Der Mensch - eine Fehlkonstruktion?. Anton Weiß
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Daran sind aber das Christentum genau so gescheitert wie der Kommunismus, und auch die Demokratie wird daran scheitern, wie die Finanzkrise gezeigt hat, die durch ihre Gier jetzt notwendige Beschränkungen durch den Staat erzwingt, was die kapitalistische Gesellschaft in Richtung Sozialismus drängt. Denn das Ego des Menschen denkt nur an seinen persönlichen Vorteil. Alle Versuche in der Geschichte, das kapitalistische Ich zu entthronen, haben versagt. Weder dem Christentum noch dem Kommunismus ist es gelungen, den Menschen aus seiner Ich-Verhaftetheit herauszuholen. Und auch der Demokratie wird es nicht gelingen und sie wird am Ich des Menschen scheitern. Demokratie ist genau so eine gute Idee wie Kommunismus und Christentum. Demokratie will die optimale Entfaltung des Einzelnen, der Kommunismus will die Gemeinschaft und das Christentum will beides. Und alle scheitern an der gleichen Gegebenheit: der Existenz des Menschen im Ich!
An dieser Ich-Haltung ist z. B. auch das Gesundheitswesen gescheitert: Ein Denken, wie es viele Menschen hatten, dass sie genügend Beiträge zahlen und deshalb das Recht hätten, auch die Leistungen in Anspruch zu nehmen – z. B. auf Kuren zu gehen, sich wahllos Medikamente verschreiben zu lassen, zu verschiedensten Ärzten zu gehen und wiederholt die gleichen aufwendigen und kostenintensiven Untersuchungen durchführen zu lassen -, hat das Kassensystem zum Zusammenbruch gebracht. Milliardensummen von ungenutzten Medikamenten liegen in den Schränken der Bevölkerung. Nur ein Bruchteil der Röntgenaufnahmen sind wirklich sinnvoll; soeben wurde nachgewiesen, dass eine Endoskopie des Knies bei Arthrose überhaupt nichts bringt. Vernünftiges und verantwortliches Handeln wäre es, wenn jeder nur dann die Leistungen in Anspruch nimmt, wenn er sie wirklich braucht. Nur so funktioniert ein Versicherungswesen, und so sind auch die Beiträge berechnet. Der egoistische Missbrauch brachte die Krankenversicherung zum Zusammenbruch. Und jetzt begehren Patienten und Ärzte auf und schimpfen auf die böse Ministerin und keiner will die Hintergründe – den früheren Missbrauch - sehen, die solch einschneidende Maßnahmen notwendig gemacht haben.
C. G. Jung führt diese Diskrepanz zwischen unserem rationalen Bewusstsein und den irrationalen Antrieben darauf zurück, dass durch das Eindringen des Christentums der barbarische Polytheismus zu plötzlich gestoppt und unterdrückt wurde. „Unsere geistige Existenz wurde in etwas verwandelt, was sie noch nicht erreicht hatte und im Grunde genommen noch nicht sein konnte. Und dies ließ sich nur bewerkstelligen durch eine Dissoziation zwischen dem bewussten Teil der Psyche und dem unbewussten. Es war eine Befreiung des Bewusstseins von der Last der Irrationalität und Triebhaftigkeit auf Kosten der Ganzheit des Individuums. Der Mensch wurde in eine bewusste und unbewusste Persönlichkeit aufgespaltet. … So wurden wir einerseits höchst diszipliniert, organisiert und rational, die andere Seite aber blieb ein unterdrückter Primitiver, abgeschnitten von Erziehung und Kultur“ (Jung, Bd. 10, 577). Und dieser „unterdrückte Primitive“ ist es, der uns immer in die Quere kommt Es ist der unkultivierte Art- und Selbsterhaltungstrieb der Natur, der sich deshalb immer wieder bemerkbar macht, weil er von der Ratio ignoriert und in seiner Mächtigkeit nicht ernst genommen wird. Darin besteht ja die Spaltung in die vom Bewusstsein beherrschte rationale Welt und die autonome Welt der irrationalen Antriebe. Und solange sich das rationale Bewusstsein weigert, sich mit dieser irrationalen, unbewussten Welt, der Nachtseite des Menschen, dem Schatten, auseinander zu setzen, solange wird sich nichts ändern.
Ob Jung mit der Ursache – dem abrupten Herausgerissen werden aus dem barbarischen Polytheismus durch das Eindringen des Christentums – recht hat, bezweifle ich, denn der Bericht vom Sündenfall im Alten Testament, der schon in vorchristlicher Zeit um 1000 v. Chr. formuliert wurde, nennt den gleichen Sachverhalt: Die Menschen aßen vom Baum der Erkenntnis, was den Sündenfall zur Folge hatte; die rationale Bewusstheit wird also als Unglück angesehen. Menschwerdung beginnt mit der Bewusstwerdung; es als Sündenfall anzusehen macht nur Sinn, wenn Bewusstwerdung aufs engste mit dem Ich-Sein in Zusammenhang steht. Das Ich wird zum Zentrum des menschlichen Bewusstseins. Nicht das Bewusstsein ist verhängnisvoll, sondern dass das Ich des Menschen sich ins Zentrum dieses Bewusstseins stellt. Es ist aber nur Zentrum des Bewusstseins, nicht des ganzen Menschen! Der Mensch ist viel umfassender als nur der Teil, der ihm bewusst ist. Und darin liegt das Problem, dass sich der Mensch mit seinem Bewusstsein identifiziert, d. h. mit seiner Rationalität und seinem bewussten Wollen und sich damit als Mittelpunkt seines Lebens sieht. Er ist aber viel mehr; es gehört all das zu ihm als Mensch, was er von sich wegschiebt, abdrängt und wovon er nichts wissen will: seiner triebhaften Natur, seiner Irrationalität, seinem Schatten, mit einem Wort: seinem unbewussten Aspekt. Das Ich ist Zentrum des Bewusstseins, glaubt aber Zentrum seines Menschseins zu sein. Das Zentrum seines umfassenden Menschseins aber, zu dem der gesamte Bereich des Unbewussten gehört, ist von ganz anderer Qualität und wird von C. G. Jung als Selbst bezeichnet, von anderen Denkern oder Denkrichtungen als Wesen, Wesenskern oder wahres Sein des Menschen.
Erst die Auseinandersetzung mit seinem Ich und seinen unbewussten Antrieben, was eine ungeheuere Anstrengung, großes Leid und Schmerzen bedeutet, könnte dazu führen, dass das Ich transzendiert wird. Aber gerade in der heutigen Zeit, wo alles leicht gehen muss, wo kaum einer bereit ist, Leid und Schmerz zu ertragen, sehe ich überhaupt keine Chance dazu.
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