Erzählungen und Fragmente. Лев Толстой

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Erzählungen und Fragmente - Лев Толстой страница 4

Автор:
Серия:
Издательство:
Erzählungen und Fragmente - Лев Толстой

Скачать книгу

ihm Hemd und Hosen geschenkt hat, so ärgert sie sich; wenn sie sich aber erinnert, wie er sie angelächelt hat, so hüpft ihr Herz vor Freude.

      Lange lag Matrjona wach da; sie merkte, daß Semjon auch nicht schlief; er zog den Rock zu sich hinüber.

      »Semjon!«

      »Ja?«

      »Das letzte Brot haben wir aufgegessen, und ich habe keinen frischen Teig angerührt. Weiß nicht, was ich morgen machen soll. Ich werde wohl bei der Gevatterin Melanie eines leihen müssen.«

      »Wenn wir leben, werden wir auch zu essen haben.«

      Das Weib lag eine Weile still und sprach kein Wort, dann begann sie wieder:

      »Scheint doch ein guter Mensch zu sein, – aber warum erzählt er nichts von sich?«

      »Wahrscheinlich kann er nicht.«

      »Semjon!«

      »Ja?«

      »Wir geben den andern, aber warum gibt uns denn niemand etwas?«

      Semjon wußte nicht, was er antworten sollte.

      »Genug des Redens!« sagte er, drehte sich um und schlief ein.

       V.

      Am andern Morgen erwacht Semjon. Die Kinder schlafen noch; die Frau ist zu den Nachbarn gegangen, um Brot zu leihen. Nur der Fremdling von gestern sitzt in den alten Hosen und im Hemd auf der Bank und schaut nach oben. Und sein Gesicht ist nicht so düster wie gestern. Da sagt Semjon:

      »Nun, mein Lieber, der Magen verlangt Brot und der nackte Körper Kleidung; man muß sich doch ernähren. Kannst du etwas arbeiten, was?«

      »Ich kann nichts.«

      Semjon wunderte sich und sprach: »Wenn du nur Lust dazu hast, der Mensch kann alles erlernen.«

      »Der Mensch arbeitet, so werde auch ich arbeiten.«

      »Wie heißt du denn?«

      »Michael.«

      »Nun, Michael, du willst mir nichts über dich sagen, das ist deine Sache; aber essen muß der Mensch. Wenn du arbeiten willst, was ich dir auftrage, so werde ich dir zu essen geben.«

      »Vergelt's dir Gott! Ich werde lernen. Zeig' mir nur, was ich machen soll.«

      Semjon nahm Pechdraht, legte ihn um den Finger und machte einen Knoten.

      »Die Sache ist nicht schwer, sieh nur zu.«

      Michael sah zu, nahm ebenfalls Pechdraht und machte alles genau so wie der Schuster.

      Nun zeigte ihm Semjon, wie man die Sohle anbringt. Auch das begriff Michael sofort. Der Meister zeigte ihm alle Handgriffe, und alles begriff Michael; so ging es mit jeder Arbeit, und vom dritten Tage an arbeitete er, als wenn er sein Lebtag Schuster gewesen wäre. Er arbeitet ununterbrochen, ißt nur wenig. Fehlt es an Arbeit, so sitzt er schweigend da und schaut nach oben. Er geht nicht auf die Gasse hinaus, er spricht kein unnützes Wort, er scherzt nicht und lacht nicht. Nur einmal hatten sie ihn lächeln sehen, damals am ersten Abend, als die Frau ihm das Nachtmahl gereicht hatte.

       VI.

      Es verging ein Tag nach dem andern – eine Woche nach der andern, ein ganzes Jahr. Michael lebte bei Semjon und arbeitete, und man begann von Semjons Gesellen zu erzählen, daß niemand so saubere und so feste Stiefel nähen könne wie er. Aus der ganzen Umgebung kamen die Leute, um bei Semjon Stiefel zu bestellen, und der Wohlstand des Schusters nahm immer zu.

      Eines Tages im Winter sitzen Semjon und Michael bei der Arbeit. Da kommt eine Schlittenkutsche, von drei Pferden gezogen, mit Schellengeklingel vor das Häuschen gefahren. Sie schauen zum Fenster hinaus; der Schlitten hält gerade vor der Tür, ein junger Bursche springt vom Kutschbock und öffnet den Schlag. Aus dem Schlitten steigt ein Herr im Pelz; steigt heraus, geht auf Semjons Haus zu, schreitet die Treppe hinauf. Matrjona springt auf und öffnet die Tür weit. Der Herr bückt sich, tritt ins Zimmer und richtet sich wieder auf, so daß sein Kopf beinahe die Decke berührt. Die ganze Zimmerecke nimmt er ein.

      Semjon erhob sich, verbeugte sich und staunte den Herrn an. Noch nie hatte er einen solchen Menschen gesehen. Er selbst war mager; auch Michael war schmächtig, und Matrjona gar, die war ausgetrocknet wie ein Span. Dieser Fremde aber sah aus wie ein Mensch aus einer andern Welt: ein dickes, rotes Gesicht, ein Nacken wie ein Stier, der ganze Mann wie aus Eisen gegossen.

      Der Herr verschnaufte sich, zog den Pelz aus, setzte sich auf die Bank und sagte:

      »Wer ist der Meister Schuster?

      Semjon trat vor: »Ich, Euer Gnaden.«

      Da ruft der Herr seinem Burschen zu: »He, Fedja, bring mal die Ware herein!«

      Der Bursche eilte herbei und brachte ein Bündel. Der Herr nahm es und legte es auf den Tisch.

      »Binde es auf!« sagte er.

      Der Bursche gehorchte. Der Herr berührte mit dem Finger die Lederware und sagte zu Semjon:

      »Na hör' mal, Schuster, siehst du diese Ware?«

      »Ich sehe sie, Euer Wohlgeboren.«

      »Und verstehst du auch, was das für eine Ware ist?«

      Semjon befühlte das Leder und sagte:

      »Die Ware ist gut.«

      »Und ob sie gut ist! Du dummer Kerl hast gewiß noch nie eine solche gesehen. Deutsche Ware ist es, und fünfundzwanzig Rubel hat sie gekostet.«

      Eingeschüchtert sagte Semjon:

      »Wo soll unsereiner so was sehen!«

      »Na also, kannst du aus diesem Leder für mich Stiefel machen?«

      »Ich kann schon, Euer Gnaden.«

      Da schreit ihn der Herr an:

      »Kannst du's? Bedenke, für wen du arbeitest und aus welchem Leder! Mach' mir ein Paar Stiefel, die ein Jahr lang halten, ohne schief zu werden und ohne zu platzen. Wenn du das kannst, so mach' dich an die Arbeit, schneide das Leder zu. Kannst du es aber nicht, so laß es sein und zerschneide das Leder nicht. Ich sage dir's, wenn die Stiefel vor einem Jahr schief werden und platzen, so lasse ich dich ins Gefängnis stecken. Werden sie nicht schief und platzen sie nicht vor einem Jahr, so zahle ich dir zehn Rubel für die Arbeit.«

      Semjon wird ängstlich und weiß nicht, was er sagen soll. Er blickt zu Michael hinüber, stößt ihn mit dem Ellenbogen an und flüstert:

      »Sollen wir's annehmen?«

      Michael nickt mit dem Kopf: »Nimm's nur an.«

      Semjon gehorchte ihm und übernahm es, Stiefel zu machen, die ein Jahr lang nicht schief werden und nicht platzen.

      Der Herr rief wieder seinen Burschen herbei, hieß ihn, ihm den linken Stiefel auszuziehen,

Скачать книгу