Die Kaiserreich Trilogie, 3. Der Kopf. Heinrich Mann
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Erst bei dem letzten Satz hörte der Sohn wieder hin, er überlegte, das sei es, weshalb er seinen Freund zuletzt doch ablehne. »Uns trennt ein einziges Wort, das er anbetet: Erfolg haben.« Worauf er wieder in den inneren Anblick dessen versank, was ihm vor allem Ehrgeiz, allen Siegen stand. Da unterbrach die Mutter. »Wie starrst Du Deine Schwester an, ihr wird schlecht.«
Die Schwester hatte sein Gesicht sich verdüstern gesehen, – etwa nicht, weil der Name ihres Geliebten fiel? Der Bruder aber sah die ganze Zeit, mit den Augen in ihren, doch nur ein Gesicht, das nicht da war. Er kannte es, wie nur es, und verging doch vor Unruhe, was er denn kenne. Man konnte jene Frau also lieben wie das Leben, und vor lauter Begehren nicht einmal in ihrem Gesicht Bescheid wissen, ob es böse war, ob es glücklich war, ob es überhaupt das Gesicht eines fühlenden Herzens war. »Das ist meine Schwester«, sah er, »die ich klein kannte. Schön ist auch sie, auch sie blond, farbenhell und mit der dreisten Nase. Sehe ich sie einzeln, keiner ihrer Züge ist vollkommen, die Augen nicht, der Mund nicht, aber alles zusammen macht ein Wesen aus, wie es gewachsen ist mit mir selbst und wie es sein soll. Furchtbare Frau dort drüben, die unkennbar und doch unausweichlich ist! Ich muß zu ihr hinüber«, sah der bedrängte Zwanzigjährige und rückte schon den Stuhl.
Ein Wort des Vaters hielt ihn zurück. Ob er Eile habe. Ob die Ferien ihm zu lange währten. Er verteidigte sich ausweichend. »Schließlich kann ich nicht mehr tun, als daß ich sämtliche Prüfungen mache, zu denen mir Gelegenheit geboten wird.« Aber er wußte schon, wo dies hinaus wollte.
»Du möchtest vielleicht nächstes Semester mehr Geld ausgeben? Gern. Zerstreue Dich.« Der Vater fragte von unten, mit der gefalteten Stirn, die überlegen und doch auch machtlos aussah. Der Sohn ward weich. »Wie sehr muß ein so strenger Mann Kummer leiden, bevor er sogar meinen Leichtsinn unterstützt.« Die Augen der Mutter erbaten es wie eine verdiente Huldigung, er möge die Frau ihr opfern. Der Blick der Schwester freilich wollte vielleicht nur miterleben, was in ihm jetzt vorging.
Die Eltern hatten sich heimlich verständigt, daß er weich genug sei, die Mutter versuchte: »Man spricht davon, mußt Du wissen. Es kann uns nicht gleich sein.« – »Für wie vernünftig wir Dich auch halten«, ergänzte der Vater.
Der Sohn sah den Ernst der Lage. »Ich lebe nicht für die Leute«, versicherte er, mit gewollter Festigkeit.
»Gegen sie ist es nicht leicht zu leben«, bemerkte der Vater umso nachsichtiger. »Besonders, wenn sie schon alles wissen, was wir eigentlich als Erste erfahren müßten.« Da er den Sohn in Unruhe sah, sprach er schlicht belehrend. »Mein Sohn, ich habe hier einige Schriftstücke, Rechnungen und Anderes; sie sollen Dich aufklären über eine Dame, die Dir, es scheint leider so, nahe steht?« Besorgte Frage, der Sohn überhörte sie geflissentlich. Die Schwester machte eine Bewegung. »Nora kann dableiben«, entschied der Vater. »Eins unserer Kinder muß es wissen, wenn das andere in Gefahr ist«.
»Ich will nichts wissen«, hauchte die Schwester, in großer Furcht für sich selbst. Da sie den Bruder entgeistert anstarrte, glaubte er, sie verwerfe ihn feige. Erbittert stieß er aus:
»Anonyme Briefe!« »Es sind Rechnungen«, sagte der Vater. »Mit deutlichem Firmenaufdruck. Deine, sollen wir sagen Verlobte, hat sich berechtigt geglaubt, auf Deinen Namen Schulden zu machen – nicht unbeträchtliche, aber immerhin bleibt sie damit in den Grenzen unserer Lebenshaltung. Sie weiß sich anzupassen, es ist keine unerfahrene Person.«
Diese Anspielung war zu viel. Der Sohn aber fühlte, er würde vielleicht auch sie noch ertragen haben, hätte nicht im Gesicht der Schwester Verrat gestanden. Unter seinem haßerfüllten Blick verlor sie den Kopf, sie plapperte: »Um Gotteswillen, Klaus, eine Abenteurerin!«
»Deine Schwester sagt es«, stellte der Vater fest, da sprang der Sohn vom Stuhl, untersetzt stand er da und wollte, mit leidenschaftlichem Zucken des Gesichtes, den Kampf aufnehmen. Der Vater winkte ab. »Ich weiß schon. Nächstes Jahr hast Du etwas Geld, von Deinem kleinen Erbe zahlst Du die Schulden der Dame und gehst – setzen wir gleich das Ärgste voraus – mit ihr in die Welt. Glaubst Du aber, daß sie so lange wartet?«
Der Sohn fuhr auf; was wagte man! Die Mutter und die Schwester hatten sich vom Tisch zurückgezogen, der Vater ließ sich nicht stören. »Auch darüber habe ich Nachrichten, nicht einmal ohne Namen. Ich darf sogar fragen, ist sie zur Stunde noch in der Stadt? War sie heute zu Hause? Du wirst es wissen.«
Es schwindelte den Sohn, er umkrallte seinen Stuhl. Die Mutter, die ihn erschüttert sah, sagte ruhig und geschmackvoll: »Wie war es nur möglich. Eine Abenteurerin, und weder jung noch hübsch.« Die Schwester fühlte: Wieder gut machen, ihm helfen, wie es geht! »Jeder hat seinen Geschmack«, sagte sie schüchtern, und aus Schüchternheit mit einer Art Lachen. »Nun kennen wir wenigstens den Deinen«, meinte der Vater, denn er hielt den Ansturm für gelungen und glaubte schon, spotten zu dürfen.
Der Sohn würdigte die Schwester keines Blickes mehr. »Was willst Du, Vater, mit Deinen Polizeiberichten, dort wo es mir um das Leben geht!« – worauf der Vater auf einmal geschlagen und arm aussah. Die Mutter, ihres besseren Wissens sicher, bewegte verneinend den Kopf.
»Der Fürst, ihr Mann, hat sie mißhandelt«, stieß der Sohn aus. Die Mutter lehnte ab. »Er war nicht ihr Mann, und sie hatte ihm, glaube ich, seinen Kutscher vorgezogen«. – Da der Sohn, um an sich zu halten, durch die Nüstern blies, erhob sie sich: »Erledige dies mit Deinem Vater!« – und entfernte sich gelassen. Die Schwester fühlte sich ausgestoßen, drum ging auch sie, die Augen voll Tränen.
Der Vater in seinem Frack saß abwartend da. Er hatte den Kopf schief gestellt und betrachtete den Sohn wohlwollend, fast gar nicht gönnerhaft. »Wir sind unter uns«, sagte er dann. »Jetzt könnten wir am Ende zugeben, daß wir diesmal hineingefallen sind.«
»Vater, ich schwöre Dir, daß sie den Fürsten –«
»Und den Bankier, mit dem sie vorher war? Und zwischen den beiden, als sie sich in Varietétheatern ausstellte? Aber es kommt auf kein Mehr oder Weniger an. Die Frage ist, willst Du auftreten im Leben – mit einer Gefährtin, die, man darf wohl vermuten, dem Abgang näher als dem Auftritt ist?«
»Falsch.«
»Du hältst sie wohl für ein unbeschriebenes Blatt?«
»Für keusch im Tiefsten. Ich erfahre es an mir selbst.«
Der Vater neigte das Gesicht, so versank das Lächeln im Schnurrbart. Hierauf fand er es geboten, den Ton höher zu nehmen. »Du legst Wert darauf, daß ich Dir ausdrücklich mit Enterbung drohe? Ich soll Dir erklären, daß ich weder entehrt noch ruiniert werden will?« Die starken Worte übten nun doch ihre Wirkung auf ihn selbst, er stand auf und sagte gerötet: »Wir sollen uns wohl niemals verstehen.«
»Wenn Du es nicht willst, Vater.«
Dies erbitterte Gesicht, die schwankend zufahrende Stimme erbarmten den Vater. »Wir brauchen einander doch«, sagte er mit gütiger Strenge. Der Sohn, nur noch erbitterter: »Wozu? Damit Du mich angreifst in meinem Besten?« – wobei er aber fühlte: er benimmt sich gut.
»Wir sind anständige Leute, wir finden uns schon wieder.«
»Kann sein, nie.« Der Sohn schnitt ab, um nur loszukommen.
Der Vater richtete die Hand gegen den sich Zurückziehenden.