Die schönsten Weihnachtsgeschichten II. Charles Dickens
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Читать онлайн книгу Die schönsten Weihnachtsgeschichten II - Charles Dickens страница 13
»Du bist mir eine nette Person«, versetzte der Fuhrmann, »mir von einer Umkehr zu reden, nachdem du schuld bist, daß wir eine gute Viertelstunde zu spät kommen.«
»Das tut mir leid, John«, sagte Dot sehr verwirrt, »aber ich möchte wirklich nicht daran denken zu Bertha zu gehen . . . ich würde es unter keinen Umständen tun, John . . . ohne die Kalbs- und Schinkenpastete und die andern Sachen und die Bierflaschen . . . Hü!«.
Dies einsilbige Wörtchen galt dem Pferde, das ihm aber nicht die geringste Beachtung schenkte.
»So sag' du doch ›Hü‹, John!« sagte Mrs. Peerybingle. »Ich bitte dich drum, John!«
»Da werden wir noch Zeit genug zu haben«, versetzte John, »wenn ich einmal was vergessen habe. Hier ist der Korb sicher genug.«
»Was für ein hartherziges Ungeheuer bist du doch, John, daß du mir das nicht gleich gesagt und mir einen solchen Schrecken nicht erspart hast! Ich erkläre, daß ich um alles in der Welt ohne die Kalbs- und Schinkenpastete und die andern Sachen und die Bierflaschen nicht zu Bertha gegangen wäre. Regelmäßig alle vierzehn Tage seit unserer Heirat, John, haben wir dort unser kleines Picknick gehalten. Wenn einmal bei diesem kleinen Fest etwas verkehrt wäre, so würde ich fast glauben, wir könnten nie wieder ganz glücklich sein.«
»Es war gleich ein schöner Gedanke«, sagte der Fuhrmann; »ich habe daher allen Respekt vor dir, Frauchen.«
»Mein lieber John«, versetzte Dot, über und über errötend, »rede doch nicht von Respekt vor mir! Du lieber Gott!«
»Beiläufig . . .« bemerkte der Fuhrmann. »Jener alte Herr . . .«
Neue Verlegenheit Dots, und zwar eine sehr auffällige.
»Er ist ein komischer Kauz«, sagte der Fuhrmann, grade vor sich hin die Straße entlang blickend. »Ich kann nicht klug aus ihm werden. Ich will jedoch hoffen, daß man nichts von ihm zu fürchten hat.«
»O durchaus nicht. Ich . . . ich bin überzeugt . . . durchaus nicht.«
»Nein«, sagte der Fuhrmann, dessen Augen sich infolge ihres großen Ernstes auf ihr Antlitz geheftet hatten. »Es freut mich, daß du in der Sache so sicher bist, denn das ist eine Bestätigung für mich. Aber es ist doch seltsam, daß es ihm in den Kopf kam, uns um ein Nachtlager zu bitten, nicht wahr? Es geschehen oft wunderliche Dinge in der Welt!«
»Ja, sehr wunderliche«, bestätigte sie mit leiser, kaum vernehmlicher Stimme.
»Bei alledem ist er ein gutmütiger alter Herr«, fuhr John fort, »und er zahlt auch anständig wie ein Herr, und so glaube ich auch, daß man sich auf sein Wort verlassen kann wie auf das eines Ehrenmannes. Ich hatte heute morgen eine ganz lange Unterredung mit ihm: er kann mich bereits besser verstehen, sagt er, da er sich mehr an meine Stimme gewöhnt hat. Er hat mir sehr viel von sich erzählt, und ich habe ihm viel von mir gesprochen, und er fragte mich nach einer Unmenge von Dingen. Ich teilte ihm mit, daß ich in meinem Geschäft zwei Touren zu machen hätte; an dem einen Tage rechts von unserm Hause aus und wieder zurück, an dem andern links von unserm Hause aus und wieder zurück – denn er ist ein Fremder hierzulande und kennt nicht die Namen der Plätze hier herum; – und das schien ihm viel Vergnügen zu machen. ›Na‹ sagte er, ›dann kehre ich ja heut' Abend denselben Weg nach Hause zurück, während ich doch glaubte, Ihr würdet in ganz entgegengesetzter Richtung zurückkommen. Das ist ja ganz schön! Ich werde Euch da vielleicht noch einmal um einen Platz in Eurem Wagen bitten, aber ich verspreche Euch, nicht wieder so einzuschlafen.‹ In der Tat, er schlief sehr fest! . . . Dot, woran denkst du?«
»Woran ich denke, John? Ich . . . hörte dir zu.«
»Ah so! Gut, gut«, sagte der ehrliche Fuhrmann. »Nach deinen zerstreuten Blicken zu urteilen, fürchtete ich schon, ich hätte so lange geschwatzt, daß du schließlich an ganz andere Dinge gedacht hättest. Ganz gewiß, ich war sehr nahe daran.«
Da Dot nicht antwortete, trotteten sie eine Zeitlang schweigend dahin. Aber es war nicht leicht, in John Peerybingles Wagen lange still zu sein; denn alle, denen man begegnete, hatten ihm etwas zu sagen, und war es auch weiter nichts als ein »Wie geht's?« Und wirklich, sehr oft war es weiter nichts. Indes, um ihnen in dem richtigen Geiste der Herzlichkeit ihren Gruß zurückzugeben, war nicht nur ein Kopfnicken und Lächeln nötig, sondern es war auch eine ebenso heilsame Lungenübung, wie es eine langatmige Parlamentsrede ist. Bisweilen gingen Reisende zu Fuß oder zu Pferde eine kleine Strecke neben dem Wagen her, einzig zu dem Zweck, ein wenig zu plaudern; und dann gab es von beiden Seiten gar mancherlei zu sagen.
Sodann gab Boxer Gelegenheit zu mehr freundschaftlichen Erkennungsszenen, als ein halb Dutzend Christenmenschen es gekonnt hätten. Alle Welt kannte ihn längs des Weges – besonders die Hühner und Schweine, die, wenn sie ihn herankommen sahen mit seinem windschiefen Körper und die Ohren zum Horchen gespitzt und indem er sich sehr wichtig machte mit dem aufgerichteten Schwanzrest, sich sofort in die entferntesten Ecken ihres Quartiers zurückzogen, ohne die Ehre einer näheren Bekanntschaft abzuwarten. Boxer hatte überall etwas zu tun; er ging in alle Querstraßen, blickte in alle Brunnen, stürzte in alle Hütten, trabte in alle Mädchenschulen hinein, scheuchte alle Tauben auf, bewirkte, daß sich sämtliche Katzenschwänze steil aufrichteten, und lief wie ein Stammgast in alle Schenken hinein. Wo immer er erschien, hörte man jemand rufen: »Holla, da ist Boxer!« Und heraus kam sofort dieser Jemand, begleitet von mindestens zwei oder drei andern Jemands, um John Peerybingle und seinem hübschen Weibchen guten Tag zu sagen.
Die großen Ballen und die kleinen Pakete für den Botenwagen waren sehr zahlreich, und dies nötigte sie, häufig haltzumachen, um sie in Empfang zu nehmen oder sie abzuliefern; und diese Unterbrechungen bildeten keineswegs den am wenigsten angenehmen Teil der Reise. Manche Leute erwarteten ihre Pakete mit solcher Ungeduld, und andere waren sehr erstaunt, überhaupt welche zu bekommen, und wieder andere waren unerschöpflich, Anweisungen für die ihrigen zu geben, und John nahm ein so lebhaftes Interesse an den Paketen, daß es fast wie in der Komödie war. Und dann waren da Gegenstände, die John nicht mit gutem Gewissen annehmen konnte, ohne vorher alles genau zu überlegen und mit den Absendern alles zu besprechen, und da fanden denn zwischen diesen und dem Fuhrmann lange Beratungen statt – Beratungen, denen Boxer in der Regel beiwohnte, und zwar durch kurze Anfälle sehr ernster Aufmerksamkeit und besonders durch lange Anfälle von Narrheit, während denen er wie toll um die versammelten Weisen herumsprang und bis zum Heiserwerden bellte. Dot, die unbeweglich auf ihrem Platz im Wagen saß, amüsierte sich über all diese kleinen Zwischenfälle, deren aufmerksame Zuschauerin sie war; und wie sie so dasaß und um sich schaute – ein reizendes kleines Bild, wundervoll eingerahmt von den Rahmen der Wagendecke –, da fehlte es nicht an Rippenstößen und Blicken und neidischem Flüstern unter dem jüngeren Volk, das versichere ich euch. Und den glücklichen Fuhrmann John entzückte das alles außerordentlich; denn er war stolz darauf, sein kleines Weibchen bewundert zu sehen, da er ja wußte, daß sie sich nichts daraus machte – wenn sie auch vielleicht gerade keinen Widerwillen davor hatte.
Die kleine Reise ging in dem Januarwetter allerdings nicht ohne ein wenig Nebel vonstatten; denn es war rauh und kalt. Aber wer kehrte sich an solche Kleinigkeiten? Dot sicherlich nicht. Auch Tilly nicht; denn für sie war das Fahren, gleichviel unter welchen Umständen, der Gipfel menschlichen Glücks, die Krone irdischer Hoffnungen. Auch das Wickelkind nicht, auf mein Wort, denn es liegt nicht in der Natur eines Wickelkindes, wärmer und fester zu schlafen, obgleich seine Befähigung in beiden Beziehungen sehr groß ist, als es bei diesem glücklichen jungen Peerybingle während des ganzen Weges der Fall war.
Man konnte freilich in dem Nebel nicht weit vor sich sehen, aber doch immerhin viel, sehr viel! Es ist erstaunlich, wieviel man selbst