Der veruntreute Himmel. Franz Werfel
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Dann aber ging sie zum Herd, wärmte Kaffee auf, zog unter ihrem Bett einen beiseite geschafften Guglhupf hervor und servierte ihren Gästen den Imbiß. Der kleine Mojmir entwickelte für sein Alter einen hochansehnlichen Appetit und bat dreimal um eine weitere Kuchenschnitte, wobei die beschämte Mutter Tränen in die Augen bekam und aufschluckte:
»Das muß ich sonst alles schaffen mit meiner Hände Arbeit, eine alleinstehende Witwe.«
Beim Abschied aber, nachdem sie sich die ganze Zeit über kühl und ziemlich unzugänglich verhalten hatte, sagte Teta plötzlich: »Wegen dem Buben da werd' ich mit der gnä' Frau Hofrätin bittlich sprechen.«
Zuletzt holte sie eine Nickelmünze hervor und steckte sie dem Mojmir zu. Die Hand des Jungen schloß sich schnappend um das Geldstück wie der Rachen eines Raubfisches.
In Erfüllung ihres Versprechens trat Teta am nächsten Tag festlich gekleidet und mit ihrem umständlichsten Knicks in den Salon der Gebieterin. Diese neigte der Bitte ihrer Magd freundlich das Ohr und erwirkte bei ihrem Gemahl, den Sektionsrat des Unterrichtsministeriums, daß der Linek Mojmir aus Hustopec einen Freiplatz am Gymnasium und Internat zu Olmütz erhielt. Während Teta nämlich im Lichte des Küchenfensters das sommersprossige und inhaltslose Knabengesicht betrachtet hatte, war in ihrer Seele der große, bisher nur undeutlich umträumte Lebensplan zu fester Gestalt gediehen.
Mit vierzig Jahren hatte Teta bereits dasselbe Altfrauengesicht wie später mit sechzig. Sie erfuhr demnach an sich selbst, wenn sie in den Spiegel schaute, die bedenkliche Kürze dieses Erdenlebens. Ein Tag folgte dem andern, zuerst in gemächlichem, dann in beschleunigtem Ablauf, und kein Tag unterschied sich vom andern. Es war immer dasselbe: erwachen, ankleiden, Morgenmesse, Feuer machen, Frühstück kochen, aufräumen, einkaufen gehen, Mittagessen zubereiten, Geschirr waschen, Tee oder Kaffee am Nachmittag, die verausgabten Summen zusammenrechnen, Abendessen richten, Geschirr waschen, die Küche säubern, schlafen gehen. Teta beklagte sich keineswegs über diesen eintönigen Wandel. Sie arbeitete gern. Sie konnte nicht behaupten, daß dieses Leben für sie ein Jammertal war. Den meisten andern Weibern erging es weit schlimmer. Die hatten zu aller Plage noch Not und Tod im Haus, Lungerer oder Trunkenbolde oder Arbeitslose oder Kriegssoldaten oder verkommene Heimkehrer als Männer; Fehlgeburten, kranke Kinder, alle paar Jahre eine Leiche auf der Bahre und tagaus, tagein nichts als Gefrett und Unglück. Wenn auch dergleichen Schreck und Schmerz Teta erspart blieb, so fühlte sie doch, daß ihr mit all diesen bösen Dingen zugleich etwas entging, was die unglückseligste Ehefrau im Umkreis besaß, mochte sie's auch allstündlich verfluchen. DieUngebundenheit, zu der sich Teta lebhaft bekannte, enthielt zweifellos neben dem Gleichmaß und der Sorglosigkeit ihrer Tage eine gewisse Ödigkeit, die sich zumeist an Sonn- und Feiertagen bemerkbar machte. Teta war daher Mitglied des Vereines katholischer Jungfrauen geworden, und das Ansehen, das sie sich unter ihren Bundesschwestern dort erwarb, bildete eine Milderung jener Öde und brachte in späteren Jahren manche Anfälligkeiten der früheren Zeit zum Verschwinden. Doch wie man's auch nimmt, das Leben war, was es ist. Vor allem war's aber gar nicht das eigentliche Leben, sondern nur eine sonderbare Unterbrechung, eine Art Ausflug oder Urlaub, in den man zu unbekanntem Zweck gesandt wurde. Das lehrten die geweihten Männer, die hoch über allen anderen Menschen standen und die es daher wissen mußten. Das eigentliche Leben begann nachher.
Für dieses wahre Leben nun galt es klug vorzusorgen, denn was bedeuteten siebzig immer kürzere Jahre gegen den dauernden und unkündbaren Posten, den der Mensch anzutreten hatte, wenn es soweit war? In die Ewigkeit nämlich konnte man vom Urlaub nicht ohne weiters heimkehren, so, als sei nichts Wichtiges vorgefallen. Gewisse Hindernisse stellten sich dieser Heimkehr in den Weg. Die drei Aufenthaltsorte drüben standen der Wahl des Heimkehrenden nicht frei. Von dem untersten, dem feuerpeinlichen, schützte in hohem Grade Beicht und Buße und Kommunion. Teta wußte genau, daß sie keine schneeweiße Seele habe und alle Tage unverbesserlich ihre Köchinnensünden begehe. Doch sie empfing fleißig die heiligen Gnadenmittel, die sie zeitweilig von den unerbittlichen Folgen lossprachen, und hoffte fest, daß sie nicht für so schlecht erkannt sei, daß der Tod ihr werde in unabsolviertem Zustand auflauern dürfen. Immerhin! Etwas ganz Bestimmtes konnte man nicht wissen und mußte sich daher vorsehen jederzeit. – Was den mittleren Ort, das Fegfeuer, betrifft, so war es klar, daß keine arme Seele dieser vermutlich sehr unbehaglichen Reinigungsstätte entgehen konnte. Teta besaß darüber traumhafte, aber doch ziemlich ausgebildete Vorstellungen. Eine ungeheure Badeanstalt mochte sich an jenem Orte befinden, wo anstatt des Wassers hellblau flüssiges Feuer wie von Weingeist in die Wannen läuft und aus den Duschen sprüht, wobei die betroffenen Seelen mächtige elektrische Bürsten ausgiebig zu spüren bekommen. Der Gedanke an diese unumgängliche Notwendigkeit war ihr durchaus nicht erwünscht, aber Wirksames ließ sich dagegen nicht unternehmen, und schließlich war die Reinigung der Seelen zeitbegrenzt und setzte deren ungehinderten Aufstieg in die dritte, einzig erstrebenswerte Wohnstätte voraus. Denn nur um den Himmel dort oben ging es. Ihn mußte man, solange es noch Zeit war, hier unten verdienen und den endgültigen Sitz gegen alle Gefahren sichern. Was aber war dieser Himmel, an dessen Blau man sich tagsüber freute und dessen Sternenmantel man nachts mit einer heimlichen Furcht betrachtete? Der Mensch besitzt, seiner düsteren Veranlagung gemäß, weit mehr Vorstellungsgabe für das Grausige als für das Wonnige. Bekanntlich ist Dantes Hölle viel plastischer geraten als sein Paradies. Auch Teta hatte von dem seligen Wohnort in der blauen Höhe, um den sie mit kluger Umsicht bemüht war, nur ein sehr unbestimmtes Bild. Am ehesten noch dachte sie an eine schwebende, licht gebaute Großstadt mit einer unermeßlichen Anzahl hübscher Pensionen mitten in weiten Gartenanlagen, wo jede Seele ein klösterliches, aber komfortables Zimmerchen besaß, in dem man sich des nunmehr unverwundbaren Daseins freuen durfte. Alle Verstorbenen ihrer Art waren somit Pensionäre Gottes, die weder an Erwerb denken noch Miete bezahlen mußten. Ob im Himmel immer nur Sonntag herrschte oder ob dort wegen des Zeitvertreibs auch eine Werkwoche eingeführt war, das blieb dahingestellt. Die Hauptsache aber, um die es ging: Das liebe Ich war dort für alle Ewigkeit gerettet. Teta, wie sie leibte und lebte, die vollzählige, die vollinhaltliche Teta ohne den geringsten Abstrich, die leiseste Änderung, Teta, wie sie an sich selbst gewöhnt war von Kind auf, sie würde drüben aufgehoben sein, ohne befürchten zu müssen, auch nur die kleinste Kleinigkeit ihres Wesens zu verlieren. So besehen, büßte der irdische Tod, der ja nur das unterbrochene eigentliche Leben wiederherstellte, all seine Schrecken ein.
Freilich, dieses himmlische Ziel sich auf Erden zu verdienen, das konnte nur einem Schwachkopf leicht erscheinen. Eine mißtrauische und berechnende Seele war sich der unaufhörlich vom Bösen Feind entsandten Gefahren bewußt, die sie ins Verderben zu reißen suchten. Wie aber diesen Gefahren begegnen? Da gab es vor allem als bestes Hilfsmittel die pünktliche Erfüllung der religiösen Pflichten, die man womöglich noch um freiwillige Lasten vermehrte. Gut! Diese Pflichten gingen in Fleisch und Blut über mit der Zeit. Daß sie dies aber taten und im Lauf der Jahre, anstatt ein Opfer zu bedeuten, sich in eine unentbehrliche Gewohnheit, ja zu einer stetigen Freudigkeit entwickelten, das verminderte in den Augen eines skrupelhaften Gewissens den Wert ihres Verdienstes. Es standen daher noch die sogenannten »guten Werke« als Hilfsmittel des Heils zur Verfügung. Mit diesen guten Werken aber war es schlimm bestellt. Zum ersten: Die Gelegenheit, solche zu vollbringen, zeigte sich äußerst selten. Und zweitens: Bot sich einmal diese seltene Gelegenheit, so versagte zumeist das schwache Fleisch. Welchen Kraftverbrauch kostete es schon, eine Sünde nicht zu begehen, der Hausfrau zum Beispiel die frischen Erdbeeren zum richtigen Marktpreis anzurechnen, ohne ein paar Groschen aufzuschlagen? Dieses negative Exempel beweist schon, was für unerschwinglichen Aufwand eine echte, aktive, gute Tat voraussetzt. Da muß der Verstand sich verdunkeln, das Herz überlaufen und gegen den eigenen stets aufbegehrenden Vorteil handeln. Die alte Jungfrau konnte ihre guten Taten an den Fingern einer Hand abzählen. Sie genügten nicht. Nein, um sich des Himmels gegen die unaufhörliche Gefährdung zu versichern, galt es, einen radikaleren, einen praktischeren Weg einzuschlagen. Hatte nicht der Herrgott selbst einen Mittler herabgesandt, um den Menschen, die sich mit den vielen Sünden und den wenigen guten Taten abplagten, zu Hilfe zu kommen? Konnte man diesem großen Beispiel nicht folgen und sich