Erzählungen und Fragmente. Лев Толстой

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Erzählungen und Fragmente - Лев Толстой

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Frau setzte sich an den Tisch. Die Mädchen schmiegten sich an ihre Knie, sie fürchteten die fremden Leute.

      »Den Mädchen da möchte ich zum Frühling Lederstiefelchen bestellen.«

      »Warum nicht, das kann geschehen. Wir haben zwar noch nie so kleine Stiefelchen genäht, aber es geht schon. Es können Randschuhe sein, es können auch umgewendete und auf Leinwand gearbeitete sein. Der Michael ist geschickt in allem.«

      Dabei sah Semjon sich nach Michael um und sieht, Michael hat die Arbeit fallen lassen, sitzt da und wendet den Blick nicht von den Mädchen.

      Und Semjon wundert sich über Michael. Es ist wahr, die Mädchen sind hübsch, dunkeläugig, rotwangig, rundlich, sie haben auch schöne Pelzchen und Tücherchen an, aber dennoch kann Semjon nicht begreifen, warum Michael sie so unausgesetzt anblickt. Es ist fast, als kenne er sie.

      Semjon wundert sich und fängt an, mit der Frau zu verhandeln, um einig zu werden. Dann richtet er das Maß her. Die Frau hebt das lahme Kind auf den Schoß und spricht:

      »Nimm hier von dieser Kleinen das Maß, für das lahme Füßchen mach' ein Stiefelchen, fürs gerade drei, denn sie haben ganz gleiche Füßchen. Die eine genau wie die andere. Sind ja Zwillinge.«

      Semjon nimmt das Maß und spricht, indem er auf die Lahme deutet:

      »Wie ist denn das mit ihr so gekommen? Ist doch so ein hübsches Mädel! Hat sie das von Geburt?«

      »Nein, die Mutter hat sie gequetscht.«

      Nun mischt sich auch Matrjona ein, sie hätte gerne gewußt, wer die Frau ist und wessen Kinder das sind, und fragt: »Bist du denn nicht die Mutter?«

      »Ich bin weder ihre Mutter noch ihre Verwandte, Frau Meisterin. Sind ganz fremde – angenommene Kinder.«

      »Fremde Kinder – und hast sie doch so lieb?«

      »Wie soll ich sie nicht lieb haben, ich habe sie beide an meiner Brust genährt. Ich hatte auch ein eigenes Kindchen, das hat Gott zu sich genommen. Ich habe es nicht so lieb gehabt als ich diese liebe.«

      »Ja wessen Kinder sind's denn?«

       IX.

      Nun wurde die Frau gesprächig und begann zu erzählen:

      »Vor sechs Jahren etwa,« sagte sie, »da wurden diese Kinder in einer Woche Waisen. Den Vater beerdigten wir am Dienstag, die Mutter starb am Freitag darauf. Drei Tage nach dem Tode des Vaters wurden diese Kleinen geboren und die Mutter lebte nach der Geburt kaum einen Tag. Mein Mann und ich, wir lebten damals als Bauern. Es waren unsere Nachbarn, wir wohnten Hof an Hof. Der Vater der Kinder arbeitete im Walde; da fiel eines Tages ein Baum auf ihn, quer über seinen Körper, so daß das ganze Innere herausquoll. Man hatte ihn kaum nach Hause geführt, da hauchte er seine Seele aus. Sein Weib aber gebar in derselben Woche Zwillinge, eben diese Mädchen. Sie war arm und verlassen, stand ganz allein da, hatte weder eine alte Frau, noch irgend ein Mädel bei sich. Allein war sie in der schweren Stunde, allein ist sie auch gestorben. Am andern Morgen ging ich hin, um mich nach der Nachbarin umzuschauen; ich komme in die Stube, sie aber, die Arme, ist schon tot und kalt. Im Todeskampf war sie auf das Mädchen gesunken, hatte es gequetscht und das Füßchen verrenkt. Die Leute liefen zusammen, die Tote wurde gewaschen, angezogen, in den Sarg gelegt, begraben. Alles besorgten die guten Menschen. Nun waren die Mädelchen allein auf der Welt. Wohin mit ihnen? Und von allen den Frauen war ich die einzige, die ein Kind an der Brust hatte. Meinen erstgeborenen Knaben nährte ich seit acht Wochen. So nahm ich sie denn einstweilen zu mir. Die Bauern kamen zusammen und überlegten, wo man sie lassen sollte. Da sagten sie zu mir: ›Du, Maria, behalte doch vorläufig die Mädchen bei dir. Inzwischen werden wir Rat finden.‹ Ich gab zuerst dem gesunden Kinde die Brust, das lahme aber wollte ich gar nicht nähren, ich glaubte, es würde ja doch nicht am Leben bleiben; dann aber dachte ich, warum soll das Engelseelchen verlöschen? Und es tat mir auch das kranke Kind leid. Ich fing an, es zu nähren, und so hatte ich mein eigenes und diese zwei, also drei an der Brust und zog sie alle groß. Ich war jung, kräftig und hatte reichlich Nahrung. So gab mir denn der liebe Gott so viel Milch, daß ich mehr als nötig hatte. Es kam vor, daß ich zwei Kinder stillte, während das dritte wartete; hatte eines von den zweien genug, so kam das dritte an die Reihe. Aber der liebe Gott hat's gefügt, daß ich diese hier großgezogen hab', mein eigenes Kind aber im zweiten Jahr begraben mußte. Nachher hat mir Gott kein Kind mehr geschenkt, unser Wohlstand aber nahm zu. Jetzt leben wir hier in der Mühle beim Kaufmann. Der Gehalt ist groß, das Leben bequem und Kinder haben wir nicht. Wie sollte ich nun allein leben, wenn ich diese Mädchen nicht hätte? Wie soll ich sie also nicht lieb haben? Sie sind ja mein ein und mein alles!«

      Und die Frau zog mit einer Hand das lahme Kind an sich, während sie sich mit der andern die Tränen von den Wangen wischte.

      Matrjona seufzte auf und sagte: »Ja, ohne Vater und Mutter kann der Mensch leben, ohne Gott kann er nicht leben.«

      So sprachen sie miteinander, dann erhob sich die Frau, um fortzugehen; die Schustersleute wollten sie begleiten und sahen sich nach Michael um. Der aber sitzt, die Hände auf die Knie gestützt, schaut nach oben und lächelt.

       X.

      Semjon ging zu ihm heran.

      »Was hast du denn, Michael?«

      Michael erhob sich von der Bank, legte die Arbeit beiseite, nahm die Schürze ab, verbeugte sich vor Semjon und dessen Frau und sprach:

      »Verzeiht mir, Meister und Meisterin; Gott hat mir verziehen, also verzeiht auch ihr.«

      Und die beiden sehen, daß von Michael ein Licht ausgeht. Da erhob sich Semjon, verneigte sich vor Michael und sagte:

      »Ich sehe, Michael, du bist kein gewöhnlicher Mensch, und ich darf dich nicht halten und ich darf dich nicht ausfragen. Sag' mir nur das Eine: Warum warst du so düster, als ich dich fand und in mein Haus führte? Als aber mein Weib dir das Nachtmahl reichte, da lächeltest du, und von jener Stunde an wurdest du heller. Dann, als der Herr die Stiefel bestellte, lächeltest du zum zweiten Mal und wurdest noch heller, und jetzt, als die Frau die kleinen Mädchen herführte, lächeltest du zum dritten Mal und stehst nun da in hellem Licht. Sage mir, Michael, wie kommt es, daß ein solches Licht von dir ausstrahlt, und warum lächeltest du die drei Male?«

      Und Michael antwortete: »Das Licht strahlt von mir aus, weil ich gestraft war und Gott mir jetzt verziehen hat. Und gelächelt habe ich die drei Male, weil ich drei Worte Gottes verstehen sollte – und ich habe diese Worte Gottes verstanden. Das eine Wort habe ich verstanden, als deine Frau Mitleid mit mir hatte, daher lächelte ich damals zum erstenmal. Das zweite Wort habe ich verstanden, als der reiche Mann seine Stiefel bestellte, da lächelte ich zum zweiten Mal, und jetzt, als ich die Mädchen sah, verstand ich das letzte, das dritte Wort Gottes, und ich lächelte zum dritten Mal.«

      Da sprach Semjon: »Sage mir, Michael, wofür hat Gott dich gestraft und was sind das für Worte Gottes, damit ich sie kenne?«

      Und Michael erwiderte: »Gestraft hat mich Gott, weil ich ihm ungehorsam war. Ich war ein Engel im Himmel und war ungehorsam gegen Gott. Ein Engel im Himmel war ich, und der Herr hatte mich auf die Erde gesandt, auf daß ich einer Frau die Seele nehme. Ich flog zur Erde, da sah ich: die Frau liegt da, krank, hat eben Zwillinge geboren, zwei Mädchen. Die Kinder zappeln an der Seite der Mutter, die Mutter aber kann sie nicht an die Brust nehmen. Da sah mich die Frau, begriff, daß Gott mich geschickt hatte, ihre Seele zu holen, fing an zu weinen und sprach: ›O

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