Moby Dick. Herman Melville
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Er händigte es Queequeg ein, fasste ihn bei den Händen und sah ihm ernst in die Augen: »Sohn der Finsternis, ich muss meine Pflicht dir gegenüber erfüllen, ich bin der Teilhaber dieses Schiffes und fühle mich für die Seelen der Mannschaft verantwortlich. Wenn du noch an der heidnischen Art festhältst, was ich sehr befürchte, so ersuche ich dich, bleibe nicht für immer ein Anhänger Baals. Wende dich ab von dem Götzen Baal und dem scheußlichen Drachen! Hüte dich vor dem kommenden Gericht und steure nicht auf den Höllenpfuhl zu!« Etwas von dem Geruch des Meeres war doch in der Sprache des alten Bildad haftengeblieben, die mit Wendungen aus der Schrift so merkwürdig durchsetzt war.
»Aber nun stopp, Bildad, verdirb uns nicht den Harpunier,« rief Peleg, »fromme Harpuniere geben nie gute Seeleute. Ein Harpunier, der nicht etwas verwegen ist, ist nichts wert. Da war der junge Nat Swaine, der allerbeste Bootsführer von ganz Nantucket und Vineyard. Der wurde fromm, und da war er mit einem Male erledigt. Er kriegte solch einen Schrecken über seine verpestete Seele, daß er den Walfischen auswich und vor ihnen bange wurde. Aus Angst, es könnte ihm schlecht gehen, wenn er einen harpunierte, und so ging er zu Davy Jones.«
»Peleg!« sagte Bildad mit emporgerichteten Blicken und erhobenen Händen: »Du sowohl wie ich, wir haben manche Gefahr bestanden. Du weißt, Peleg, was die Furcht vor dem Tode bedeutet. Wie kannst du auf so gottlose Weise darauflosschwätzen? Du strafst ja dein eigenes Herz Lügen! Sag' mal, als dieser ›Pequod‹ mit drei zerbrochenen Masten in dem Taifun bei Japan lag, ich meine die Reise, die du mit Kapitän Ahab machtest, hast du da nicht an den Tod und an das Jüngste Gericht gedacht?«
»Das soll sich einer anhören!« rief Peleg, marschierte in der Kabine auf und ab und steckte die Hände tief in die Taschen. »Solch ein Quatsch! Als wir jeden Augenblick dachten, das Schiff könnte untergehen, da sollen wir an den Tod und das Jüngste Gericht gedacht haben?
Als die drei Masten unter einem donnernden Krach umknickten, und die See am vorderen Achterdeck schrecklich tobte, da sollen wir an den Tod und an das Jüngste Gericht gedacht haben? Nein, dafür hatten wir keine Zeit! Kapitän Ahab und ich, wir dachten an das Leben, wie wir alle Hände rühren könnten, wie wir die Notmasten richtig anbringen und in den nächsten Hafen kommen könnten. Daran haben wir gedacht!«
Bildad sagte nichts mehr, sondern knöpfte sich den Rock zu und stolzierte auf Deck herum, wohin wir ihm folgten. Da stand er und beaufsichtigte in aller Ruhe einige Segelmacher, die ein Toppsegel am Mitteldeck ausbesserten. Manchmal bückte er sich und hob einen Lappen oder ein Stück Bindfaden auf, das sonst verlorengegangen wäre.
Fünftes Kapitel
»Habt ihr euch für das Schiff anmustern lassen?« Diese Worte wurden von einem Fremden an uns gerichtet, als Queequeg und ich gerade den »Pequod« verlassen hatten und von der See fortschlenderten, und jeder gerade mit eigenen Gedanken beschäftigt war. Der Fremde blieb vor uns stehen und zeigte mit seinem dicken Zeigefinger auf das in Frage kommende Schiff. Er war nicht gut angezogen, hatte eine abgetragene Jacke und geflickte Hosen an. Ein Fetzen schwarzen Taschentuchs schützte ihm den Nacken. Pockennarben bedeckten sein ganzes Gesicht, so daß es wie ein kompliziertes Flussbett mit vielen Rillen bei Trockenheit aussah.
»Habt ihr euch dafür anmustern lassen?« wiederholte er.
»Sie meinen wohl das Schiff ›Pequod‹«, sagte ich und versuchte, sein Gesicht näher kennenzulernen.
»Ja, den ›Pequod‹, das Schiff meine ich«, sagte er, zog den ganzen Arm zurück und schnellte dann den Finger in seiner vollen Länge vor wie ein Bajonett und zeigte auf das Schiff.
»Ja,« sagte ich, »wir haben gerade unterschrieben.«
»Habt ihr auch keine Angst?«
»Warum denn?«
»Oh, vielleicht könntet ihr doch Angst haben,« sagte er schnell, »es wäre auch nicht so schlimm, ich habe viele Burschen gekannt, die sie auch gehabt haben. Es ist ihr Glück gewesen, und sie sind gut davongekommen.«
»Was schwatzen Sie für dummes Zeug«, sagte ich.
»Er hat sein Teil gekriegt«, sagte der Fremde unverständlich und betonte das Wort »Er« besonders.
»Queequeg,« sagte ich, »wir wollen gehen, der scheint irgendwie nicht ganz richtig zu sein. Er spricht von jemandem, den wir nicht kennen.«
»Einen Augenblick,« rief der Fremde, »Sie haben den alten Donnerkeil wirklich nicht gesehen?« – »Wer ist der ›alte Donnerkeil‹?« sagte ich und wunderte mich wieder über den irrsinnigen Ernst, mit dem er das sagte.
»Kapitän Ahab!«
»Was, der Kapitän unseres Schiffes, des ›Pequod‹?«
»Ja. Unter einigen von uns alten Seeleuten geht er unter diesem Namen. Ihr habt ihn wohl noch nicht gesehen?«
»Nein, noch nicht. Er soll krank sein. Aber es geht ihm schon viel besser, und bald wird er wieder in Ordnung sein.«
»Bald wird er wieder in Ordnung sein!« lachte der Fremde mit einem ungewöhnlich spöttischen Lachen. »Seht her, wenn der Kapitän Ahab wieder in Ordnung ist, dann wird auch mein linker Arm hier wieder in Ordnung sein; eher nicht.«
»Was wissen Sie denn von ihm?«
»Was hat man euch denn von ihm erzählt?«
»Man hat uns nicht viel von ihm erzählt. Ich weiß nur, daß er ein guter Walfischjäger und seiner Mannschaft ein guter Kapitän ist.«
»Das ist schon richtig, alles beides ist richtig. Aber ihr müßt springen, wenn er einen Befehl gibt. Aber davon hat man euch nichts gesagt, daß er drei Tage und drei Nächte auf der Höhe des Kap Horn tot dagelegen hat, daß er mit dem Spanier vor dem Altar in Santa Schreckliches erlebt hat? Und ihr habt auch nichts davon gehört, daß er in die Silberschale gespuckt hat? Und auch nichts davon, daß er auf der letzten Reise sein Bein verloren hat, ganz wie es eine Prophezeiung vorhergesagt hatte? Habt ihr von solchen Dingen nichts gehört? Ich glaube, ihr wißt nichts davon! Wie solltet ihr es auch erfahren haben? Das weiß ja auch nicht mal ganz Nantucket. Aber jedenfalls habt ihr davon gehört, wie er das Bein verloren hat. Das wissen sie alle. Ich meine, daß er nur noch ein Bein hat, und daß ein Pottwal ihm das andere abgerissen hat.«
»Ich weiß nicht, was Ihr Geschwätz bedeuten soll, und es kann mir auch vollkommen egal sein. Wie mir scheint, sind Sie da oben nicht ganz in Ordnung. Aber wenn Sie von dem Kapitän Ahab und von dem Schiff da, dem ›Pequod‹ sprechen, dann muss ich Ihnen sagen, daß ich weiß, wie er sein Bein verloren hat.«
»Wissen Sie das alles, bestimmt alles?«
»So ziemlich.«
Mit erhobenem Finger und nach dem »Pequod« gerichteten Augen stand der wie ein Bettler gekleidete Fremde träumerisch und besorgt da. Dann brauste er auf und wandte sich mit den Worten an uns: »Ihr habt euch anmustern lassen? Habt schon unterschrieben? Nun, wenn ihr unterschrieben habt, so ist nichts mehr zu machen. Was geschehen soll, trifft ein. Und dann braucht es ja nicht immer einzutreffen! Auf jeden Fall ist schon alles festgesetzt und geregelt. Vermutlich werden wieder einige Matrosen mit ihm gehen. Möge Gott mit ihnen wie mit den anderen Erbarmen haben! Morgen wird es losgehen, der unaussprechliche Himmel möge euch schützen! Verzeiht, daß ich euch angehalten