Der veruntreute Himmel. Franz Werfel

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Der veruntreute Himmel - Franz Werfel

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die große Stunde der Ordination, der Priesterweihe, kommen, in der sich ein gleichgültiger junger Mann durch das Handauflegen des Oberhirten wundersam in ein fast überirdisches Wesen verwandelt, um daraufhin aus erschütterter Seele sein erstes heiliges Meßopfer darbringen zu dürfen. War's nicht eine verführerische Vorstellung, bei dieser ersten Messe sich gegenwärtig zu träumen und süßklopfenden Herzens sich des Werkes zu freuen, das man mit zäher Unnachgiebigkeit zustande gebracht hatte? Dann wird der dankbewegte Primiziant sein reinstes Gebet für die Wohltäterin einflechten, womit der eigentliche Teil des großen Lebensplanes ins Stadium der Erfüllung tritt. Sollte man sich das Geschenk einer solchen Feierstunde, die einzig im Leben ist, entgehen lassen, zumal nachher mit der Amtserhebung des jungen Priesters die Zeit der Opfer beendet sein und man sich wiederum ein bißchen wird rühren dürfen? Im Hinblick auf diese Stunde kämpfte in Tetas Seele die eingefleischte Sparsamkeit einen harten Strauß mit dem Wunsche, der Erstmesse eines Priesters beizuwohnen, der dieses nicht minder von ihren als von Gottes Gnaden war.

       Der Neffe selbst bewies die Rücksicht, diesen Kampf aus eigenem zu entscheiden. Und er entschied ihn im Sinne der Sparsamkeit. Gegen Ende seines zwölften Semesters kündigte er seine nahe Ausweihung an, ließ aber Zeit und Ort im unklaren. Eines Tages in Grafenegg – Teta hatte längst schon ihren Posten bei den Argans angetreten – empfing sie in eingeschriebener Sendung das Bild des jungen Geistlichen im Chorrock, einen Rosenkranz, mehrere kleinere Heiligenbildchen und ein auf dem Papier des erzbischöflichen Ordinariats verfaßtes Zeugnis, worin dem Mojmir Linek von einer unleserlichen Unterschrift das Allerbeste nachgerühmt wurde. Ein prächtiger Brief lag bei, der für den Zartsinn des Geweihten kein schlechteres Zeugnis ablegte, als es das amtliche war. Das Tantchen sei nicht mehr jung, hieß es in dem schönen Brief, und abgeplagt und befinde sich mit der Herrschaft zur Zeit auf dem Lande, wohl mehr als zwanzig Schnellzugstunden von dem trauererfüllten Neffen entfernt. Er habe unter bitteren Tränen eine schlaflose Nacht verbracht, ehe er sich dazu entschloß, seinen großen Ehrentag zu begehen, ohne Tantchen vorher zu verständigen. Die Verantwortung aber habe er nicht auf sich nehmen können, in dieser unerträglichen Sommerhitze seine zweite Mutter einer solchen Reise auszusetzen, wobei Tantchen vermutlich bereits am nächsten Tage unter denselben Strapazen wieder hätte heimkehren müssen, vorausgesetzt überhaupt, daß auf einem vornehmen Landsitze ein Urlaub statthaft sei zur Zeit. Der Gedanke an eine durch diese Reise hervorgerufene Erkrankung Tantchens einerseits sowie an eine Mißstimmung der Herrschaft andererseits habe ihm schwer auf der Seele gelegen. Als er aber zum ersten Male als Zelebrant an den Altar getreten sei, da habe er sich kaum aufrecht halten können vor Wehmut in der Freude. Überall habe er sie gesehen, die Urheberin seiner Auserwählung, sie, die er kaum kenne. Schon während des Introitus sei ihm das erste stille Gebet für die Wohltäterin aus der Seele gedrungen.

      Ihm sei, so fuhr er fort, eine Stelle als Kooperator in Aussicht gestellt worden. Er werde dieses Amt bei einer Vorstadtpfarre demnächst in Demut antreten, aller Leiden und Prüfungen seines hohen aber schweren Berufs gewärtig. Seine schönste Aufgabe aber wolle er stets darin sehen, Tantchen mit Inbrunst in sein tägliches Gebet einzuschließen und ihr damit geistlicherweise Dank abzustatten, um einst in späterer Zeit diesen Dank zu verhundertfachen und als Sohn mit persönlicher Fürsorge zu verbinden. Im Postskriptum dieses herzbewegenden Briefes fügte er hinzu, daß eine letzte größere Zuwendung sich leider als notwendig erweise. Seine Wäsche sei zerrissen, wie Tantchen sich's denken könne, sein Schuhwerk ohne Sohlen. Aller Mittel und jeder Hilfe bar, wisse er nicht, womit er die teuren Anschaffungen bestreiten solle, um als Gottesmann in allen Lagen würdig bekleidet und gestiefelt einherzutreten. Auch hätten sich gewisse der Armut entsprungene Schulden angehäuft, die für einen Studenten verzeihlich sind, einem Priester aber nicht wohl anstehen. Er müsse sie unverzüglich zurückzahlen, ehe er in Gottes Namen seinen Weg beginne. Alles zusammengerechnet werde er bei größter Knappheit diesmal unter einem Tausender nicht auskommen.

       Teta setzte sich auf ihren Küchenstuhl und las den Brief wohl zehnmal von Anfang bis Ende durch. Die Fotografie lag auf ihrem Schoß. Wenn sie sich in das Bildnis versenkte, glaubte sie an den edlen und schmalen Asketenzügen wie von ferne, wenn auch durch Studium und Weihe verklärt, das Gesicht des Jungen durchschimmern zu sehen, der sie vor vollen achtzehn Jahren durch seine schallende Deklamation zur Verwirklichung ihres Lebensplanes überredet hatte. Ernst und unnahbar war Mojmirs schönes Gesicht, daß ihr das Herz aufging davon. Ernst war sogar hinter dem Jünglingskopf das Gewölk, das die Stirn feierlich zu runzeln schien. Nun war das gute und das fromme Werk getan, dessen Verdienst einzig ihr angehörte. Mußte der Herrgott selbst ihr nicht dankbar sein? Nur durch ihre entbehrungsvolle Treue wurde jetzt täglich in der Welt eine Messe mehr gelesen; eine Hand mehr spendete den Leib des Herrn aus. Sie, die Köchin Teta Linek, hatte somit die Dienerschaft Christi auf Erden vergrößert und das Heil der Welt vermehrt. Sie atmete tief und bekreuzigte sich. Dann aber nahm sie Brief, Bild und Zeugnis und ging damit zu Livia Argan. Sie machte ihren altgewohnten Knicks und bat, die Gnädige möge ihr den Lohn eines Jahres im voraus und auf einmal bezahlen. Die Herrin las die Dokumente aufmerksam durch und empfing von Mojmirs Stil und den Begleitumständen einen Eindruck, über den sie selbst nicht gleich ins klare kam. Livia aber wäre nicht Livia gewesen, hätte sie die Bitte ihrer Magd abgeschlagen. So wanderte ein schöner runder Tausender zu dem jungen Priester, damit er in würdig neuer Ausrüstung sein Amt antrete.

      Die Argans bezahlten, ihrer großherzigen und leichtsinnigen Art gemäß, ihr Personal besser als andere Häuser. Teta zum Beispiel erhielt damals einen Monatslohn von hundertdreißig Schilling. Sie war in einem gastfreien Hause, das mittags und abends nur zu oft einer Einkehrstätte glich. Dies verdoppelte und verdreifachte ihre Arbeit, so daß die Alternde manchmal gar nicht mehr nachkommen konnte. Mit verdrießlicher Hast fuhrwerkte sie in ihrer Küche herum und verfiel solcher Unpünktlichkeit, daß man ihr heimlich den Minutenzeiger der Uhr vorrückte. Andrerseits aber verging kein Tag, an dem es nicht üppige Trinkgelder regnete. Die Kasse der gewiegtesten aller Sparerinnen füllte sich daher schnell wieder auf.

       Eine Zeitlang fehlten in den ebenso schwungvoll verfaßten wie kalligraphierten Briefen des jungen Kooperators die leidigen Nachschriften, obwohl in Nebensätzen jedesmal auf »Mutter Sorge« hingewiesen wurde, die ihn nicht freigab. Die Gewöhnung aber hatte sich schon so tief in Tetas Seele eingegraben, daß sie immer wieder Liebesgaben herrichtete und dann und wann auch kleine Geldgeschenke sandte. Sie tat's jedoch nicht nur aus Gewöhnung und weiblicher Obsorge, sondern auch aus einer dunklen Angst, sie könnte die Verbindung mit ihrem Mittler plötzlich verlieren, dessen große Aufgabe ja noch lange nicht vollendet war. Täglich am Morgen und am Abend starrte sie sein Bild an, das nun über ihrem Bette hing, stets mit edlen Blumen geschmückt. Noch immer war in ihr keine Liebe zu dem Ziehsohn erwacht, den sie durch ihrer Hände Arbeit erworben hatte, ohne ihn mehr als ein einziges Mal im Leben gesehen zu haben. An Stelle der früheren Gleichgültigkeit aber trat jetzt eine mütterlich eitle Schwärmerei für ein geweihtes und unendlich überlegenes Wesen, das zwar nicht ihrem Schoße, dafür aber um so mehr ihrem Willensentschluß entsprungen war. Sie allein hatte es vermocht, den sommersprossigen Bauerntolpatsch in diesen ätherisch sinnierenden Jüngling zu verwandeln, der beinahe dem betenden Einsiedler auf ihrem geliebten Farbdruck glich.

      So vergingen einige Jahre, in denen der Neffe in geräumigen, aber regelmäßigen Abständen über seine Gehilfentätigkeit an der Pfarrkirche von Straschnitz Bericht legte. Er klagte darüber, daß diese Tätigkeit zumeist sehr düstere Ämter beinhalte, als da sind Einsegnungen, Begängnisse, Grabreden und Seelenmessen. Auf ihm laste alle Arbeit, während die Trauergebühren und die von den Hinterbliebenen freiwillig entrichteten Geschenke zumeist dem älteren Herrn zugute kämen. So stehe auch hier wie überall anders das grimmige Alter der aufstrebenden Jugend feindlich im Wege. – Teta war nicht übel zufrieden mit diesen düsteren Ämtern, bildeten sie doch eine glänzende Vorschule für den wichtigsten Dienst, den der Berufene ihr selbst einst würde zu leisten haben.

       Einmal wäre es fast zu einem Besuche Mojmirs gekommen. Der Neffe teilte Teta mit eifrigen Worten mit, daß er sich sehne, ihr endlich Aug in Aug gegenüberzustehen, und jetzt gerade habe er Zeit und eine billige Möglichkeit der Reise nach dort, und sein Herz poche vor Freude beim Schreiben, und das Ganze lasse sich unschwer

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