Der Alpdruck. Ханс Фаллада

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Der Alpdruck - Ханс Фаллада

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in den Keller, die Wohnung halb ausgebrannt ...«

      »Schwere Zeiten!« bestätigte er und lachte dann über den neugierigen Blick der vorübergehenden »Frau Kapitänleutnant« böse auf. »Aber dieses Nest hat sich nicht geändert, heute Abend werden wir wieder in aller Leute Munde sein.«

      »Sicher!« bestätigte sie. »Bringen Sie mich ein paar Schritte? Wenn sie klatschen, sollen sie auch mit Grund klatschen! Wollen Sie heute bei mir zu Mittag essen? Ich habe grade ein Huhn vom Lande bekommen; so geht es«, sie lächelte, »auch ohne Marken.«

      »Gut!« antwortete er. »Gerne. Ich bin niemandem mehr Rechenschaft schuldig.«

      »Ich weiß«, sagte sie.

      So begann es, und nicht anders ging es weiter. Sie wurden zueinander geführt, aus Trotz, aus Protest, aus einem Gefühl der Vereinsamung heraus. Endlich jemand, mit dem man wirklich sprechen konnte, der kein Verräter war. Später kam mehr dazu: aufrichtige Sympathie, sogar Liebe. Da war ihnen das Geklatsche der kleinen Stadt längst gleichgültig geworden. Sie zogen zusammen in das kleine Blockhaus der jungen Frau, die Mitbürger mochten über solche Schamlosigkeit toben! Jetzt war es Doll auch gleichgültig, als er überall hörte, der Tierarzt Wilhelm erzähle es jedem: nun sehe man es ja, jedes Wort, das er früher berichtet, sei goldrichtig gewesen. Jetzt war es ihm ganz gleichgültig geworden, daß dieser Feind triumphierte.

      Aber dann, als sie geheiratet hatten, nicht in dem kleinen Nest, sondern in der großen Stadt Berlin, dann, als sie in der Küche der fast ausgebrannten Wohnung beieinander saßen und Adressen ausschrieben für die Hochzeitsanzeigen – da kam er wieder hoch, der Haß in ihnen allen beiden, und sie vergaßen nicht einen ihrer Feinde. Ein jeder bekam seine Anzeige: Farken-Willem und die bigotte Hoteliere voran! Was sie sich von diesen Anzeigen eigentlich für eine Wirkung versprachen, hätten sie selbst so genau nicht sagen können. Es kam ihnen schon wie ein Triumph vor, daß sie nun doch geheiratet hatten – ihnen allen zum Trotz, ein Schlag ins Gesicht der Prüderie –!

      Sie kamen nur gelegentlich aus Berlin zurück in die kleine Stadt. Für viele Tage vergaßen sie oft das Nest in den Wirrnissen der Großstadt, in ihrer stets zunehmenden Düsterkeit, in die nur die Flammenbrände ganzer Straßenzüge ihr schauerlich zuckendes Licht warfen. Sie saßen nebeneinander in unzureichenden Luftschutzkellern, hörten das näherkommende Brausen der Flugzeuge, die ihnen auf den Leib rückenden Einschläge der Bomben ... Sie hielten sich im Arm, die junge Frau sagte beruhigend: »Sie sind schon vorbei!« Dann ein ohrenbetäubendes Knacken und Krachen, das Licht zuckte gelb auf und erlosch ... Sie schmeckten Kalkstaub im Munde, es war, als äßen sie ihren eigenen Tod –.

      Wenn sie sich dann über zerstörte Gleisanlagen und Bahnhöfe wieder aus Berlin herausgekämpft hatten, wenn der Zug sie immer tiefer in die Wälder trug, die kein Anzeichen von Zerstörung aufwiesen, wenn sie dann abends, vor dem Rest des Heimwegs, noch in die Bahnhofswirtschaft traten, um rasch einen Schoppen zu trinken – so fanden sie dort alles wie eh und je. Der Wirt war noch ein bißchen geiziger mit seinen Vorräten und noch ein bißchen unverschämter gegen seine Gäste geworden; aber auf dem Sofa saß immer noch am gewohnten Platz der alte lederhäutige Tierarzt.

      Sofort aber, wenn Doll diesen Mann neu erblickte, wurde mit einem Ruck der alte Haß in ihm wach. Mit einer elementaren Gewalt brach er in ihm hervor, und erst später kamen die Erinnerungen an all das, was dieser Mann ihnen Übles getan, wie eine nachträgliche und doch so unnütze Begründung. Er war dem Doll unbegreiflich, dieser Haß; so viel Schweres war doch in diesen Zeiten zu ertragen, nach jedem Bombenangriff empfand er das Leben als neu geschenkt. Unbegreiflich war dieser niedrige Haß, und doch mußte man sich mit ihm abfinden. Er hatte diesem Haß in sich Raum gegeben, er hatte ihn einnisten lassen, nun mußte er ihn ertragen, wohl sein ganzes Leben lang.

      Ja, das ganze Leben – aber nur des andern Leben lang! Denn wenn er jetzt an dem verschlossenen, düster drohenden Haus des alten Tierarztes auf dem Hinweg zur Arbeit mit seiner jungen Frau vorüberging, wenn er, allein auf seinem Heimweg, das alte, verbeulte Schild mit seinen Grünspanflecken passierte, so vermied sein Auge nicht darum das Haus, weil er den Toten noch immer haßte. Nein, mit seinem Tode war der Haß dahingegangen, an seiner Statt war etwas wie eine Leere geblieben, eine vage Erinnerung an ein Gefühl, dessen er sich hatte schämen müssen. In diesen Zeiten des Umsturzes hatte kein Gefühl mehr Bestand, der Haß verging, es blieb Leere, Öde, Gleichgültigkeit, ferne waren alle Menschen. Nie war man so allein gewesen. Keiner war je so allein gewesen. Nur noch die junge Frau war bei ihm. Aber auch ihr gab er zu verstehen: »Es ist gut. Wir wollen nicht mehr darüber reden. Es ist für immer erledigt.«

      Nein, wenn Doll seinen Blick von diesem Totenhause abwandte, so hatte das noch einen andern Grund. Immer wieder grübelte er über eines nach: da habe ich ihn doch sitzen sehen in der Bahnhofswirtschaft, die Tränen liefen ihm bachweis über das Gesicht, und er klagte, er müsse sich das Leben nehmen wegen der angetanen Schmach. Aber er hatte sich nicht das Leben genommen, dieser alte Jammerlappen, er hatte aus seiner Schmach, ohne Würde und Scham, ein Geschäft gemacht! Immer, sein ganzes Leben lang, war dieser Dr. Wilhelm ein Feigling gewesen, feige vor dem Hufschlag eines Pferdes, dem Hornstoß einer Kuh, dem Biß eines Hundes, war er zu einem bloßen Impfer von Schweinen im ungefährlichen Alter gesunken: Farken-Willem! Den Namen trug er mit Recht, und er hatte sich auch nie gegen ihn aufgelehnt, gegen diesen Spottnamen, wenn sie ihn beim Freischlucken erbarmungslos so anriefen, immer war er ohne Würde und Mut gewesen ...

      ›Aber dieser Dr. Wilhelm‹, grübelte Doll dann wohl weiter, ›hat den Mut gehabt, zu tun, was ich zu tun nicht den Mut habe – obwohl ich Tag für Tag auch immer mehr verliere an Würde, Selbstachtung, Scham, Glauben und Hoffnung. Ich kann es nicht, und ich habe mir doch immer eingebildet, ein leidlich mutiger Mann zu sein. Aber er, der Feigling, hat es gekonnt. Er, der Feigling, den ich ins Gesicht schlug, er hat diesen Mut gehabt, und ich habe ihn nicht.‹

      Mit solchen Gedanken ging Doll an diesem Hause vorbei, immer mit solchen quälenden Gedanken beschäftigt, denen er um jeden Preis entgehen wollte, und denen er doch nicht entging, er mochte hinsehen oder nicht. Dann suchte er sich das Zimmer vorzustellen, in dem dieser Mann die letzte Stunde seines Lebens verbracht hatte, in dem er »das« getan hatte. Doll wußte, zuletzt hatte der alte Tierarzt fast nichts mehr besessen als Bett, Tisch und Stuhl, alles andere war für Alkohol dahingegangen. Er suchte sich den Mann vorzustellen auf diesem einzigen Stuhl, die Pistole lag auf dem Tisch vor ihm – waren vielleicht auch da Tränen über sein Gesicht gelaufen, hatte er vielleicht auch da »Oh –! Oh –! Oh –!« geflennt –?!

      Doll schüttelte den Kopf, er wollte sich dies nicht vorstellen, es quälte ihn zu sehr.

      Eines stand jedenfalls fest: der Alte mit der Lederhaut ließ Doll zurück, leer, voller Selbstvorwürfe und Zweifel. So vieles Sichere war in diesen Tagen nun schon zweifelhaft geworden, und über dem alten Tierarzt verlor Doll nun auch noch seinen so alten Haß und den Glauben daran, daß er ein mutiger Mann sei. Wahrscheinlich war er gar nichts, ein ausgeblasenes Ei; er hatte sich mit Selbsttäuschungen gefüttert, und nun zerging alles! Nichts blieb mehr von Doll.

      Wie gerne hätte er den Weg vorbei an diesem verschlossenen Hause überhaupt vermieden. Aber die Lage der auf einer Halbinsel gebauten Stadt zwang ihn immer wieder daran vorüber. Zwang ihn zu diesen quälerischen Gedanken. Erzwang von ihm das Geständnis, daß er nichts war, auch nie etwas gewesen war und in aller Zukunft, möge sie nun lang oder kurz sein, nichts sein würde als ein – Garnichts! Immer weiter ein Garnichts –!

      Da war es schon am besten, man sagte zu der jungen Frau: »Gut, er ist tot. Wir wollen ihn vergessen. Wir wollen nie mehr von ihm sprechen!«

      Es war eine Lüge. Nichts war gut, es konnte nichts vergessen werden. Aber was kam es denn heute noch auf eine Lüge an –?! Mochte die Frau ruhig denken, er haßte den alten Kerl immer noch so, wie er es vordem getan. Er konnte niemanden mehr hassen,

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