Die Kaiserreich Trilogie, 3. Der Kopf. Heinrich Mann

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Die Kaiserreich Trilogie, 3. Der Kopf - Heinrich Mann

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Herzen jubelte er: Durch Dich, in den höchsten Himmel! – hielt aber still und ließ sie noch schwerer werden. Schon mußte er sich fest auf das Pflaster stemmen. »Nur Ferien will ich mir einmal machen.« Sie seufzte tränenfeucht. »Einige Tage keine Sorgen haben. So lange kann ich wohl unbemerkt verschwinden. Daß nur auch Deine Familie nichts merkt!«

      Ihr dämmerweiches Gesicht lag nahe unter seinem Mund, er wühlte sich hinein, und sie empfing ihn, atmend, die Augen geschlossen. Aus der Gasse drang ersterbend jener Schrei.

      Sie kehrten um, er faßte noch keinen Gedanken. Sie schritt lässig, ihre Hüfte glitt über die seine hin. Allmählich rührte sich sein Bewußtsein. »Dies ist nun das Leben, an meinem Herzen halte ich die Frau von drüben. Dies sind nicht mehr die harmlosen Freuden im Schutz der Familie, wie meine alten Flammen, oder wie Lea und Mangolf. Es ist der Ernstfall.«

      »Madelon!« – nur um Besitz zu ergreifen von ihrem Namen, ihrem Sein. Sie sagte aber: »Den Namen will ich von Dir nicht hören.« Vertraulich die Stimme gesenkt: »Sage Lili! So nennst nur Du mich.«

      Er stutzte, aber warum enttäuscht sein. »Ich bin auch der Einzige, für den meine Schwester Lea heißt.«

      »Siehst Du, ganz wie ich.«

      Hierin versenkte er sich.

      Da sah er, ihr Haus war schon nahe. Tatkraft her! »Mein Kind, Du wirst sofort Deinen Koffer packen«, sagte er klar und endgültig. Er bezeichnete das Dorf, das Gasthaus, wo sie heute Nacht den Frühzug erwarten sollten. Ihre Antwort brauchte er nicht, er gab ihr kurz die Hand. Sie ließ seine Hand aus der ihren zurückgleiten, bis zu den Fingerspitzen, die hielt sie noch. Dabei hatte sie, in dem schwach erhellten Flur, ein rätselhaftes Lächeln und neigte den Kopf ein wenig nach der Seite, wo die Treppe lag.

      Auch die Fingerspitzen trennten sich, sie nickte und verschwand. Er ging mit weniger starken Schritten über die Straße, als er gedacht hätte.

      *

      Vor der Tür des Vaterhauses überlegte er, es sei viel besser, nichts zu packen, ohne Gepäck zu reisen, niemand mehr zu sehen. Die letzte Stunde gehörte dem Freund, – auf, zu ihm! Gleich ward ihm die Brust weiter. Nie anders als mit tiefer, reicher Freude hatte er diesen Weg gemacht, und wenn es täglich zweimal war. In Unruhe bedachte er, daß der Gang zu der Frau hinüber ihn nur selten so ganz beglückt habe, wie dieser, zu seinem Freund.

      Das Haus hinter der alten Veitskirche, in der abendlich aufgeräumten Straße kleiner Werkstätten und Kontore, stand da wie der Alltag, verstaubt die farbigen Scheiben des Flurs, auf der engen Treppe die Spuren zahlreicher Besucher. Noch immer kamen Stimmen aus dem Zwischenstock, mit dem Schild: Mangolf, Agent. Ein Stockwerk höher trat die Mutter aus ihrer Küche gleich auf die Stiege hinaus. Sie trocknete ihre geschwollenen Hände und öffnete demütig dem vornehmen Gast jene kleine Tür. Hinter einer kleinen Tür begann, merkwürdig und bedeutungsvoll, die steile Stiege nach dem Zimmer des Freundes.

      Der Freund saß am Schreibtisch, links stützte er sich auf den Deckel des Klaviers. Der Gast trat zwischen dem Feldbett und dem grünen Sopha in das Zimmer, kein Stuhl hätte mehr Platz darin gehabt. Der Freund streckte ihm aufleuchtend die Hand hin, von dem Sopha räumten sie die Bücher, Terra sagte dabei schon: »Weshalb ich besonders komme: Du bist ein Schwein. Leugnest Du vielleicht Deine Machenschaften mit dem Pfarrer und dem Theaterdirektor? Anständige Leute lassen Dir keinen Zweifel darüber, daß das nicht geht. Die bürgerliche Welt ihrerseits erkennt Deine gute Gesinnung an. Ich sehe mit Befriedigung, daß Du vernichtet bist.«

      Mangolf saß und kaute an der Lippe. Er hielt die feinen Schultern gebeugt, die breite gelbe Stirn stand vorgeschoben, und er sah gramvoll aus. Terra auf seinem Sopha bebte im ganzen Gesicht vor Angriffslust. Seine schwarzen Augen brannten unter den Haaren, die tief in die Stirn wuchsen und von den Schläfen sich weit zurückzogen.

      Mangolf aber entschloß sich, zu lächeln, melancholisch und witzig. »Du glaubst, ich spiele ihnen ihre fromme Komödie? Ich führe sie an der Nase.« – Womit freilich nichts gesagt war. Nur der Abrechnung war ausgewichen. Statt dessen kam ein Vorstoß von Mangolf. »Weißt Du auch schon, daß Dein Vater seinen Buchhalter Schlüter festnehmen lassen wollte?«

      »Den Buchhalter im Hafenspeicher?«

      »Wegen sozialdemokratischer Propaganda. Der Mann hat sich gerade noch freigeschwindelt; er sollte machen, daß er fortkommt.«

      Mangolf blickte erwartungsvoll; aber Terra verriet nichts, als naives Erstaunen. Wie die Dinge im Munde der Welt ihre Gestalt änderten! Wie sie seinen Vater ansah! Sein Vater, der bedenkenreichste Mensch der Welt!

      »Quatte aber hat es für angezeigt gehalten, Wechsel zu fälschen«, sagte Mangolf hohnvoll. »Die bürgerliche Ehrsamkeit eines ganzen, alteingesessenen Familienklüngels dieser ehrwürdigen Stadt wird wieder einmal mit Erfolg in Frage gestellt durch Christian Leberecht Quatte.«

      Und Terra, schneidend: »Sie gehen zur Kirche, sie taufen sogar ihre Schiffe. Sie versacken in einem Geisteszustand, der links vom Nationalliberalismus nur mehr eine Art Unzucht sieht ...« Er sprach noch lange mit jener Empörung, die ihn in der Tiefe nur heiterer stimmte, – bis Mangolf einwendete, man sei hier reich, gesellschaftlich geschult, und mancher von hier ausgegangen, der weit gekommen sei. Diese Entschuldigung ließ der Patrizier Terra nicht gelten, er haßte die Stadt schlechthin – nicht mit dem Drang nach oben, der den Sohn des Agenten Mangolf quälte. Der Sohn des hochverehrten Mitbürgers Terra sagte: »Hier kannst Du nicht einmal mit viel Geld etwas werden.«

      »O doch.« Mangolf straffte sich. »Denke Dir, ich wäre in der Lage, als Führer einer großen Partei das Kontor des Getreidehauses Terra zu betreten und seinem Chef besonders inhaltreiche Auskünfte zu geben über das künftige Schicksal der alten Bismarckschen Schutzzölle.«

      »Was weiter?«

      »Heute helfen sich die bedrohten Firmen, wie sie können.« Blick auf Terra, der verständnislos blieb. »Oft mit interessanten Mitteln. Das Schiff des Konsuls Ermelin, das neulich unterging, war erst seit kurzem hoch versichert.«

      »Wenn ein Verbrechen dahinter stäke, könnte doch Ermelin nicht der Freund meines Vaters sein.«

      Hier nahm Mangolf die zusammengepreßten Lippen von einander, als gäbe er es auf.

      »Nun«, machte er harmlos. »Auch der Kaiser ist mit manchem befreundet. Man nennt nicht alles gleich Verbrechen.«

      Terra setzte sich zurecht, es ging los. »Darüber bin ich anderer Meinung. Jene Freundschaften prägen einen Mann. Heute, 1891, sehe ich kein zweites Land, wo es noch möglich wäre, das gesamte öffentliche Leben auf eine Privatangelegenheit zu stellen, nämlich auf den persönlichen Ringkampf Wilhelms des Zweiten mit der Sozialdemokratie.« Mangolf, voll höhnischer Anerkennung: »Er findet, die Sozialdemokratie widerspreche den göttlichen Lehren, soll heißen, seinen eigenen Interessen.«

      »Das Wort: ›Die Sozialdemokratie nehme ich auf mich‹ – ist geradezu ein Jahrtausendwort, was falsches Denken betrifft.«

      »Alles wörtlich auffassen – wie ein schlechter Schauspieler, der alle Sätze gleich stark bringt: mein Großvater heilig, der himmlische Appell«, sagte Mangolf und sprach selbst wie ein Schauspieler. Terra fiel ein.

      »Das Gottesgnadentum!«

      »Das ein romantischer Schwindel ist und nirgends eine kirchliche Stütze hat.«

      »Humanität aber hat er noch niemals anders

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