Karibisches Reisetagebuch. Ludwig Witzani
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Die Insel war also zu groß, um auf eigene Faust auf Erkundungsreise zu gehen. Deswegen buchten wir die sogenannte Standardtour „Barbados auf einen Blick“ und marschierten in akkuraten Zweierreihen zu den Parkplätzen, auf dem bereits Dutzende Busse für alle nur denkbaren Touren bereitstanden. Irgendwo in einer anderen Reihe winkten uns August und Marianne freundlich zu. Hatten sie mir meinen Lapsus verziehen?
Unser Bus war bis auf den letzten Platz gefüllt, die Sitze waren so eng, dass ich mich fragte, wie die groß gewachsenen Nachkommen der Schwarzafrikaner in diesen Gefährten sitzen konnten. Unsere Reiseführerin hieß Claudia und war wie Connie aus Grenada deutschstämmig, repräsentierte aber einen anderen Körpertyp. Sie war extrem schlank, fast ausgezehrt und besaß eine Kreissägenstimme, die mühelos bis in den hintersten Winkel des Busses vordrang. Mit dieser Kreissägenstimme gab sie uns als erstes einen landeskundlichen Überblick, in dem sie Licht und Schatten abwechslungsreich zu mischen wusste. Sie begann mit dem Positiven: von allen Inseln der östlichen Karibik pflege Barbados die besten Beziehungen zu Europa. Düsenjets aus Europa landeten hier auf dem größten Flughafen der Kleinen Antillen, und man besäße die finanzkräftigsten Banken weit und breit. „Pleite ist das Land trotzdem“, fügte Connie trocken hinzu, was allerdings in der Karibik nichts Außergewöhnliches sei. Die Arbeitszeiten lägen zwischen 9:00 Uhr vormittags und 3:00 Uhr nachmittags – ob dann aber auch wirklich jemand da sei, sei Glückssache. „Wirklich funktionstüchtig in Barbados sind nur die Luxushotels, aber zu Preisen, die sich kein Karibe leisten kann“, fuhr sie fort. „Nirgendwo auf den Kleinen Antillen ist die Kluft zwischen der einfachen Bevölkerung und den Touristen so groß wie in Barbados.“
Ein Blick aus dem Fenster bestätigte dieses Urteil. Die karibische Küstenstraße, die von Bridgetown aus nach Norden führte, war mit luxuriösen Hotels und Apartments zugebaut. In Speightstown befand sich ein internationaler Yachthafen, in dem sich die Schönen und die Reichen trafen. Dreißig, vierzig Meter lange Kähne dümpelten im Wasser, ihre Besitzer saßen auf den Oberdecks und hoben schon zu dieser frühen Stunde die Gläser.
Unseren ersten Stopp absolvierten wir in Holetown, einem Küstenort im Westen der Insel, an dem die Briten 1625 mit achtzig Siedlern und zehn Sklaven an Land gegangen waren. Wie viele andere Siedler dieser Epoche hatten sie sich zunächst am Tabakanbau versucht, der auf kleinen Gütern mit geringem Sklaveneinsatz betrieben werden konnte. Dann hatte die „Zuckerrevolution“ auch Barbados ergriffen. Zwischen 1645 und 1667 war die Zahl der Plantagen von über zehntausend auf unter tausend geschrumpft, während sich die Zahl der Sklaven auf über 80.000 mehr als verzehnfacht hatte. Eine lukrative Großplantagenwirtschaft entstand, deren Sklavenbestand sich selbst reproduzierte – im Unterschied etwa zu Jamaika, wo die Arbeitsbedingungen so katastrophal gewesen waren, dass der Sklavenbestand in jeder Generation zur Hälfte erneuert werden musste. Im ersten Fall wurden die afrikanischen Ursprünge nach und nach gekappt, im zweiten ständig erneuert.
Aber auch der Zuckerrohranabau gehörte längst der Vergangenheit an. Die Insel, so Claudia, habe ihre „Rentnerphase“ erreicht, das heißt, sie produziere kaum noch etwas, sondern lebe von auswärtigen Gästen, die überwiegend Rentner seien. Das sollte wahrscheinlich witzig sein, kam aber bei den Rentnern im Bus erkennbar schlecht an.
Nach Holetown und Speightstown bogen wir nach Osten ab und erreichten bei Greenland die atlantische Seite der Insel. Hier bot sich ein ganz anderes Landschaftsbild. Die Wälder waren verschwunden, und weite, karge Hügel fielen sachte zum Meer hinab. Mit Recht trug der Nordosten der Insel den Namen „Scotish District“. Es war zwar wärmer als auf den Hebriden, aber die Brandung des Atlantik krachte mächtig gegen die Küsten, woran die Surfer ihre Freude hatten.
Als wir an die Küste kamen, wurde es noch wärmer. Das saftig grüne Gras der Andromeda Gardens zeigte, dass es hier an Regen nicht mangelte. Bananenplantagen folgten auf Rumdestillerien und Andenkenläden. Zweimal stoppten wir vor alten „Chattel Houses“, mobilen Sklavenhäusern aus Holz, die früher bei Bedarf von Ort zu Ort transportiert worden waren. Wegen der Hurrikan-Gefahr durften inzwischen nur noch Steinhäuser gebaut werden.
In Bathesba verwandelte sich die eben noch so raue Küste endgültig ins Idyllische. Eine saftig grüne Wiese fiel in leichter Schräglage zum Meer ab, ein frischer Wind fegte über die Küste, vor der sich mächtige Felsen türmten. Den letzten Stopp absolvierten wir dann gleichsam im Schweinsgalopp an der St. John´s Kirche, die aussah wie eine gute alte anglikanische Landkirche. Wenn man von der St. Johns Kirche die Landschaft überblickte, konnte man sich kaum vorstellen, dass die gesamte Insel Barbados bei Ankunft der Engländer vor vierhundert Jahren lückenlos mit Regenwald bedeckt gewesen war. Bei dem, was heute noch an Grünem in der Umgebung zu sehen war, handelte es sich im Wesentlichen um Sekundärwälder.
Dann war die Tour auch schon zu Ende. Der Bus kehrte nach Bridgetown zurück und spuckte seine Passagiere in der Innenstadt aus. Es war Sonntag, der Nachmittag war angebrochen, und eine schwüle karibische Hitze lag über der Stadt. Wer konnte, zog sich in den Schatten der Häuser oder Pubs zurück. Nur hier und da lag ein Obdachloser im Stadtpark und schlief seinen Rausch aus. Vereinzelte Touristen standen unschlüssig vor der Lord Nelson-Staue auf dem sogenannten „Trafalgar Square“. Von den zahlreichen Heldendenkmälern, die überall in der Welt an den großen Seefahrer erinnern, war die Lord Nelson-Statue von Bridgetown immerhin die älteste. Die Broad Street, die „Einkaufsmeile“ von Bridgetown, war ein zugepflastertes leeres Stück Einsamkeit. Die anglikanische St. Michaels Kathedrale war geschlossen.
Wirklich etwas los war nur am stadtnahen Carlisle Beach. Krebsrot brutzelten die Touristen in der prallen Sonne, schwarz wie Ebenholz war die Haut der kräftigen Jugendlichen, die am Strand Fußball spielten, türkisgrün war das flache Wasser und ein azurblauer Himmel wölbte sich wie ein perfektes Zelt über dem Strand. Scooter rasten über das Wasser, Kinder planschten in Riesenreifen, Einheimische kassierten zwanzig Dollar für eine Liege, und die Strandverkäufer gingen tatsächlich weiter, wenn ihre Angebote mit einem freudlichen „No thanks“, beantwortet wurden. Langsam sank die Sonne dem Horizont entgegen, und es wurde Zeit, auf die AIDAdiva zurückzukehren.
Carlisle Beach in der Nähe von Bridgeport/Barbados
Im Hintergrund die AIDAdiva
Die Pitons von St Lucia
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