Worin besteht mein Glaube. Лев Толстой

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Worin besteht mein Glaube - Лев Толстой

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geschienen, sie bezögen sich direkt auf mich und von mir allein werde deren Befolgung verlangt.

      Wenn ich diese Regeln las, überkam mich stets eine freudige Gewissheit, ich könne sogleich, von dieser Stunde an, alles das tun, was verlangt wird. Und ich wollte es tun und versuchte es; kaum aber fühlte ich einen Kampf bei der Ausführung, so erinnerte ich mich unwillkürlich der kirchlichen Lehre darüber, dass der Mensch schwach sei und das nicht aus eignen Kräften vollbringen könne – und ich wurde schwach.

      Man sagte mir, ich müsse glauben und beten. Ich aber fühlte, dass mein Glaube gering sei und dass ich deshalb nicht beten könne. Man sagte mir, ich müsse beten, Gott möge mir den Glauben geben, den Glauben, der das Beten lehrt, welches jenen Glauben gibt, welcher jenes Beten lehrt u. s. w. ohne Ende.

      Aber Vernunft und Erfahrung zeigten mir die Unzulänglichkeit dieses Mittels. Mir schien stets, dass nur meine Bemühungen die Lehre Christi zu befolgen wirklich von Nutzen sein könnten.

      Und nun, nach vielem, vielem vergeblichen Suchen und Erforschen dessen, was darüber geschrieben worden war zum Beweise der Göttlichkeit dieser Lehre und zum Beweise ihrer Nichtgöttlichkeit, nach vielen Zweifeln und Leiden war ich wieder allein geblieben mit meinem Herzen und mit dem geheimnissvollen Buche vor mir. Ich konnte diesem Buche nicht die Bedeutung geben, die andere ihm gaben, und vermochte ihm weder eine andere beizulegen noch mich von ihm loszusagen. Und erst nachdem ich alles Zutrauen verloren in alle Erklärungen der gelehrten Kritik sowohl wie in alle Erläuterungen der gelehrten Theologie, und sie alle von mir geworfen nach dem Ausspruch Christi: so Ihr mich nicht aufnehmet wie die Kinder, kommt ihr nicht ins Himmelreich ..., da erst begriff ich plötzlich das, was ich bisher nicht begreifen konnte. Und ich begriff es nicht durch künstliches, scharfsinniges Zersetzen, Vergleichen, Erklären; im Gegenteil, es wurde mir alles offenbar dadurch, dass ich alle Erklärungen vergass. Die Stelle, die für mich zum Schlüssel des Ganzen wurde, war die Stelle aus dem 5. Kapitel Matthäi, Vers 38, 89: »Ihr habt gehöret, dass da gesagt ist: Auge um Auge, Zahn um Zahn. – Ich aber sage euch, dass ihr nicht widerstreben sollt dem Übel« ... Plötzlich, zum erstenmal verstand ich diesen Vers gerade und einfach. Ich verstand, dass Christus gerade das sagt, was er sagt. Und sofort war es mir, nicht als sei etwas Neues entstanden, sondern als sei alles abgefallen, was die Wahrheit verdunkelt, und die Wahrheit erstand vor mir in ihrer ganzen Bedeutung. »Ihr habt gehöret, dass da gesagt ist: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Ich aber sage euch, dass ihr nicht widerstreben sollt dem Übel.« Diese Worte erschienen mir plötzlich ganz neu, als hätte ich sie nie vorher gelesen.

      Wenn ich früher diese Worte las, liess ich stets, wie in einer eigentümlichen Befangenheit, die Worte: »Ich aber sage euch, dass ihr nicht widerstreben sollt dem Übel«, unbeachtet Ganz als ob diese Worte gar nicht da wären, oder als hätten sie gar keine bestimmte Bedeutung.

      Später, in meinen Gesprächen mit vielen, vielen Christen, denen das Evangelium bekannt war, habe ich oft Gelegenheit gehabt bezüglich dieser Worte dieselbe Bemerkung zu machen. Dieser Worte erinnerte sich niemand, und oft geschah es, wenn die Rede auf diese Stelle kam, dass die Christen das Evangelium zur Hand nahmen um nachzuschlagen, ob auch diese Worte darin ständen. So hatte auch ich diese Worte übersehen und erst von den folgenden Worten zu begreifen begonnen: »So dir jemand einen Streich gibt auf deinen rechten Backen, dem biete den andern auch dar«... u.s.w. Und immer sah ich in diesen Worten eine Forderung, zu leiden und zu entsagen, wie es der menschlichen Natur gar nicht eigen ist. Dennoch rührten mich diese Worte. Ich fühlte, es müsse herrlich sein sie zu befolgen. Ich fühlte aber auch, dass ich nie im Stande sein würde sie zu befolgen nur um sie zu befolgen, d.h. um zu leiden. Ich sagte mir: Gut, ich biete den Backen, – man wird mich ein zweites Mal schlagen; ich werde alles weggeben, – man wird alles von mir nehmen. Ich werde kein Leben haben. Mir ist aber das Leben gegeben; warum soll ich es denn verlieren? Das kann Christus nicht gewollt haben. Früher sagte ich mir das, weil ich voraussetzte, dass Christus mit diesen Worten die Leiden und Entbehrungen preist und sie preisend übertreibt und deshalb nicht genau und klar spricht; jetzt aber, nachdem ich die Worte »widerstrebet nicht dem Übel« verstanden, ist es mir klar geworden, dass Christus nichts übertreibt und keine Leiden fordert um der Leiden willen; dass er das, was er sagt, nur sehr bestimmt und klar ausspricht. Er sagt: Widerstrebet nicht dem Übel; und indem ihr so tut, wisset im voraus, dass sich Menschen finden können, die, nachdem sie euch einen Streich auf den rechten Backen gegeben, euch, wenn sie auf keinen Widerstand stossen, auch auf den linken schlagen werden; die nachdem sie euch das Hemd genommen, euch auch den Mantel nehmen werden; die, nachdem sie eure Arbeit ausgenützt, euch zwingen werden noch mehr zu arbeiten; die immer nehmen werden ohne je zurückzugeben ... Und nun, wenn das so sein wird, selbst dann sollt ihr nicht widerstreben dem Übel. Denen, die euch schlagen und beleidigen werden, sollt ihr dennoch Gutes erweisen. – Und nachdem ich diese Worte so verstanden hatte wie sie gesagt waren, ward mir sofort alles klar, was mir bis dahin dunkel gewesen, und was mir übertrieben erschienen, erschien mir jetzt vollkommen genau. Ich begriff zum erstenmal, dass der Schwerpunkt des ganzen Gedankens in den Worten liegt: »widerstrebet nicht dem Übel«, und dass das Nachfolgende nur eine Erklärung des ersten Satzes ist. Ich begriff, dass Christus durchaus nicht verlangt, dass man den Backen biete und den Mantel hergäbe nur um des Leidens willen; dass er aber verlangt, dass wir dem Übel nicht widerstreben, und sagt, dass wir dabei vielleicht auch zu leiden haben werden. Gleichwie ein Vater, der seinen Sohn auf eine weite Reise schickt, ihm nicht befiehlt die Nächte zu wachen, zu hungern, zu frieren, durchnässt zu werden, wenn er zu ihm sagt: »Geh' deines Weges, und wenn du auch Kälte und Nässe ertragen solltest, so gehe dennoch.« – Christus sagt nicht: bietet den Backen, leidet; sondern er sagt: widerstrebet nicht dem Übel und was euch auch zustossen möge, widerstrebet nicht dem Übel. Diese Worte: widerstrebet nicht dem Übel – oder dem Bösen –, in ihrem geraden Sinne aufgefasst, wurden für mich zum wirklichen Schlüssel, der mir alles erschloss. Und ich wunderte mich, wie ich so einfache, bestimmte Worte so verkehrt hatte auffassen können. Euch ist gesagt: Zahn um Zahn; ich aber sage: widerstrebe nicht dem Übel oder dem Bösen, und was dir auch die Bösen antun sollten, ertrage, gib, aber widerstrebe nicht dem Übel oder dem Bösen. Was kann klarer, verständlicher und unzweifelhafter sein als dies? Und ich brauchte diese Worte nur einfach und gerade aufzufassen wie sie gesagt waren, und sofort wurde mir in der ganzen Lehre Christi, nicht nur in der Bergpredigt, sondern auch in allen Evangelien, alles verständlich, was verworren gewesen, und alles einig, was bisher widersprechend war; und die Hauptsache, die unnütz erschienen, ward zur Notwendigkeit. Alles verschmolz in ein Ganzes und das eine bestätigte unzweifelhaft das andere, wie die Stücke einer zerschlagenen Bildsäule, die so zusammengefügt worden, wie sie es sein mussten.

      In dieser Predigt und in allen Evangelien, von allen Seiten wird dieselbe Lehre bestätigt: widerstrebet nicht dem Übel.

      In dieser Predigt, wie an allen andern Stellen, überall stellt sich Christus seine Jünger, d. h. diejenigen Menschen, die seine Lehre über das Nichtwiderstreben dem Übel befolgen, als solche vor, die den Backen hinhalten und den Mantel hergeben: als Verfolgte, Geschlagene und Arme.

      Überall sagt Christus wiederholt, dass, wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt, wer nicht allem entsagt, d. h. wer nicht bereit ist alle Folgen der Erfüllung seiner Lehre über das Nichtwiderstreben dem Übel auf sich zu nehmen, – der könne nicht sein Jünger sein. Christus spricht zu seinen Jüngern: seid arm, seid bereit, indem ihr dem Übel nicht widerstrebt, Verfolgung, Leiden und Tod zu ertragen. Er selbst bereitet sich auf Leiden und Tod vor, ohne dem Übel zu widerstreben, und stirbt selbst, indem er verbietet dem Übel zu widerstreben, und seiner Lehre treu bleibend.

      Alle seine ersten Jünger erfüllen dies Gesetz des Nichtwiderstrebens dem Übel und verbringen ihr ganzes Leben in Armut und Verfolgung und vergelten nie Böses mit Bösem.

      Also sagte Christus das, was er sagte. Man kann behaupten, dass die fortwährende Erfüllung dieser Regel sehr schwer sei; man kann sich nicht einverstanden erklären damit, dass jeder Mensch durch die Befolgung dieser Regel selig werde; man kann, gleich den Ungläubigen, sagen, dass es töricht sei, dass Christus ein Schwärmer, ein Idealist gewesen,

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