Worin besteht mein Glaube. Лев Толстой

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Worin besteht mein Glaube - Лев Толстой

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      Als wir jedoch zu dem Verse gelangten: widerstrebet nicht dem Übel, sagte er nicht: auch das steht im Talmud, sondern fragte mich nur spöttisch: »Und die Christen erfüllen dies? bieten sie den andern Backen?« – Ich konnte nichts darauf erwidern, umso mehr als ich wusste, dass die Christen um dieselbe Zeit nicht nur ihren Backen nicht darboten, sondern die Juden auf beide Backen schlugen. Es war mir aber interessant zu wissen ob etwas Ähnliches sich in der Bibel oder im Talmud befinde, und ich fragte ihn danach. – Er sagte: »Nein, das steht nicht drin; sagt mir aber, ob die Christen dieses Gesetz erfüllen?« – Mit dieser Frage sagte er mir, dass das Bestehen einer Regel im christlichen Gesetze, die nicht nur von niemand befolgt, sondern von den Christen selbst als unausführbar anerkannt wird, ein Eingestehen der Unvernunft und Nutzlosigkeit dieser Regel ist. Und ich konnte ihm nichts darauf erwidern.

      Nachdem ich jetzt den wahren Sinn des Gesetzes verstanden, sehe ich klar jenen sonderbaren Widerspruch, in dem ich mich mit mir selbst befand, indem ich Christus als Gott und seine Lehre als eine göttliche anerkannte und dennoch mein Leben ganz im Gegensatz zu dieser Lehre eingerichtet hatte. Was blieb anderes zu tun übrig, als seine Lehre für unausführbar zu erklären? In Worten erkannte ich die Heiligkeit der Lehre Christi an, in der Tat aber bekannte ich eine durchaus nicht christliche Lehre; ich erkannte Grundsätze an und unterwarf mich Einrichtungen, die mein Leben von allen Seiten umringten und durchaus unchristlich waren.

      In dem ganzen alten Testament heisst es, dass alles Unglück des jüdischen Volks dadurch entstanden sei, dass das Volk an falsche Götter und nicht an den wahren Gott geglaubt. Samuel beschuldigt das Volk im ersten Buch, Kap. 8 und 12, dass es zu allen seinen früheren Abtrünnigkeiten gegen Gott noch eine neue hinzugefügt: an Stelle Gottes, der sein König gewesen, habe es den Menschen zum Könige erkoren, der, seiner Meinung nach, es erretten werde. »Und gebet nicht dem Eitlen nach – spricht Samuel zum Volk 12, 21 – denn es nützet nicht und kann euch nicht erretten, weil es ein (tohu) eitel Ding ist.« Um nicht mit eurem König unterzugehen, haltet euch an Gott allein.

      Dieser Glaube an das »Eitle«, das »tohu«, an leere Götzenbilder, war es, der mir die Wahrheit verhüllte. Auf dem Wege zur Wahrheit, ihr Licht vor mir verbergend, stand vor mir das »tohu«, von dem mich loszusagen ich nicht die Kraft hatte.

      In diesen Tagen ging ich durch die Borowitzky-Pforte; in derselben sass ein Greis, ein bis an die Ohren in Lumpen gehüllter, verkrüppelter Bettler. Ich zog meine Börse um ihm ein Almosen zu geben. In diesem Augenblicke kam vom Berge, aus dem Kreml, ein flotter, junger, rotwangiger Bursche gelaufen, ein Grenadier im Krons-Schafspelz. Als der Bettler den Soldaten gewahrte, sprang er erschreckt auf und lief hinkend hinunter zum Alexandergarten. Der Grenadier wollte ihm anfangs nacheilen, holte ihn jedoch nicht sofort ein, blieb stehen und ergoss sich in Scheltworten über den Bettler, weil dieser gegen das Verbot in der Pforte gesessen. Ich erwartete den Grenadier in der Pforte. Als er in meine Nähe kam, fragte ich ihn, ob er lesen könne? – Jawohl; weshalb? – Hast du das Evangelium gelesen? – Jawohl. – Hast du auch gelesen: »und wer den Hungrigen sättigt« – ich sagte die Stelle her. Er kannte sie und hörte mich an. Und ich sah, dass er stutzte. Zwei Vorübergehende blieben horchend stehen. Dem Grenadier tat es augenscheinlich weh zu fühlen, dass er, gewissenhaft seine Pflicht erfüllend, indem er das Volk von einem Orte jagte, von dem es fortzujagen befohlen war – plötzlich sich im Unrecht sah. Er war verwirrt und suchte augenscheinlich nach einer Ausrede. Plötzlich leuchteten seine klugen schwarzen Augen auf; er wandte sich zur Seite, als wolle er gehen. – »Und das Kriegsreglement, hast du's gelesen?« fragte er mich. – Ich verneinte es. – »Dann sprich auch nicht«, sagte der Grenadier, den Kopf selbstbewusst aufwerfend, hüllte sich in seinen Schafspelz und ging mit kühnen Sehritten auf seinen Platz zurück.

      Dies war der einzige Mensch in meinem ganzen Leben, der streng logisch jene ewige Frage gelöst, die bei den Einrichtungen unseres Gemeinwohls mir stets vor Augen stand und die jedem Menschen vorschwebt, der sich einen Christen nennt.

      3

      Zwang der Gesamtheit gegen den Einzelnen zur Teilnahme an Krieg und Gericht

      Man sagt mit Unrecht, dass die christliche Lehre nur die Erlösung des einzelnen im Auge habe und sich nicht auf allgemeine Fragen und Staatsangelegenheiten beziehe. Dies ist nur eine kühne und unbegründete Behauptung einer ganz augenscheinlichen Unwahrheit, die bei dem ersten ernsten Nachdenken darüber zunichte wird. Gut, sagte ich zu mir: ich werde nicht widerstreben dem Übel, ich werde, als einzelner Mensch, meinen Backen hinhalten; es kommt aber der Feind, oder die Völker werden verfolgt und ich werde berufen am Kampfe gegen die Bösen teilzunehmen, um sie zu töten. Und ich muss unvermeidlich die Frage lösen: worin besteht der Dienst Gottes und worin der Dienst des »tohu«? – Soll ich mich am Kriege beteiligen oder nicht? – Ich bin Bauer; man wählt mich zum Ältesten, zum Richter, zum Geschworenen; man zwingt mich zu schwören, zu richten, zu strafen – was soll ich tun? Wieder habe ich zu wählen zwischen dem Gesetze Gottes und dem Gesetze der Menschen. – Ich bin Mönch, lebe im Kloster; die Bauern haben unsern Heuschlag genommen; man schickt mich um am Kampfe gegen die Bösen teilzunehmen – um das Gericht gegen die Bauern anzurufen. Wieder habe ich zu wählen. Kein einziger Mensch kann der Entscheidung dieser Frage entgehen. Ich spreche schon gar nicht von unserem Stande, dessen ganze Tätigkeit fast nur im Widerstreben den Bösen besteht: Militär- und Gerichtspersonen, Administratoren; aber es gibt auch nicht den einfachsten Privatmann, dem nicht die Entscheidung zwischen dem Dienste Gottes und der Erfüllung seiner Gebote und dem Dienste des »tohu«, d. i. den Staatseinrichtungen bevorstände. Mein persönliches Leben ist mit dem allgemeinen Staatsleben verflochten und dieses fordert von mir eine nichtchristliche Tätigkeit, die dem Gebote Christi ganz entgegengesetzt ist. Jetzt, bei der allgemeinen Wehrpflicht und der Beteiligung aller am Gerichte als Geschworene, tritt dieses Dilemma mit auffallender Schärfe einem jeden entgegen. Jeder Mensch muss tödliche Waffen zur Hand nehmen, eine Flinte, ein Messer, und wenn auch nicht töten, so muss er doch die Flinte laden und das Messer schärfen, d. h. er soll zum Töten bereit sein. Jeder Bürger soll im Gerichte erscheinen und sich am Richten und Strafen beteiligen, d. h. jeder soll sich von der Lehre Christi des Nichtwiderstrebens dem Übel lossagen, und das nicht nur in Worten, sondern auch in der Tat.

      Die Frage des Grenadiers: das Evangelium oder das Kriegsreglement? das Gesetz Gottes oder das Gesetz der Menschen? steht jetzt und stand zu Samuelis Zeiten vor der Menschheit. Sie stand auch vor Christus und vor seinen Jüngern. Sie steht auch vor denen, die jetzt Christen sein wollen, und stand auch vor mir.

      Das Gesetz Gottes mit seiner Lehre von der Liebe, der Demut, der Selbstaufopferung hatte stets auch früher mein Herz gerührt und mich angezogen. Jedoch von allen Seiten, in der Geschichte, in den vergangenen sowohl wie in den gegenwärtig mich umgebenden Ereignissen und in meinem eignen Leben sah ich ein meinem Herzen, meinem Gewissen, meiner Vernunft widersprechendes Gesetz, das aber meinen tierischen Instinkten schmeichelte. Ich fühlte, dass wenn ich Christi Gesetz folgen würde, ich allein dastände und es mir schlecht ergehen könne: ich könnte verfolgt und betrübt werden – das, was Christus gesagt hat. Wenn ich aber dem menschlichen Gesetze folgte, würde ich ruhig und gesichert sein und aller Scharfsinn des menschlichen Geistes stände mir zu Gebote um mein Gewissen zu beruhigen. Ich würde lachen und mich freuen – dasselbe, was Christus sagt. Ich fühlte das alles und deshalb vermied ich es mich in die Bedeutung des Gesetzes Christi zu vertiefen und bemühte mich vielmehr es so aufzufassen, dass es mich nicht verhindern sollte mein tierisches Leben weiter zu führen. In solchem Sinne jedoch konnte es nicht aufgefasst werden, und deshalb verstand ich es gar nicht.

      In diesem Nichtverstehen ging ich bis zu einer mir jetzt unbegreiflichen Verfinsterung. Als Beispiel dafür will ich meine frühere Auffassung der Worte: richtet nicht, auf dass ihr nicht gerichtet werdet (Matth. 7, 1), anführen. Richtet nicht, so werdet ihr auch nicht verdammt (Luk. 6, 37). Das Bestehen der Gerichte, an denen ich teilnahm und die mein Eigentum und meine persönliche Sicherheit schützten, erschien mir als etwas so zweifellos Heiliges, Gottes Gesetze

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