Der veruntreute Himmel. Franz Werfel
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Читать онлайн книгу Der veruntreute Himmel - Franz Werfel страница 4
»Es tut mir leid, daß ich Sie gestört hab', Fräul'n Teta. – Sie haben da Musik gemacht. – Das versteht sich von selbst in einem so musikalischen Haus.«
Auf Tetas mongolisches Gesicht trat ein erschrockenes Lächeln.
»Der gnä' Herr haben nicht gestört, wenn ich bittlich sein darf. Der gnä' Herr müssen ja spazierengehen.«
Und als ob sie untertänigerweise keine direkte Antwort wage, wandte sie sich wieder an den Hund:
»Wir haben nur gesungen ein bißl. – Was, Burschl? – Zwei kleine Liedln nur. – Nicht wahr, Burschl?«
Der Angeredete hob sich auf die Vorderpfoten, streckte den mürrischen Greisenkopf vor und stieß ein langes tremulierendes Geheul aus, das dem hilferufenden Tone eines Nebelhorns glich. Nach dieser Darbietung ließ er sich gleichgültig wieder fallen. Teta lachte ein kurzes gurrendes Lachen:
»Brav ist der Burschl, kann schön singen der Burschl. – Er versteht alles, was man sagt – mehr als mancher Mensch.«
Teta sprach mit einem harten slawischen Tonfall, der aber durch den österreichischen Dialekt seltsam gemildert klang. Sie trug ein schwarzes Kleid, dazu eine hellblaue Schürze und auf dem Scheitel eine weiße Krause. Ihre dünnen Haare, die noch auffällig braun waren, spielten im Wind. Ich sah mich um. Seit vielen Jahren schon war ich nicht auf dem Lindenplatzl gewesen. Unbegreiflich. Es war der Glanzpunkt des ganzen Parks. Nach Westen öffnete ein breiter Baumschlag den Durchblick auf die Spitzen und Grate des Toten Gebirges. Diese oberhalb der Vegetationsgrenze sich meilenweit erstreckende Bergwüste und Felsöde, ein großer weißer Fleck auf der Landkarte, der selbst die Ehrfurcht gewiegter Bergsteiger genießt, eine fremde, abgesondert strenge Welt inmitten bürgerlicher Alpenketten, wuchs, von hier gesehen, zu überwältigenden Maßen auf. Die bereits altgoldne Sonne stand darüber und färbte die zahllosen Schrunden, Risse, Schluchten und die gezackten Schatten der Felswände mit einem kosmischen Violett. Das breite Tal zwischen uns und dem Gebirgsstock verschwand in einem nebligen Blau, in dem jede Form verdunstete. Nur eine Fabriksirene und ein paar in der Ferne ratternde Autos bewiesen, daß es in dieser verschwimmenden Mulde noch menschliches Leben gab. Der weiche Grasboden ging unmerklich in die schwingende Walderde über, deren Nadelgeruch sich stellenweise zum Duft von zehntausend Zyklamen verdichtete.
»Sie haben sich da gar kein schlechtes Platzl ausgesucht, Fräul'n Teta«, sagte ich, »etwas Schöneres gibt's hier überhaupt nicht.«
Teta seufzte tief auf und sagte mit inständigem Ton:
»Ja, das ist eine Pracht dahier ...«
Zwischen dem Vokal A und dem nachfolgenden Konsonanten schaltete sie einen Zischlaut ein, so daß es klang wie »Prascht«, und sie schüttelte eine ganze Weile lang den Kopf, um ihrer Verwunderung über diese Pracht Ausdruck zu geben.
»Ich muß Ihnen auch noch vielmals danken, Fräul'n Teta« begann ich wieder, »weil Sie so nett für mich sorgen.«
»Wenn's dem gnä' Herrn nur schmeckt«, erklärte Teta kurz und begann, die Kräuter in ihren Korb zu tun.
»Nur zu gut schmeckt's mir. Man sieht's mir ja auch an. Ihre Küche verwöhnt einen zu sehr, Fräul'n Teta.«
»Die gnä' Herrschaft hat's so angeschafft«, sagte Teta und wies damit jedes eigene Verdienst von sich: »Jetzt aber muß ich gehn, Nachtmahl kochen.«
Eilig packte sie ihre Sachen zusammen, als habe unsere Unterhaltung schon die zulässige Dauer eines Gespräches zwischen Herrn und Magd überschritten. Dann verschwand sie mit Zitherkasten, Korb und Hund, schwerfällig trippelnden Ganges, unter den Lärchen. Ich sah ihr nach. Sie trug in der rechten Hand einen angeschnittenen Ast als Stock. Da sie aber meinen Blick im Rücken zu spüren schien, benützte sie die Stütze nicht, als schäme sie sich. Während ich weiterspazierte, wunderte ich mich darüber, daß ich soeben das erste längere Gespräch mit Teta geführt hatte. Sie diente schon beinah zwanzig Jahre im Hause Argan. Ich war ihr in der Stadt wie in Grafenegg immer wieder begegnet. Wir hatten stets nur einen Gruß getauscht. Das gleichgültige Gespräch dieses Nachmittags aber klang in mir fort. Irgend etwas Festes und Abgeschlossenes spürte ich an der alten Magd, das mich packte. Freilich, wenn mir jemand gesagt hätte, ich würde mich einmal wochenlang mit Teta beschäftigen, ich hätte ihn nicht verstanden. Und doch, schon jetzt beschäftigte ich mich mit Teta. Das Bild, wie sie, den blinden Hund dicht neben sich, eilig und schwerfällig im Walde verschwunden war, wich nicht von meinen Augen. Ich dachte daran, daß Teta eine unerreichte Meisterin ihres Faches war, was alle Freunde und Gäste des Hauses Argan wohl wußten, und daß man mit Fug und Recht von der »Koch-Kunst« spricht und nicht vom »Koch-Handwerk«. Denn diese wie jede andere echte Kunst – sie ist die Musik des Geschmackssinns – beruht auf dem Zusammenwirken von Begabung, Formgefühl, hingegebenem Fleiß und echter Persönlichkeit.
Zwei Tage später kam ich um die Mittagsstunde nach Hause und wollte meine Pfeife anzünden. Da mir aber die Streichhölzchen ausgegangen waren, mußte ich in die Küche gehen und Teta um Feuer bitten. Die Küche lag im Erdgeschoß am Ende eines langen Ganges. Als ich nun an die weißlackierte Tür kam, hörte ich ein lautes Gespräch, das mich hinderte, die Klinke niederzudrücken. Es war ein philosophisches Gespräch, das sich zwischen Teta, Burschl und dem Gärtner Bichler entsponnen hatte und das ich indiskret belauschte. Dieser Bichler, ein arbeitsloser Mechaniker mit einer blassen Frau und zwei verhungerten Kindern, war von Leopold Argan auf irgendwelche Empfehlungen hin vor Jahren als Gärtner und Hausbesorger in Grafenegg angestellt worden. Damals, als er ins Haus einzog, glich er mit seinen hohlen Wangen und brennenden Augen einem gekränkten Säulenheiligen, der sein Opfer verschmäht sieht. Inzwischen aber schien sich mit zunehmendem Körpergewicht auch seine Seele verändert zu haben. Der Mensch hatte seltsame Rosinen im Kopf, trug eine Samtjoppe, langes Haar, flatternde Krawatten, sog wie ein Löschblatt alle radikalen Parolen des Tages auf, malte Aquarell, bastelte Radio und verlungerte, weil er sich für ein unterdrücktes Genie hielt, ansonsten den lieben Tag. Frau Bichler hingegen plagte sich redlich. Seinetwegen aber mußte man zweimal des Jahres Hilfskräfte aufnehmen, damit Nutzgarten und Park nicht gänzlich verfalle. Leopold und Livia waren nicht die Menschen, den Tagedieb mit seinen armen Kindern auf die Straße zu setzen, sosehr er auch seine Pflicht vernachlässigte und ihnen auf die Nerven ging. Meines Wissens hatte Livia während unserer ganzen Bekanntschaft nur ein einziges Mal ein Hausmädchen Knall und Fall entlassen müssen. Und danach war sie beinahe krank gewesen vor Unbehagen wegen dieser jähen Kündigung. Jetzt hörte ich Herrn Bichler sprechen. Er hatte eine hohe, enge, zugleich eifernde und wehleidige Stimme:
»Ich hab' einen Freund gehabt«, sagte er, »einen gewissen Hromada, der war bei der Anatomie bedienstet, in der Währinger Straße. Hunderte von Leichen, sag' ich Ihnen, hat der Hromada seziert, und er hat nirgends nicht ein Organ gefunden, wo hätt' eine unsterbliche Seele drin sein können, meiner Seel'. – Überhaupt, eine gescheite Person wie Sie, Fräul'n Teta, sollt' andere Ansichten haben. – Auch ich bin nicht viel in die Schul' gegangen, aber das muß ich sagen, ich hab' mich fortgebildet.«
»Wer red't denn mit Ihnen über solche Sachen«, entgegnete Tetas Stimme brummig. Dann hörte ich, wie sie unwirsch durch die Küche schlurfte, um nach einer Weile den Hund anzureden: »Spandln für die Feuerung werden wir brauchen, nicht wahr, Burschl, und eine Butte Kohlen.«
Bichler