Raumfahrt - wohin und wozu. Thomas Ahrendt
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In der ersten Phase der Industrialisierung des Weltraums machen Vakuum und Schwerelosigkeit vielversprechende neuartige Produktionsverfahren möglich. Das Vakuum etwa ermöglicht die Herstellung ultrareiner Materialien. Die Schwerelosigkeit im Erdorbit sind bei genauer Betrachtung kleinste Gravitationswirkungen vom 10-5 fachen der Erdanziehungskraft, die sich in kleinen Bereichen von etwa 1 m noch um das 100fache verringern lassen. Durch diese zwei Umweltfaktoren werden Produktionsverfahren möglich, die auf der Erde nicht vorhandene Chancen erschließen. Eine Raumstation ist nötig, um Weltraumproduktionsanlagen dauernd betreiben zu können. Sie ist ein bemannter (Erd)Satellit, der regelmäßig von der Erde angeflogen wird (ein Mars- oder Venussatellit würde regelmäßig vom Mars oder von der Venus angeflogen werden), um Nachschub zu bringen, Mannschaften, Verbrauchsmaterial und Geräte auszutauschen. Der Flug von der Erde zur Raumstation ist energiemäßig aufwendiger als von der Raumstation zum Mond oder zu den Planeten - das sogenannte "1. astronautische Paradoxon". Weiterhin benötigt der Start von der Erde eine höhere Schubbeschleunigung als der Flug im All. Somit funktioniert die Raumstation auch als Umsteigebahnhof für Fernreisen, deren Bahn am besten über dem Erdäquator liegt; um die Erde zu beobachten, empfiehlt sich eine polnahe Raumstation. Die Bahnhöhe der Bahnhofstation sollte möglichst niedrig sein - etwa 450 km; ein gelegentliches Hochschieben durch Raketen oder durch das Erdmagnetfeld gleicht die Nachteile aus. LEO-Raumstationen eignen sich für eine Vielzahl von Zwecken: als wissenschaftlicher Stützpunkt für das Erdstudium, als schwereloses Labor für Experimente und zur Materialforschung, als Zwischenstation für die Treibstoffversorgung und die Wartung und Reparatur von Satelliten und anderen Raumfahrzeugen und zukünftig auch als Werft für riesige Raumschiffe, die unter Umständen wesentlich größer sind als die Raumstation selbst, die beim außerirdischen Besiedlungsprogramm inklusive der lunaren Vorhaben eingesetzt werden sollen. Durch den Shuttlebetrieb zur ISS ist es möglich, größere Objekte im All zusammenzubauen und von dort aus zu starten; dadurch brauchen die zusammengesetzten Raumschiffe die Erdanziehungskraft nicht nochmals zu überwinden. Eine frühere Mondstrategie der NASA beruhte darauf, dass alle bei den lunaren Missionen verwendeten Raumfahrzeuge im LEO nahe der Raumstation gebaut, betankt und gewartet werden, um die Kosten für die Starts von der Erde zu sparen. Dazu wollte sie eine HLLV (Heavy Lift Launch Vehicle), eine neue Schwerlastfähre mit einer LEO-Nutzlast von gut 100 t entwickeln, weiterhin OMVs (Orbital Maneuvering Vehicle), also Transporter für den Bereich der Raumstation und OTVs (Orbital Transfer Vehicle) als Transferfahrzeuge, die Nutzlasten zwischen LEO und dem Mond befördern. Alle diese Raumfahrzeuge hätten chemische Triebwerke. Mit der Saturn V oder der Energija-Rakete ließen sich allerdings ENAs oder sogar der Mars erreichen, ohne dass man auf einer Raumstation ein interplanetares Raumschiff zusammenbauen muss; vielleicht bietet sie doch keine idealen Bedingungen für wissenschaftliche Forschung. Aber sie ist mindestens eine gute Möglichkeit, Erfahrungen zum langfristigen Aufenthalt im All zu sammeln und die Beziehungen zwischen den Raumfahrtnationen zu festigen. Letztlich ist die Entsendung von Menschen (und Robonauten) zu ENAs, zum Mars und darüber hinaus ihr einziger nachvollziehbarer Zweck. Für die nächsten 50 Jahre wird sich die bemannte Raumfahrt voraussichtlich auf folgende Zielorte konzentrieren: den Sonne-Erde-Librationspunkt (SEL)2, den Mond, ENOs und Mars - inklusive Phobos und Deimos. EML1-5 und SEL1 und 2 werden zukünftige Wegstationen beziehungsweise Stufungsorte zum Wechsel von Raumschiffen sein. Nahe SEL1 und 2 sind bis 2020 mindestens 8 neue Weltraumteleskope vorgesehen, unter anderem Herschel, Planck, Gaia, Darwin - sie alle sollen das Sonnensystem und das Universum in allen Spektralbereichen untersuchen und Bildungsprozesse von Galaxien und Planeten erforschen, sowie nach Exoplaneten und nach Lebensanzeichen in deren Spektren suchen. Möglicherweise ergeben sich daraus auch Rückschlüsse auf nichttechnische ETIs. Um all das und noch mehr umzusetzen, sind GEVs (Geospace Exploration Vehicle) nötig, die zwischen LEO - etwa von der ISS - und SEL2 pendeln. Sie können entweder von der LEO oder direkt von der Erde zum SEL2 auf sogenannten "Halo-Orbits" fliegen. Halo-Orbits sind Umlaufbahnen um Librationspunkte herum; durch gravitationsunterstützte Manöver von Erde und Mond sind sie auch Ausgangsorbits für energieeffiziente interplanetare Reisen auf Hohmannbahnen. Die Erfahrungen mit dem HST (Hubble Space Telescope) zeigen, dass bemannte Missionen zur Wartung beziehungsweise Rettung von sehr teuren Observatorien sinnvoll sind, wenn sie schon bei der Konzeption der Instrumente eingeplant werden. Reisen und andere Transporte zwischen Erde und Mond sind an keine Startfenster gebunden; im Raum zwischen Erde und Mond gibt es himmelsmechanisch ausgezeichnete Punkte, die relativ leicht vom Mond aus zu erreichen sind. Der Transportaufwand für Materialien vom Mond zu einer Erdaußenstation wäre wesentlich geringer als der Aufwand für den Transport zur Erdoberfläche. Auch wenn für Mondmissionen ein direkter Einschuss in einen niedrigen Mondorbit energetisch am günstigsten ist, hat dieses Szenario jedoch mehrere Nachteile im Vergleich zu EML1 als Ziel: für die schnelle Rückkehr von Astronauten und dem Eingreifen bei Not- oder Reparaturmaßnahmen, für den Transport von großen Modulen zur Mondoberfläche oder anderen Zielen im translunaren Raum, für die Einrichtung eines Umschlagplatzes. Und für Mondoberflächenmissionen und Missionen zu ferneren Zielen wie die Erde-Mond-Librationspunkte EML1-5, NEOs (erdnahe Objekte, zum Beispiel Asteroiden), den Asteroidengürtel und Mars - unter Ausnutzung gravitationsunterstützter Bahnmanöver, die energetisch günstiger sind, jedenfalls solange bis Antriebe mit größerem Delta-V verfügbar sind, die auf Hyperbeln zu ihren Zielen fliegen. Für all das eignet sich EML1 bei einem etwas höheren Delta-V-Bedarf besser als das Apollo-Transportszenario - eben der direkte Einschuss in einen niedrigen Mondorbit. Also würde eine Raumstation in EML1 geolunare beziehungsweise cislunare und translunare Explorationsmissionen und die Monderforschung unterstützen und stark erweitern; speziell im Zusammenhang mit einem GEV kann sie nachhaltig und effizient betrieben werden und als Stufungsplattform für robotische und bemannte Missionen dienen.
Mond - Missionen und Besiedlung
Als Zwillingsplanet und engster Erdnachbar bietet sich der Mond mit seinen Ressourcen als natürlicher Raumflughafen und als Weltraumstützpunkt für Forschungsstationen und später für Kolonien an. Auf ihm lassen sich Mondproben analysieren, Weltraumstrahlung untersuchen, das Leben bei 1/6 der Erdschwerkraft erforschen und astronomische Beobachtungen im Infrarot- und Submillimeter-Bereich in schattigen und kalten polaren Gebieten betreiben. Auf der Mondrückseite können Radioteleskope für ultralange Radiostrahlung errichtet werden. Auf dem Erdtrabanten lassen sich weiterhin viele Technologien für bemannte Marsexpeditionen testen.
Der Standort einer Mondstation richtet sich nach guten Transportmöglichkeiten, natürlichen Ressourcen und wissenschaftlich relevanten und erforschenswerten Objekten in nicht allzu großer Entfernung. Die Polregionen haben als mögliche Standorte die Vorteile, dass sie sich fast ständig im Sonnenlicht befinden. Dadurch ließe sich die Sonne als Energiequelle nutzen. Mit mehreren Solar-Kraftwerk-Stationen wäre eine dauernde Energieversorgung gegeben und über ein Verteilernetz ließen sich auch Stützpunkte versorgen, die nicht ständigem Sonnenlicht ausgesetzt sind. Am Malarpert-Krater am Südpol ließe sich durch 2 Solarparks ständig Strom erzeugen und er könnte als Nachrichten-und Energie-Relaisstation für den Shackleton-Krater dienen, der sich seinerseits für astronomische Beobachtungen anbietet, da er sehr kalt ist und die Kraterwände die irdische Radiostrahlung abschirmen. In nahen Kratern könnte Wasserstoff vorkommen. Das Südpol-Aitken-Becken ist einer der größten Impaktkrater im Planetensystem und könnte Rückschlüsse über seinen Aufbau ermöglichen. Der Peary-Krater am Nordpol wird fast ständig beschienen und in nahen Kratern wird Wasserstoff vermutet. Am Mondäquator könnte es mehr Helium-3 geben, da der Sonnenwind steiler auftrifft. Im Oceanus Procellarum lassen Untersuchungen auf sauerstoffreiches Gestein schließen und die Helium-3-Konzentration dürfte noch viel stärker sein als auf der erdzugewandten Seite, da diese den Mond zum Teil vor dem Sonnenwind schützt.
Ein Vorteil einer Mondbasis wäre, den Mond als Sauerstoffquelle zu haben, wobei der Sauerstoff zum Atmen und als chemischer Raketentreibstoff verwendet würde. Die Versorgung einer Mondbasis und einer Raumfahrzeugflotte von der Erde aus wäre weit teurer als dessen Herstellung auf dem Mond und der Weitertransport