Jugend und Der Nigger vom "NARCISSUS" - Band 128e in der maritimen gelben Buchreihe bei Jürgen Ruszkowski. Joseph Conrad
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Читать онлайн книгу Jugend und Der Nigger vom "NARCISSUS" - Band 128e in der maritimen gelben Buchreihe bei Jürgen Ruszkowski - Joseph Conrad страница 10
Wir hatten dieses letzte Stück elf Stunden lang gerudert. Zwei ruderten, und der, der gerade zum Rasten an der Reihe war, saß am Steuer. Wir hatten das rote Licht in der Bai gesichtet und darauf zugehalten, in der Annahme, dass es wohl einen kleinen Küstenhafen bezeichnen müsste. Wir kamen an zwei Schiffen vorbei – fremdländisch, mit hohem Heck – die vor Anker schliefen, und während wir uns dem Licht näherten, das nun recht trüb schien, rannten wir mit dem Bootsbug gegen einen vorspringenden Quai. Wir waren blind vor Übermüdung. Meine Leute ließen die Riemen fahren und fielen und rutschten wie tot von den Ruderbänken herunter. Ich legte an einem Pfosten an. Die See kräuselte sich unter einer leichten Strömung. Das duftende Dunkel der Küste türmte sich stumm, phantastisch, in großen Maßen, einem Riesenwuchs wuchernder Vegetation. Der kleine Halbkreis des Strandes an ihrem Fuß erglänzte schwach wie ein Trugbild. Es gab kein Licht, keine Regung, keinen Laut. Der geheimnisvolle Osten lag vor mir, duftend wie eine Blume, stumm wie der Tod, schwarz wie das Grab.
Und ich saß da, müde über jeden Begriff, frohlockend wie ein Eroberer, schlaflos und wie gebannt vor einem tiefen, schicksalhaften Rätsel.
Das Klatschen von Ruderschlägen, die taktfest auf der Wasserfläche widerhallten und gegen das Schweigen des Ufers doppelt laut wirkten, ließ mich auffahren. Ein Boot, ein europäisches Boot kam herein. Ich rief die Namen der Toten auf, rief ‚JUDEA, ahoi!‘ Ein schwacher Laut antwortete.
Es war der Kapitän. Ich hatte das Flaggschiff um drei Stunden geschlagen und war froh, die Stimme des alten Mannes wieder zu hören, zitternd und müde. ‚Sind Sie das, Marlow?‘ – ‚Passen Sie auf das Ende des Quais da auf‘, schrie ich.
Er näherte sich vorsichtig und machte mit der Tiefseelotleine fest, die wir (für die Versicherung) gerettet hatten. Ich ließ meine Fangleine etwas nach und legte mich neben ihn. Er saß ganz gebrochen im Heck, durch und durch nass vom Tau, die Hände im Schoß gefaltet. Seine Leute schliefen schon. ‚Ich habe eine böse Zeit mitgemacht‘, murmelte er. ‚Mahon ist hinter uns, nicht sehr weit weg.‘ Wir unterhielten uns im leisesten Flüsterton, als hätten wir uns gefürchtet, das Land aufzuwecken. Kanonenschüsse, Donner und Erdbeben hätten es damals nicht vermocht, unsere Leute im Schlaf zu stören.
Während wir sprachen, sah ich mich um und erblickte weit weg ein helles Licht, das durch die Nacht wanderte. ‚Da fährt ein Dampfer an der Bai vorbei‘, sagte ich. Er fuhr aber nicht vorbei, sondern fuhr herein, kam sogar ganz nahe und ging vor Anker. ‚Ich möchte‘, sagte der alte Mann, ‚dass Sie herausbringen, ob es ein Engländer ist. Vielleicht könnte er uns irgendwohin mitnehmen.‘ Er schien es übertrieben eilig zu haben, und so zwickte und stieß ich an einem meiner Leute herum, bis ich ihn in eine Art Wachtraum gebracht hatte, gab ihm ein Ruder in die Hand, nahm selbst das andere und hielt auf die Lichter des Dampfers zu.
Stimmen, Gemurmel klang daraus, das Dröhnen von Metall aus dem Maschinenraum, Schritte auf Deck. Die Stückpforten leuchteten wie weit offene Augen. Schatten glitten umher, und hoch auf der Brücke sah man schattenhaft einen Mann stehen. Er hörte meine Ruderschläge.
Und dann sprach, bevor ich noch den Mund auftun konnte, der Osten zu mir, doch es geschah in einer westlichen Stimme. Ein Wildbach von Worten strömte in das rätselhafte, schicksalschwere Schweigen hinaus; fremdländische, ärgerliche Worte, mit Worten und ganzen Sätzen in gutem Englisch untermischt, die zwar weniger fremdartig, jedoch noch überraschender klangen. Die Stimme fluchte und wetterte heftig. Der feierliche Friede der Bai verflog unter dem Schnellfeuer von Schimpfworten. Es begann damit, dass ich ein Schwein genannt wurde, und steigerte sich von da an bis zu unaussprechlichen Beiworten. – Auf Englisch. Der Mann dort oben tobte laut in zwei Sprachen und mit einer Unbefangenheit in seiner Wut, die mich fast davon überzeugte, dass ich mich auf irgendeine Weise gegen die Harmonie des Alls vergangen hatte. Ich konnte den Menschen kaum sehen, begann aber zu fürchten, er würde sich in Krämpfe hineinsteigern. Plötzlich brach er ab, und ich konnte hören, wie er wie ein Meerschwein schnarchte und pustete. Ich sagte: ‚Was für ein Dampfer ist das, bitte?‘
‚Wie, was ist das? Und wer sind Sie?‘
‚Schiffbrüchige Besatzung einer englischen Bark, die auf offener See verbrannt ist. Wir sind heute Nacht hier angekommen. Ich bin der Zweite Offizier. Der Kapitän ist im Langboot und wünscht zu wissen, ob Sie uns irgendwohin mitnehmen könnten!‘
‚Oh, du meine Güte! Ich sag's ja! ... Dies ist die ‚CELESTIAL‘ aus Singapore, auf der Heimreise. Ich will morgen früh mit Ihrem Kapitän alles ausmachen... und... na ja... haben Sie mich eben vorhin gehört?‘
‚Ich nehme an, dass die ganze Bai Sie gehört hat.‘
‚Ich hielt Sie für ein Boot vom Lande. Nun sehen Sie sich doch an – der verteufelte, faule Schuft von einem Wärter ist wieder schlafen gegangen. – Fluch über ihn! Das Licht ist aus, und ich wäre um ein Haar gegen das Ende dieses verdammten Quais hier gerannt. Das ist das dritte Mal, dass er mir den Streich spielt. Nun frage ich Sie, kann irgendjemand so etwas ertragen? Das ist doch wohl genug, um jeden Mann um den Verstand zu bringen? Ich will den Burschen anzeigen. Ich will den Regierungsvertreter dazu bringen, dass er ihn zum Teufel jagt. Beim...! Sehen Sie doch – es ist kein Licht da! Ausgegangen, oder? Ich nehme Sie zum Zeugen, dass das Licht ausgegangen ist. Es sollte ein Licht da sein, müssen Sie wissen, ein rotes Licht auf – …‘
‚Es war auch ein Licht da‘, bemerkte ich mild.
‚Aber es ist ausgegangen, Mensch! Was soll es für einen Wert haben, so herumzureden. Sie können ja selbst sehen, dass es ausgegangen ist, oder nicht? Wenn Sie einen wertvollen Dampfer an dieser gottverlassenen Küste entlangzuführen hätten, dann würden auch Sie ein Licht verlangen! Ich will den Burschen vom einen Ende seines elenden Quais bis zum anderen prügeln. Sie sollen sehen, ob ich das nicht tue. Ich will...‘
‚Ich darf also meinem Kapitän melden, dass Sie uns aufnehmen wollen‘ unterbrach ich ihn.
‚Jawohl, ich will Sie aufnehmen. Gute Nacht!‘ sagte er unvermittelt.
Ich ruderte zurück, machte wieder am Quai fest und konnte dann endlich schlafen. Ich war dem Schweigen des Ostens gegenübergestanden. Ich hatte einiges von seiner Sprache gehört. Doch als ich meine Augen wieder aufschlug, war das Schweigen so vollkommen, als wäre es nie gebrochen worden. Ich lag in einem Meer von Licht, und nie zuvor war mir der Himmel so fern, so hoch erschienen. Ich öffnete die Augen und lag reglos.
Und dann sah ich die Männer des Ostens – sie sahen mich an. Die ganze Länge des Quais war voll von Menschen. Ich sah braune, bronzefarbene, gelbe Gesichter, die schwarzen Augen, die glitzernde Buntheit einer östlichen Menge. – Und alle diese Wesen starrten ohne Murmeln, ohne einen Seufzer – ohne eine Bewegung nach mir. Sie starrten in die Boote hinunter, auf die schlafenden Männer, die während der Nacht von der See her zu ihnen gekommen waren. Nichts rührte sich. Die Palmenwedel standen still gegen den Himmel. Kein Zweig regte sich längs des Ufers, und die braunen Dächer verborgener Häuser lugten durch das grüne Laubwerk, durch die großen Blätter, die glänzend und still dahingen, als wären sie aus schwerem Metall geschmiedet. Das war der Osten, wie er den Seefahrern alter Zeiten erschienen sein mochte, so alt und geheimnisvoll, prächtig und düster, unverändert lebendig, voller Gefahr und Lockung. Und das waren die Menschen. Ich setzte mich mit einem Ruck auf. Eine Welle von Bewegung lief durch die Menge, über die Köpfe weg, schüttelte die Körper, lief den Quai entlang,