Der veruntreute Himmel. Franz Werfel
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Читать онлайн книгу Der veruntreute Himmel - Franz Werfel страница 12
Teta las den Brief des also ruhmlos Heimgekehrten mit Tränen in den Augen. Diese Tränen aber entflossen weniger dem Mitleid als der unsagbaren Erleichterung, ihren geweihten Neffen am Leben zu wissen. (Daß sie aus Feuerland keine Post erhalten hatte, war ihr in Anbetracht der dortigen Einöde ganz selbstverständlich erschienen.) Sie dankte dem Himmel, daß ihr Lebensziel durch Mojmirs überschwenglichen Leichtsinn und sträflichen Mutwillen nicht in die Brüche gegangen war. Nun kannte sie den zweifelhaften und gefahrdrohenden Charakter des Neffen zur Genüge. Sie hatte das Unglück gehabt, keinen besseren Vollstrecker ihrer Absichten zu finden als diesen unruhigen, faulen, haltlosen Burschen, der das Geld verschlang wie ein hohles Faß. – Der Sohn eines Trinkers, seufzte sie. Doch dann besah sie schnell die edle Fotografie überm Bett, um sich von solchen ungehörig kritischen Anwandlungen zu befreien. Mochte Mojmir sein, wie er wollte, er war ein Geweihter, er war berufen, zu binden und zu lösen, er hielt den Schlüssel des Himmelreiches in der Hand, auch ihres Himmelreiches. Er war gewissermaßen ein schwacher Mensch nur imNebenamte. Sie mußte ihn mit all seinen Fehlern, Begehrlichkeiten, Abgründen hinnehmen, denn so spät im Leben blieb ihr keine andere Wahl. In seinem Hauptamte war der Neffe noch immer der verklärte junge Priester auf dem kleinen Bilde, der nach ihrem Hinscheiden unzählige heilige Seelenmessen für ihr ewiges Wohlbefinden lesen würde. In Stunden des Zweifels gab ihr die alte Fotografie neue Kraft. Stand nicht zu hoffen, daß Mojmir nach den grausamen Erfahrungen seiner Missionsreise endlich Ruh' und Genügen finden werde und ein sicheres Auskommen wie alle anderen Hochwürdigen sonst? Sein Bildnis sagte auf diese Frage hundertmal ja. Teta nahm ihren während der Abwesenheit des phantasievollen Forderers angeschwollenen Sparschatz aus dem Koffer, zählte eine größere Summe ab und schickte diese mit dem ausdrücklichen Vermerk nach Prag, sie allein der vorgeschriebenen Kur und den notwendigen Medikamenten zu widmen. Der geistliche Neffe mußte gesund sein und stark und langlebig, das war die Hauptsache. Nicht aber anfreunden konnte sich Teta mit der Vorstellung eines gelbgesichtigen Glatzkopfes und Hinkebeins in Stola und Dalmatika. Sie verbannte daher diese realistische Vorstellung willenskräftig aus ihrem Bewußtsein.
Mit den Geldsendungen Tetas war's eine eigene Sache. Wie Sparwut und Habgier, so hatte sich auch diese Gewohnheit tief in die Seele der alten Jungfrau eingebürgert. Wenn sie auch vor sich selbst über die ewigen Notrufe des Unersättlichen stöhnte und fluchte, die ständige Obsorge für einen jungen Mann, der Weg aufs Postamt, das Einschreiben der Geldbriefe, das Sammeln der Empfangsbestätigungen, all das war durch jahrzehntelange Wiederholung zu einem inneren Bedürfnis geworden, das die leeren Räume des Gefühls angenehm ausfüllte. Der Kooperator Mojmir Linek durfte sich also auf seinen weiteren Irrwegen einer ziemlich sicheren Sustentation erfreuen. Diese Irrwege aber waren zahlreich, denn der Neffe, anders als die Tante, sah sich veranlaßt, fast jedes halbe Jahr seinen Arbeitsplatz zu wechseln. Teta aber schämte sich seiner in dieser Periode. Sie ging mit Mojmirs Briefen nicht mehr zu Livia Argan, wie sie's in früheren Jahren dann und wann der Deutung schwieriger Stellen wegen getan hatte.
Es mußte erst der gegenwärtige Sommer des Jahres 1936 herannahen, in welchem Teta einen so wichtigen Brief in der bekannten Rund- und Schönschrift erhielt, daß sie mit diesem nicht ohne leisen Triumph vor ihre Herrin trat. Es war nicht nur ein unerwarteter, sondern ein ausnehmend herzensschöner Brief, der den gewiegten Kalligraphen von einer neuen Seite zeigte. Er lautete folgendermaßen:
»Eine erfreuliche Nachricht diesmal, teures Tantchen, und eine angenehme Überraschung für Sie, wie ich hoffe. Unsre Gebete sind erhört worden. Es ist mir gelungen, mich meiner bisherigen Diözese zu entziehen, in der ich nur Hasser, Verfolger und Todfeinde habe, vom Erzbischof hinunter bis zum schmutzigsten Sakristan. Ich werde in den mährischen Sprengel aufgenommen, aus dem die Eltern stammen und auch Sie, meine Mutter geistlicherweise. Jubilieren Sie also, altes gutes Tantchen, denn der achtzigjährige Pfarrer von Hustopec legt heuer im Spätherbst sein Amt nieder, und schon vor Advent hoffe ich sein Nachfolger zu sein. Das ist alles bereits gebrieft und gesiegelt, und es müßte der Gottseibeiuns selbst die Hand im Spiele haben, damit alles wieder zu Wasser werde, wie so oft in meinem Leben. Doch freuen wir uns und loben wir Gott und vergessen wir alles Bittere der Vergangenheit! Erinnern Sie sich noch an das schöne alte Pfarrhaus unseres Fleckens? Man wird's herrichten müssen – mein greiser Vorgänger soll ein unverbesserlicher Schmutzfink gewesen sein –, man wird elektrische Beleuchtung einziehen und fließendes Wasser und Telefon und ein Badezimmer installieren. Auf dem flachen Lande kann das ja alles kein Vermögen kosten. In diesem Hause aber will ich meine Tage beschließen, dort will ich Sonnenblumen großziehen und schöne rote Rosenstöcke und Bienen züchten. Die Hauptsache aber, Tantchen, hören Sie nur: Wenn Sie der ewigen Arbeit überdrüssig sind und endlich Feierabend machen wollen, dann kommen Sie zu mir, das heißt zu uns nach Hustopec! Dort wollen wir Seite an Seite leben, bis Gott einen von uns abberuft. Dann wird die ersehnte Zeit gekommen sein, daß ich Sie dankbar pflegen und verwöhnen und verhätscheln darf. – Verzeihen Sie, es fällt mir nicht leicht, diese weichste Stelle meines hartgekämpften Herzens zu öffnen. Aber ich träume davon, wie es sein wird, wenn wir uns wiedersehn nach mehr als dreißig Jahren, nach einem so langen gemeinsamen Lebensweg, der uns doch niemals zusammengeführt hat. – Schreiben Sie mir, bitte, sofort, was Sie über diese Sache denken.«
»Und was denken Sie wirklich über diese Sache, Teta«, fragte Livia Argan, nachdem sie den Brief der Magd zurückgegeben hatte. Ein zugleich sanftes und listiges Lächeln überspülte das Mongolengesicht der alten Frau:
»Ah nein, mit Erlaubnis, Gnädige, die Teta kann gottlob noch arbeiten trotz der wehen Füß'! – Und solang mich die gnä' Herrschaft behält und solang's nicht auf die Letzt geht mit mir, ah nein, da werd' ich keinem zu Last fallen!«
»Ich glaub', Teta, Sie haben ganz recht«, meinte Livia nach einigem Nachdenken.
Die alte Magd aber hob mit einer zögernd bittenden Gebärde den Brief hoch und sagte:
»Aber schön hat er doch geschrieben, der Mojmir, finden nicht, die gnä' Frau?«
Livia hatte einen großen Teil der obigen Begebnisse in ihrer unnachahmlichen Art dargestellt, die gemischt war aus teilnehmend naher Schilderkraft und aus einem reizenden Spott, der alles wieder ins Ferne rückte. Diesen Zug hatte Doris von ihr geerbt. Die Sonne begann wieder zu stechen. Wie so oft im August, rückte das alte Gewitter seine Kulissen von neuem zusammen und rüstete sich zu einer Reprise seiner Vorstellung.
»Ich wundere mich nur«, sagte ich, »wieviel dieser Bursche wagt – er treibt die Sache immer auf die Spitze. – Hätte, ganz abgesehen von allem Früheren, nicht schon die Geschichte mit der feuerländischen Mission auffliegen müssen, wenn Teta in Sankt Gabriel wirklich nachgeforscht hätte? – Und dann, was wird geschehen, falls sie einmal doch ja sagt und nach Hustopec geht, um mit ihrem Liebling das Pfarrhaus zu beziehen?«
»Theo, du weißt doch genau«, versetzte Livia, »daß jeder echte Spieler die Dinge auf die Spitze treibt und daß es gerade die Lust aller Betrüger ist, bis an die letzte Grenze zu gehen. – Auf den Linek kann man sich blind verlassen. Wenn er nur erst das Geld für die Herrichtung des Pfarrhauses in der Tasche hat – die unglaublichste Frechheit ist ja dieses Badezimmer – dann werden seine Todfeinde schon dafür sorgen, daß er im letzten Augenblick das Amt nicht bekommt.