zu schauen und sich mit den Gegebenheiten zu beschäftigen – eine sehr hilfreiche Lektüre ist Can Mereys Buch „Die afghanische Misere“ – um zu begreifen, dass es an der konkreten Wirklichkeit des Menschen, an seinen Bedingtheiten und Lebensvorstellungen liegt, dass es Friede nicht geben kann. Wer kann die Paschtunen von ihrem Stammesdenken abbringen, was ja nur vom westlichen demokratisch geprägten Denken her wünschenswert ist? Wer ist berechtigt, anderen seine Vorstellungen vom Leben aufzuzwingen? Der Westen selbst hat Jahrhunderte gebraucht, um die Demokratie als die beste aller schlechten politischen Ordnungen zu verstehen – welche Auswirkungen es hat, wenn anderen Völkern Demokratie übergestülpt wird, ohne dass sie gewachsen ist, sieht man doch in Afrika. Das ist typisch vom Verstand her gedacht, ohne die Lebenswirklichkeit, in der die Menschen stehen, zu berücksichtigen. Faktoren, die den konkreten Menschen ausmachen, sind seine persönlichen Bedingtheiten, seine Überzeugungen, seine Erziehung, sein Charakter, seine Abstammung, seine Zugehörigkeit zu einer bestimmten Volkgruppe. Der Mensch ist durch diese Faktoren bestimmt, und sie sind ihm weitgehend nicht bewusst.

      Thomas Steinfeld behandelt das in der SZ vom 14.02.09 im Zusammenhang mit der Fatwa gegen Salman Rushdie. Er sieht ganz klar, dass der Westen, um den intoleranten Islamismus zu bekämpfen, selbst zu intoleranten Mitteln greift. „Die westlichen Werte (Freiheit und Demokratie - d. Verf.), auf die man sich zur Abwehr des Angriffs beruft, sind selbst keineswegs frei von Dogmatismus.“ Man „bildet sich also selbst nach dem Feind, dem man doch eigentlich hatte widerstehen wollen. So landet man in einem heillosen Widerspruch.“ „Denn wie viel ist die Freiheit wert, wenn sie mit Zwang einhergeht, wie viel der Pluralismus, wenn er oktroyiert ist?“ Man müsse ein Bewusstsein

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