Kiss and Cook in Schottland. Tanja Neise
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»Tja, Sie sehen ja selbst, dass der Laden geschlossen ist.« Die Dame murmelte noch etwas in ihren nicht vorhandenen Bart, zumindest konnte Fiona von hier unten nicht erkennen, dass sie einen besaß, und verschwand wieder in das Innere der Wohnung. Vermutlich der Wohnung, die ihr versprochen gewesen war. So ein verdammter Bockmist!
KAPITEL 2
Adam
Adam schaltete die Geräte aus, sofort war die Stille allgegenwärtig. Er genoss es in vollen Zügen - sich zurückzulehnen, sich zu entspannen und nicht weiter darüber nachzudenken, welcher Termin ihm als Nächstes im Nacken saß. Er war Herr seiner Zeit und konnte tun und lassen, was er wollte. Sogar nach Jahren war er immer noch mit sich selbst im Reinen und froh, diesen Weg gewählt zu haben. Wie hatte er nur jemals ein Dasein im Fokus der Öffentlichkeit führen können? Die Leute hatten sich für alles interessiert, egal ob es um seine Nahrung, seine Wohnung oder um seinen Sex ging. Heute erschien ihm das Leben, das er früher geführt hatte, geradezu unvorstellbar.
Schottland und insbesondere Kinloch Rannoch waren seine Heimat geworden. Und bis auf die weihnachtliche Ausnahme, wenn er sich in Aspen mit den Mitgliedern seiner ehemaligen Band traf, blieb er größtenteils für sich und genoss die Ruhe und die Stille. Im letzten Jahr hatten Ally und John ihn besucht. Sie waren ganze zwei Wochen bei ihm im Cottage geblieben. Das war großartig gewesen und dennoch hatte ihn Freude erfüllt, endlich wieder allein zu sein. Er war ein Eigenbrötler, wie Darren ihn immer nannte. Der Leadsänger seiner alten Band nahm kein Blatt vor den Mund und hatte ihm klipp und klar verkündet, dass er es sonderbar fand, dass ein Mensch sich so sehr einigelte. Mit Sicherheit war er auch dafür verantwortlich, dass sich John plötzlich wie eine Glucke aufführte.
Das kleine Dörfchen, in dem er lebte, war so weit abgelegen, dass noch nicht einmal die Jugendlichen hier von ihm und seiner Band gehört hatten. Mittlerweile akzeptierten ihn die Anwohner als einen der ihren, auch wenn Adam selbst gar nicht hatte dazugehören wollen. Aber das hatte sich geändert, denn er hatte sich verändert. Er lebte zwar allein und zurückgezogen, dennoch war er nun Teil einer Gemeinschaft, ein akzeptiertes Gemeindemitglied Kinloch Rannochs und das erfüllte ihn mit ungeahntem Stolz.
Sein Cottage war eines der größten in der Gegend, das war nicht immer so gewesen. Der Anbau, den er hatte vornehmen lassen, war für viele unverständlich, was damals zu wilden Spekulationen geführt hatte. Ein einzelner Mann, der so viel Platz benötigte, war den Leuten suspekt. Von Neugier getrieben, hatten einige der Dorfbewohner an seine Tür geklopft, aber das Geheimnis, was sich hinter der dicken Tür verbarg, die am Ende des Hausflurs abging, hatten sie nicht gelüftet. Man war ihm argwöhnisch gegenüber getreten, doch im Laufe der Jahre hatten die Leute ihn und sein zurückgezogenes Leben hingenommen und mittlerweile sogar akzeptiert. Keiner von ihnen ahnte, dass er der Keyboarder und Songwriter der Centerstarks gewesen war und inzwischen Lieder für viele berühmte Bands, Sänger und Sängerinnen komponierte. Und das sollte seiner Meinung nach auch so bleiben. Er wollte hier an diesem gottverlassenen Ort ein normales Leben führen - unerkannt.
Die zwei zusätzlichen Zimmer waren zu einem Tonstudio ausgebaut worden - das war sein Heiligtum - sein Arbeitsbereich, in dem er gerade den neuen Song für eine junge aufstrebende Sängerin aus Amerika fast fertig komponiert hatte. Es fehlte nur ein wenig Feinschliff, aber für heute hatte er genug getan. Die Musikdatei würde er, nachdem er sie noch ein bisschen aufpoliert hätte, seinem Freund Darren nach Deutschland schicken, mit dem er zusammenarbeitete und unter dem Label Jam Beats bekannt war. Auch das wusste niemand. Jam Beats kannten viele in der Branche, jedoch ahnte keiner, wer sich dahinter verbarg. Bei öffentlichen Auftritten wurden sie durch den Pressesprecher Bobby Dawson vertreten, der früher auch die Centerstarks betreut hatte.
Darren hatte dieses absolute Gehör, das nur wenige besaßen, und er war dafür prädestiniert, Schwachstellen herauszuhören. Wenn er sang, wurden selbst hartgesottene Typen zu Heulsusen.
Entschlossen, die Arbeit hinter sich zu lassen, stand er auf und machte das Licht aus, bevor er in den älteren Teil des Cottages ging. Sein Magen knurrte, aber beim Blick in den Kühlschrank, konnte er nur gähnende Leere entdecken. Adam musste dringend einkaufen gehen, er hatte weder Gemüse noch Obst und erst recht kein Brot im Haus.
Leider war die örtliche Bäckerei seit kurzem geschlossen. Die gute Mrs Wilson war vor einigen Monaten an Demenz erkrankt und hatte für allerlei Trubel in dem kleinen Dorf gesorgt. Ihren beiden Söhnen, die bereits seit Jahrzehnten in Dundee lebten und dort eine Anwaltskanzlei betrieben, war ihrer Meinung nach nichts anderes übrig geblieben, als den Laden zu schließen. Mrs Wilson war nicht einverstanden gewesen, doch sie hatten sie ohne viel Aufhebens entmündigt. Als die zwei jedoch die gute Dame in ein Altersheim in der Großstadt bringen wollten, hatten alle aufbegehrt. Jeder im Ort kannte sie seit frühester Kindheit und niemand wollte ihr das antun, ganz nach dem Motto: Einen alten Baum verpflanzt man nicht. Ein städtisches Altersheim war ein Abstellgleis und das hatte Mrs Wilson einfach nicht verdient. Kurzerhand hatte man sie bei Mrs Reid einquartiert, die eine kleine Pension für Touristen führte. Die beiden Anwälte waren froh, das Problem, wie sie Mrs Wilson hinter vorgehaltener Hand nannten, los zu sein, und zahlten Mrs Reid einen guten Preis. Soweit Adam wusste, bekam sie das Doppelte von dem, was ein normaler Gast ihr zahlen würde. Den Söhnen tat es nicht weh, sie waren zwei reiche Schnösel, die nicht wussten wohin mit dem Geld. Das Altersheim hätte mit Sicherheit einen weit höheren Betrag veranschlagt. Es schien, als wenn die Einwohner des Dorfes mehr die Familie von Mrs Wilson waren, als ihre leiblichen Söhne, was alle sehr traurig gestimmt hatte.
Adam war schon oft solch karriereorientierten Menschen begegnet, aber in Bezug auf Mrs Wilson hatte ihn das dennoch sehr schockiert. Die eigenen Kinder sollten definitiv mehr Liebe ihrer Mutter entgegenbringen, schließlich waren sie doch ihr Fleisch und Blut. Auch Adam hatte die Dame in sein Herz geschlossen, was man von ihrem Nachwuchs ganz offensichtlich nicht sagen konnte. Sie war so etwas wie die gute Seele des Dorfes, und selbst in ihrem manchmal ein wenig verwirrten Zustand war sie herzallerliebst.
Und nun vermisste Adam die leckeren süßen Teilchen, die er so liebte, und vor allem das frisch gebackene Brot. Vermutlich nicht nur er. Der optische Eindruck des Ladens war eine Katastrophe gewesen, alles schien völlig veraltet und im vorigen Jahrtausend stehengeblieben zu sein. Aber alleine der Duft, der durch die Straße gezogen war, wenn sie den uralten Ofen mit allerlei Teigwaren beladen hatte, war suchtgefährdend gewesen. Sollte sich irgendwann einmal jemand dazu bereit erklären, eine Bäckerei zu eröffnen, würde derjenige zwar mit offenen Armen empfangen werden, aber zeitgleich wäre es nicht leicht die gute Mrs Wilson zu ersetzen. Dennoch hoffte Adam, dass es bald einen Mutigen geben würde. Lange würde er es nicht mit dem abgepackten Brot aushalten, das man im örtlichen Supermarkt kaufen konnte. Das hatte keinerlei Geschmack und er hatte eher das Gefühl, sich Fensterkitt in den Mund zu schieben, als ein vollwertiges Brot.
Beherzt griff er nach seinem Schlüssel und stieß einen kurzen Pfiff aus. Er sollte doch zumindest im Supermarkt etwas zum Essen finden, es musste ja nicht unbedingt Brot sein. Sofort kam Tyler angerannt und sprang ihm an den Beinen empor, immer wieder ein Bellen für sein Herrchen übrig.
Der Jack-Russel-Terrier hatte eines Tages vor seiner Tür gestanden und seitdem wohnten die beiden Männer zusammen. Keiner im Dorf wusste, wo der Hund hergekommen war, wobei Adam so manches Mal Mrs Wilson im Verdacht gehabt hatte, den kleinen Kerl einfach vor seinem Haus abgesetzt zu haben. Sie hatte ihm ständig in den Ohren gelegen, dass er viel zu einsam lebte und seit Tyler bei ihm war, hatte er davon nichts mehr gehört. Adam war es im Grunde genommen egal, wo sein Mitbewohner hergekommen war, denn er war sehr froh über den kleinen Wildfang, der sein Leben zwar ein wenig durcheinanderbrachte, aber definitiv bereicherte. Mittlerweile waren sie ein eingespieltes Team.
»Na