Karibisches Reisetagebuch. Ludwig Witzani
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Anschließend passierten wir große Öltanks, die sich gut in die staubige, völlig verbuschte Landschaft einfügten. Schließlich erreichten wir den „Flamingo Sanctuary Nationalpark“, dessen besondere Pointe darin bestand, dass das Betreten des Parks aus Vogelschutzgründen verboten war. Immerhin fuhr uns der Fahrer zu einem landschaftlich schön gelegenen Süßwassersee, auf dem mit Hilfe von Ferngläsern oder Teleobjektiven einige Flamingos in der Ferne zu erkennen waren. Höhepunkt unserer Inselumrundung war der Besuch einer Kaktuslikör-Fabrik in Rinsen, in deren Innenhof reichlich Hochprozentiges ausgeschenkt wurde. Das versöhnte allgemein, und leicht beduselt, brachten wir auch noch den Rest der Reise hinter uns. Sie bestand wieder im Anblick von Diwi Diwi Bäumen, aus Staub und Dunst und einem abschließenden Panoramarundblick vom Seroe Largu Hügel, von dem aus wir die Umrisse der Salzpfannen im Inselsüden sehen konnten. Alles in allem eine Erkundung, die man sich gut und gerne hätte sparen können. Findigere Reiseteilnehmer als wir hatten den Tag genutzt, um sich im Poolbereich der AIDAdiva einmal so richtig langzulegen.
Während des zweiten „See-Tages“ fuhr die AIDAdiva von Bonaire nach Grenada. Diese Distanz legte das Schiff mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von elf Knoten zurück, was 21 km/h entsprach, so dass wir für die 740 km zwischen Bonaire und Grenada sechsunddreißig Stunden benötigten. Es stand also reichlich Zeit zum Ausschlafen, Essen, Trinken, Lesen und Shoppen zur Verfügung. Den größten Teil des Tages lag ich in der Hängematte auf unserem Balkon und blickte über das Meer. Im Süden zog die Küste Venezuelas vorbei, jenes vom Sozialismus ruinierte Land, das inzwischen von den meisten Kreuzfahrtschiffen nicht mehr angelaufen wurde, seitdem vor zwei Jahren ein Kreuzfahrttourist auf Isla Margarita ermordet worden war. Irgendwo im südlichen Dunst mochte Caracas liegen, die kriminellste Stadt Südamerikas, in der die meisten Menschen hungern mussten.
In meiner Hängematte begann ich mit der Lektüre des Buches „Die Explosion in der Kathedrale“ des kubanischen Autors Alejo Carpentier. Die Hauptfigur dieses Romans war der karibische Abenteurer Victor Hugues, eine reale historische Gestalt, die im Rahmen der Französischen Revolution als Agent der radikalen Jakobiner auf den französischen Karibikinseln mit seiner Guillotine mächtig aufgeräumt hatte. Die harsche Kritik am Sozialismus und die überdeutlichen Anspielungen des Buches auf die aktuellen Zustände in Kuba hatten Alejo Carpentier von Seiten des Castro-Regimes übrigens wenig Beifall beschert. Ein nicht ganz einfaches, wuchtiges Werk mit philosophischem Anspruch und einer poetischen Sprache, das man während einer Kreuzfahrt an den Seetagen am besten nur vormittags lesen sollte, weil der Körper am Nachmittag zu stark mit der Verdauung des Mittagessens beschäftig ist.
Blick auf St. George vom Fort Frederic aus
Tanzvorführung im „Spice Basket“
Bis der Sarg voll ist – GRENADA
Der erste Anblick der Insel Grenada war ein echter Augenöffner. Ein lückenlos grün bepelztes Bergmassiv im fahlen Morgenlicht, von dichten Wolken verhangen. Endlich das hinreichende Ausmaß von Vertikalität, ohne die man eine Insel nicht wirklich schön finden kann.
Etwa 100.000 Menschen lebten auf der 350 qkm großen Insel, davon waren 80 % Schwarze und Mulatten, 13 % waren Inder und nur 7 % Weiße. Was zu der Frage führte, wo denn die Inder herkamen. Antwort: Die Inder kamen als Kontraktarbeiter auf der Grundlage extrem harter Arbeitsverträge während des 19. Jahrhunderts auf die karibischen Inseln, weil die ehemaligen Sklaven nach ihrer Freilassung aus der Sklaverei keine Lust mehr gehabt hatten, weiter zu rackern und sich auf reine Bedarfsdeckungswirtschaft beschränkten. Da waren die Inder (und andernorts die Chinesen und Japaner) ganz anders. Sie kamen, blieben, vermehrten sich und beherrschen heute weite Teile der karibischen Wirtschaft. In Südafrika, in Kenia und Tansania und auf Fidschi war die Entwicklung übrigens ganz ähnlich verlaufen.
Unsere Führerin für die „Typisch Grenada“ Tour hieß Connie. Sie war beleibt, aber beweglich, hatte rote Haare und ein dominantes Auftreten. Seit 23 Jahren lebte sie schon auf Grenada und hatte in dieser Zeit nach eigener Aussage „jede Menge Scheiße“ inklusive Arbeitslosigkeit und Scheidung erlebt. Sie wollte aber auf keinen Fall wieder nach Deutschland zurück, weil in Grenada „jeder für den anderen da“ sei, und die Gemeinschaft jedermann auffinge. So dezidiert vorgetragen, klang das etwas schräg, und ich hätte gerne die ganze Geschichte gehört, woran natürlich nicht zu denken war. Immerhin war Connie extrem kompetent und wusste über Land und Leute mehr zu erzählen als alle bisherigen Reiseführer zusammengenommen. Während wir durch die Inselhauptstadt St. George kurvten, begann sie mit Details zur Inselgeschichte, wobei ich aber nicht mehr sicher sagen kann, was sie uns erzählte, und was ich erst im nachher gelesen habe. Entdeckt wurde Grenada bereits 1498 auf der dritten Reise von Christoph Kolumbus. Die Spanier hatten die Insel aber links liegengelassen, weil auf ihr nicht viel zu holen gewesen war. 1609 unternahmen die Engländer einen ersten Ansiedlungsversuch, der am Widerstand der Kariben scheiterte. Ihnen folgten 1650 die Franzosen, die gründlicher zu Werke gingen und mit den Kariben brutal aufräumten. Die letzten vierzig Kariben sollen sich am Ende der Kämpfe von einem Felsen im Norden der Insel in den Tod gestürzt haben. Nach der Ausrottung der Indianer wurden afrikanische Sklaven eingeführt, mit deren Hilfe Tabak- und Zuckerrohrplantagen entstanden. 1763 und 1783 besetzten die Briten die Insel und sicherten ihre Herrschaft mit einer ganzen Batterie von Küstenfestungen, die durch unterirdische Gänge miteinander verbunden waren.
Eine solche Festung, das Fort Frederic hoch über St. George, war unser erster Anlaufpunkt. Eine einheimische Band empfing uns am Eingang der Festung mit karibischer Musik und wollte für jeden Schnappschuss Bargeld sehen. Ich notierte: Das Recht am eigenen Bild gehört in der Karibik zu den allgemeinen Menschenrechten. Selbst wenn sie Geld für ein Bild erhielten, blickten die Mitglieder der Band griesgrämig drein. Den ganzen Tag lang immer die gleichen Stücke für Fremde zu spielen, die meist achtlos an ihnen vorüber gingen, war ganz sicher kein Vergnügen. Von den Zinnen des Forts aus überblickte man den gesamten Inselsüden mit der Inselhauptstadt St. George tief unter uns und mit der majestätischen AIDAdiva am Kai. In malerischer Schräge stürzten dicht bewachsene Berge ins Meer.
Anschließend fuhren wir ins Inselinnere, immer tiefer hinein in eine üppige Vegetation, die von allen Seiten über die Ränder der Straßen wucherte. Überall standen Holzhäuser auf Stelzen am Hang, umgeben von Ruinen, die seit dem letzten Hurrikan nicht wieder aufgebaut worden waren. Die Siedlungen, die wir passierten, besaßen die Form von Bandwurmdörfern, ihre herausragenden Merkmale waren bunt ausstaffierte Jugendliche, die im Rastafari-Look am Straßenrand saßen und den durchfahrenden Bussen den Stinkefinger zeigten. Bei aller Warmherzigkeit seien die Grenadiner allerdings auch ein robuster Menschenschlag, der sich nichts gefallen ließe, erklärte Connie. Vielleicht war die Insel deswegen bald nach ihrer Unabhängigkeit mit den USA in Konflikt geraten. Um die Machtergreifung einer kommunistischen Minderheit in Grenada zu verhindern, hatte Präsident Reagan 1983 die Militärintervention „Urgent Fury“ befohlen. Die herrschende Linksclique verschwand in amerikanischen Gefängnissen, und die Demokratie in Grenada wurde wieder hergestellt. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.
Sonderlich besser geworden seien die Verhältnisse nach der US Intervention aber nicht, meinte Connie Das Land sei chronisch unterfinanziert, weil 90 % aller Waren eingeführt werden müssten. Zur Deckung der dafür notwendigen Dollarrechnungen reiche der Export von Muskat, Bananen und Nelken einfach nicht aus. „Jedermann in Grenada ist pleite“, behauptete Connie, der Staat, die Stadt, die Privatleute und auch die Firma, die sie beschäftige, denn sie selbst warte noch immer auf ihren Lohn vom letzten Monat. Die einzigen Lichtblicke in diesem Desaster bildeten die Care-Pakete und Überweisungen