INDOCHINA. Der lange Weg nach Dien Bien Phu. Thomas GAST
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Lange bevor der Morgen graute, wurden die Legionäre geweckt.
»In der Reihenfolge zweite, PC, dritte Kompanie, vorwärts. Kompanie Caillaud bildet die Nachhut.«
Der Kommandant des Bataillons wartete bis die Kompanieführer im Dunkel der Nacht verschwunden waren und wandte sich dann an Caillaud.
»Brennen Sie das ganze verdammte Dorf nieder, je weniger davon übrig bleibt umso besser und beeilen Sie sich aufzuschließen, d'accord?«
Caillaud nickte, schickte nach seinen Zugführen und trank seelenruhig seinen Kaffee aus dem Blechgeschirr. Er hatte auf die Popotekiste (Kiste für den gewissen Komfort, Tassen, Teller, Gewürze und so weiter), für Offiziere verzichtet, wollte sich wie all seine Legionäre ganz dem rustikalen Leben in der Kampagne hingeben. Karlheinz Montag warf einen Blick zum Himmel. Es hatte den ganzen gestrigen Tag geregnet und auch jetzt nieselte es noch leicht. Ein steter Wind trieb den Regen vor sich her. Regen, Ton und Erde mischten sich mit dem Stroh der Dächer und diese Pampe trieb die Legionäre schier zum Wahnsinn.
»Wie zum Teufel sollen diese Hütten brennen«, fluchte Karlheinz Montag. »Bei dem Scheißwetter?«
»Befehl ist Befehl. Bambus und Stroh brennt auch, wenn's nass ist. Ist nur ‘ne eine Frage wie man sich anstellt«, entgegnete der alte Legionär neben ihm und fackelte systematisch alles ab, was brennbar schien.
Begleitet von dichtem Rauch setzte sich die erste Kompanie eine Stunde später in Bewegung. Noch bevor sie den Ortausgang erreicht hatten, brach plötzlich die Hölle über sie herein. Aus kürzester Distanz wurden sie von einem Feind unter Beschuss genommen, der nicht nur in Überzahl war, sondern blitzartig mit Geschrei aus dem Nichts auftauchte. Dazu ratterten Maschinengewehre aus gut getarnten Stellungen. Deckung gab es kaum und die einzige Möglichkeit, sich dem feindlichen Feuer und dem blutigen Nahkampf zu entziehen, war die Flucht.
»Sie werden uns massakrieren, wenn wir unsere MGs nicht in Stellung bringen können.«
Sergent Bouger hatte die Worte kaum heraus, als ein Feuerstoß ihn von den Beinen riss. Beck, der Legionär, der neben ihm rannte, erhielt drei Kugeln in seinen rechten Oberschenkel und eine in die Brust, bevor auch er zu Boden ging. Ohne einen Laut von sich zu geben, überschlug er sich. Ein dünner Blutfaden lief aus seinem geöffneten Mund, als er auf dem Rücken liegend verwundert in den Regen starrte. Die Wunde war nicht schmerzhaft doch tödlich, aber das wusste er noch nicht. Wie durch eine Nebelwand hörte er die Stimme seines sergents.
»Dein Gewehr?«
Beck tastete danach, stieß es jedoch mit letzter Kraft von sich.
»Unbrauchbar«, keuchte er. »Eine Kugel hat das Schloss getroffen.«
Er bäumte sich auf, sank dann wieder zurück, starrte weiter in den grauschwarzen Himmel während Regentropfen auf sein junges, hübsches Gesicht fielen. Dann folgte sekundenlang nichts. Nur der heftige Kampflärm drang weiter mit unverminderter Stärke an sein Ohr. Als es ihm mit Mühe gelang, den Kopf etwas zu heben, sah er durch einen Schleier aus Schweiß und Blut eine Gruppe Vietminh die sich ihnen geduckt näherte. Er hatte oft genug Kameraden gesehen, die durch die Hände der Viéts gegangen waren, wusste also, was er zu erwarten hatte.
»Sergent. Sie... sie kommen uns holen.«
»Lieg still, verdammt. Vielleicht sehen sie uns nicht.«
Beck schüttelte den Kopf, versuchte es zumindest.
»… sind erst losgerannt, als sie mich fallen haben sehen. Könnten Sie mir bitte helfen? Ich komm nicht an mein Messer ran.«
»Bete meinetwegen, aber hör auf, dir vor Angst in die Hosen zu machen.«
Der Legionär schluckte bitter. Er war vor ein paar Tagen gerade erst zwanzig geworden. Sergent Bouger wusste, dass es um sie geschehen war. Er selbst spürte seinen Unterleib nicht mehr, konnte weder Beine noch Becken bewegen. Julie! Den Namen seiner Tochter auf den Lippen lächelte er kurz, dann wischte er sich eine Träne weg, fing sich wieder, wütend auf seine Schwäche, wütend auf das Leben. Als er leicht seinen Kopf hob, sah er, wie das Blut aus seinem Körper strömte und die Wasserlache in der er lag, sich rot färbte. Ohne auf den Schmerz in seinen Lungen zu achten, zog seine blutige Hand eine nach der anderen die Handgranaten aus dem Handgranatensack an seiner Hüfte. Eine davon warf er Beck zu.
»Kannst du dich daran erinnern, was ich dir gesagt habe, wie der Viêt vorgeht?«
Beck nickte mit Mühe. In der Tat hatte ihm der sergent erst vor einigen Tagen erzählt, dass der Vietminh gerne Gefangene macht, er aber, wenn er sich dem vermeintlichen Verletzten nähert, kein Risiko einging. Bewegte sich ein Verletzter während der letzten Phase der Annäherung, wurde sofort geschossen.
»Es geht schnell «, versicherte ihm der sergent und hustete Blut. »Wir werden ihnen zeigen wie man bei uns stirbt. Lass den Bügel zur gleichen Zeit springen wie ich, du … du kennst das Geräusch?«
Beck nickte erneut.
»Ich hab die Dinger so präpariert, dass sie sofort hochgehen «, sagte der sergent mit verschwommener Stimme. Der Tod war nicht mehr weit. Mit einem letzten Blick auf die Viéts, die fast bei ihnen waren, flüsterte er. »Dir bleiben noch ein paar Sekunden um über dein verbeultes Leben nachzudenken. Du... du warst ein guter Kamerad. Aber still jetzt.«
Mit einer schnellen Geste zog er die Splinte heraus und hielt die beiden Handgranaten in seinen geschlossenen Händen unter seinem Körper verborgen. Als eine Gestalt vor ihm auftauchte und sich über ihn bückte, stieß er sich mit letzter Kraft nach oben. Er umarmte den Vietminh in einer tödlichen Umklammerung. Die drei Detonationen erfolgten zeitgleich. Alles was man von ihnen fand, waren ihre zerfetzten Körper. Bouger und sein Legionär hatten ihre letzte Pflicht, nicht lebend in die Hände der Viéts zu fallen, getan.
Eingang zum Friedhof.
Unmittelbar an das Dorf schloss sich der Friedhof an. Genau dorthin rannten die Legionäre der ersten Kompanie. Es war der einzige Ort, an dem eine Verteidigung gegen den Feind, der nun von allen Richtungen auf sie eindrang, möglich war. Der Friedhof war von einer niedrigen, bereits bröckelnden Ziegelsteinmauer umgeben. Diese war längst Opfer des einen Meter hohen Unkrautes geworden. Pagodenähnliche, bunte Gräber waren unwillkürlich innerhalb der Mauern verteilt. Neben dem schmalen, im Augenblick noch leicht zu verteidigenden Eingang, lag eine tote, braune Kuh. Ihre Augen waren weit aufgerissen. Eine schleimige, schwarz verfärbte Zunge hing aus ihrem Maul. Grüne Fliegen hatten sich darauf niedergelassen. Eine Ameisenkolonne marschierte zögernd um sie herum, leckte hier und da an ihrem Blut.
Legionär mit einem erbeuteten Foto, das Ho Chi Minh zeigt.
»Geht in Deckung.«
Es war die Stimme des adjudanten. Dieser wusste, dass das Überleben der Kompanie davon abhing, wie schnell die beiden anderen Kompanien in das Kampfgeschehen eingreifen konnten. Er schätzte, dass der Rest des Bataillons etwa zwei Kilometer entfernt war: eine enorme Distanz angesichts der drückenden Überlegenheit der Vietminh! Was er aber nicht wusste, war, dass sie es genau in diesen Sekunden mit zwei Bataillonen des 95. Regimentes zu tun hatten. Das Kräfteverhältnis war etwa