Die weitere Geschichte des Rauhen Hauses von 1939 bis 2018. Jürgen Ruszkowski
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Bilder aus den 1950er Jahren
Die Brüder Martin Schlage, Ulrich Carmesin
und Volkmar Lange spielen Blockflöte
Brüder als Posaunenbläser
Kai Antholz (Mitte mit Klampfe) gründet eine Jugendgruppe der ‚Jungen Gemeinde’.
Der Junge rechts neben ihm wird später ein prominenter SPD-Außenpolitiker.
Karsten Voigt wurde am 11. April 1941 in Elmshorn geboren. Er studierte von 1960 bis 1969 Geschichte, Germanistik und Skandlinavistik in Hamburg, Kopenhagen und Frankfurt. Von 1969 bis 1972 war er Bundesvorsitzender der Jusos. 1976 wurde Voigt erstmals in den Bundestag gewählt. Von 1983 bis 1998 war er außenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion. Seit 1999 ist Voigt Koordinator für olie deutsch-amerikanische Zusammenarbeit. Karsten Voigt ist verheiratet und hat einen Sohn.
Jungen der Schönburg singend
Jungen des Rauhen Hauses spielen mit der Modelleisenbahn
Im Wichernsaal fand um 1966 täglich eine Andacht statt,
in der Regel von einem der Brüder mit Ansprache gehalten.
Erziehungsarbeit in den 1950er Jahren
Der Herausgeber dieses Buches schreibt in sein Tagebuch:
3. Juni 1955, 23 h: „Stellungswechsel. Ich bin gerade damit fertig, meine Sachen einzuräumen. Soeben bin ich umgezogen. Ab sofort habe ich im Erziehungsdienst zu arbeiten. Meine neue Wirkungsstätte ist die Familie „Kastanie oben“.
Bruder Walter Mahnke übernimmt die Familie ‚Kastanie oben’. Er ist ein recht reifer Mensch, macht seinen „Job“ sehr gut und mit vollem Einsatz, ist pedantisch genau und gerecht und genießt bei den Jungen eine natürliche Autorität.
Im Haus ‚Kastanie’ sammelte er seine ersten Erfahrungen als Erzieher.
Einen guten Einblick in den Alltag des Erziehungsdienstes gibt ein Aufsatz, den der Herausgeber dieses Bandes am 9. September 1955 im Deutschunterricht unter dem vorgegebenen Thema schreibt:
Meine Aufgabe als Erziehungsgehilfe
bei der Arbeit in einer Jungenfamilie des Rauhen Hauses
Als Diakonenschüler des Rauhen Hauses stehe ich neben meiner theoretischen Ausbildung in der praktischen Arbeit als Erziehungsgehilfe. In einer Schülerfamilie betreue ich mit zwei anderen Diakonenschülern, die ‚Brüder’ genannt werden, 19 Jungen im Alter von 12 bis 15 Jahren. – Was bedeutet ‚Familie’? In der natürlichen Familie sind die besten Erziehungsmöglichkeiten gegeben. Wir versuchen, diese Familie so gut wie möglich zu ersetzen. Es wird uns wohl nicht ganz gelingen; denn uns fehlen ja der Vater und die Mutter. Ein junger Erzieher von ca. 25 Jahren kann auch schlecht den Vater bei dreizehnjährigen Jungen ersetzen. Deshalb soll er den älteren Bruder der Jungen darstellen. Die ganze Jungengruppe zusammen mit den Erziehern bildet so unsere Familie. Das kommt auch darin zum Ausdruck, dass wir Erzieher mit den Jungen zusammen essen, zusammen mit ihnen in einem Zimmer schlafen, überhaupt das ganze Leben gewissermaßen mit ihnen teilen. – Wir bewohnen mit unserer Familie eines der vier Häuser, die den Bombenangriff im letzten Kriege überstanden haben. Es ist also ein älteres Haus, das Haus ‚Kastanie’. Im oberen Stockwerk stehen uns 9 Räume zur Verfügung. Sieben davon werden von den Jungen bewohnt. In jedem Zimmer stehen zwei bis vier Betten. – Man kann bei unseren Jungen nicht von ‚schwer erziehbaren’ sprechen, aber doch werden in den meisten Fällen die Eltern nicht mit ihnen fertig und schicken sie dann zu uns. Bei vielen leben die Eltern in Scheidung oder auch getrennt und vertrauen uns ihre Kinder an. Die Jungen besuchen teils die Volks-, teils die Oberschule. Die kleinsten in unserer Familie sind im 6., die ältesten im 9. Schuljahr. – Was ist nun meine Aufgabe in dieser Familie? Ein älterer Bruder, der im letzten Ausbildungsjahr steht, ist bei uns Familienleiter. Mit einem anderen Bruder zusammen stehe ich ihm als Gehilfe in seiner Arbeit zur Seite. Wir haben uns die anfallende Arbeit aufgeteilt, so dass jeder von uns seine Aufgaben hat. Der Familienleiter hat natürlich die Verantwortung für alles und daher auf alles zu achten. Er hat uns Gehilfen sozusagen von seiner Arbeit etwas abgegeben. So kümmert sich der zweite Gehilfe, der schulisch etwas mehr vorgebildet ist, als ich, um die Schularbeiten der Jungen und hat nebenbei noch einige andere kleine Aufgaben. Ich habe für die Aufsicht beim Spielen sowie für die Fluraufsicht aufzukommen und bin für die Sauberkeit und Ordnung verantwortlich. So muss ich zum Beispiel prüfen, ob die Jungen morgens ihr Hausgeschäft ordentlich erledigen, muss die Ordnung in den Zimmern und den Schränken überprüfen. Ich muss sehen, dass die Jungen sich regelmäßig und ordentlich waschen, dass sie ihre Schuhe putzen und überhaupt ihre Sachen in Ordnung halten. – Wie sieht nun so ein Alltag für mich in der Familie aus? Morgens um 5.30 Uhr stehe ich auf. Um 6 Uhr, wenn die Jungen geweckt werden, muss ich ‚einsatzbereit’ sein. Ich halte mich hauptsächlich auf dem Flur auf, sehe hin und wieder in die Zimmer, um nach dem Rechten zu schauen. Die Jungen machen dann die Räume sauber und melden ihr Hausgeschäft bei mir ab. Das geht bis kurz vor sieben Uhr. Dann gehen wir geschlossen in den Esssaal im ehemaligen Schulgebäude zum Frühstück. Bis 8 Uhr sind alle Jungen zur Schule, soweit sie nicht zur Schule müssen, in der ‚Freizeitfamilie’. Ich selber habe den Vormittag über Unterricht. Komme ich mittags gegen 13 bis 13:30 Uhr aus dem Unterricht, so sind dann auch schon einige Jungen von der Schule zurück. Die übrigen kommen bis 15 Uhr nach und nach an. Dann geht in dieser Zeit immer ein Bruder mit einigen Jungen zum Mittagessen. Von 13 bis 16 Uhr ist die Lernstunde angesetzt, in der die Jungen ihre Schularbeiten machen oder die Aufgaben erledigen, die sie vom Familienleiter zur Übung aufbekommen, denn die meisten unserer Jungen stehen in der Schule sehr schlecht, und wir haben es uns zur Hauptaufgabe in unserer Familie gemacht, die schulischen Leistungen der Jungen zu verbessern, damit sie nach Möglichkeit bessere Zeugnisse bekommen. Denn an den Zeugnissen wird der Erfolg unserer Arbeit von den Eltern doch in erster Linie gemessen. – In dieser Lernstunde muss völlige Ruhe im Hause herrschen. Dafür zu sorgen, ist in dieser Zeit meine Aufgabe. Nebenbei sehe ich auch bei Überlastung der anderen Brüder die Hausaufgaben nach. – Nach dieser Zeit der Anspannung und Konzentration sollen die Jungen sich wieder entspannen können. Sie haben daher die Möglichkeit, von 16 Uhr bis zum Abendessen um 18 Uhr und