Der Mann, der Donnerstag war. Gilbert Keith Chesterton
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Der Mann, der Donnerstag war - Gilbert Keith Chesterton страница 3
Und es ist immer der Bescheidene, der zuviel redet; der Hoffärtige, der überwacht sich selber viel zu sehr. Also verteidigte er die Respektabilität mit Ungestüm und manniger Uebertreibung. Und wurde hitzig im Rühmen von Nettigkeit und Anstand. Und all die Zeit schwamm Fliederduft um ihn ... Mit einmal hörte er sehr schwach von fernher aus einer Straße, daß eine Drehorgel zu singen anhub, und es war ihm, als ob seine heroische Rede eine liebliche Weise gebar von unter oder außer der Welt her ...
Und er sah sie an und er sang zu ihr: zu ihrem roten Haar und zu ihrem amüsierten Gesicht – minutenlang wohl. Aber dann, wie ihm einfiel, daß es doch nicht schicklich wäre an einem solchen Ort, ein Plaudergrüppchen auf so lange auszudehnen – da sprang er auf. Und ersah zu seinem Erstaunen: der ganze Garten leer. Ein jeder war längst schon gegangen, und so ging er nun selber auch – mit einer ziemlich übereilten Entschuldigung. Ging – – als wie mit Champagnerwein im Kopf, ein Gefühl, für das er nie eine Erklärung fand ... An all den wilden Geschehnissen, die jetzund folgen werden, hatte das Mädchen nicht den geringsten Anteil. Er sah sie auch nimmermehr wieder, ganz bis zu allem Ende all dieser seiner Erlebnisse. Und dennoch, dennoch: – auf irgendeine unbeschreibliche Weise kehrte sie ihm immer wieder, tauchte sie ihm immer und immer wieder auf, wie ein musikalisches Leitmotiv durch all die folgenden wahnsinnigen Aventüren, und die Glorie ihres seltsamlichen Haares spann sich leuchtend so wie ein roter Faden durch all den geheimnisvollen und unheimlichen Gobelin dieser Nacht. Alles was von nun an geschah, oh das war all so unwahrscheinlich, daß es gar wohl nur ein Traum hätte sein können ...
Als Syme auf die sternhelle Straße heraustrat, fand er sie erst leer. Dann vergegenwärtigte er sich (auf eine gewisse absonderliche Manier), daß die Stille weit eher eine lebendige Stille war denn eine tote. Unmittelbar vor dem Tor, da stand eine Straßenlaterne, und ihr Strahl vergoldete das Blattwerk des Baumes, der über den Zaun hinter ihm sich herüberneigte und herausverbeugte. Und einen Schritt weit von dem Laternenpfahl, da hielt eine Gestalt, so steif und starr wie der Laternenpfahl selber. Der kühne Hut und der zweireihige Gehrock mit Schößen, die waren schwarz. Das Gesicht, steil überschattet, nicht minder dunkel. Nur eine Franse brennroten Haars in der Helle und etwas Aggressives in der Haltung, das verriet; es war der Dichter Gregory. Und hatte etwas von einem Bravo mit einer Maske über dem Gesicht, wie er mit einem Mordstahl in der Hand auf seinen Feind wartet.
Und grüßte einen immerhin bedenklichen Gruß. Worauf Syme um ein etzliches förmlicher zurückgrüßte.
»Ich hab auf Sie gewartet«, sagte Gregory, »könnte ich Sie in einer Angelegenheit sprechen?«
»Gewiß ... In welcher?« fragte Syme ein wenig erstaunt.
Gregory schlug mit seinem Spazierstock erst gegen den Laternenpfosten und dann gegen den Baum.
»In dieser und in dieser da«, schrie er; »über Gesellschaftsordnung und über Anarchismus. Das da, das ist Ihre unschätzbare Ordnung: diese schiefe eiserne Funsel, diese ekelhafte blöde Latichte. Und das da, das ist die Anarchie: reich, strotzend von Leben, die sich selbst erzeugt – das ist die Anarchie, strahlend in Grün und Gold.« »Genau so ist es«, antwortete Syme geruhig, »genau wie jetzt –: Sie sehen den Baum nur durch das Licht der Laterne. Und ich müßte mich sehr wundern, wenn Sie jemals die Laterne durch das Licht des Baumes sehen würden.« Und dann nach einer Pause sagte er noch: »Aber darf ich fragen, ob Sie hier heraußen im Dunkeln einzig gestanden haben, um unsere kleine Auseinandersetzung wieder aufzunehmen?«
»Nein!« rief Gregory aus – und seine Stimme läutete die halbe Straße hinab, »ich hab weiß Gott nicht hier gestanden, nur um unsere Auseinandersetzung wieder aufzunehmen – sondern um sie für alle Zeit und in Ewigkeit zu enden!« Stille fiel wieder ein. Und obschon Syme nichts von allem begreifen konnte, witterte er doch instinktiv etwas Ernsthaftes. Gregory hub nun an in sanftmütigen Tönen und mit einem beinahe verführerischen Lächeln.
»Mr. Syme«, sagte er, »Ihnen glückte heute abend bei mir etwas ziemlich ... Merkwürdiges. Etwas ... das bislang noch keinem aus einem Weibe Geborenen mit mir glückte.«
»Wahrhaftig!«
»Doch! Nun erinnere ich mich«, resümierte Gregory nachdenklich, »einem vor Ihnen, dem glückte es gleichfalls schon. Und das war ... und das war der Kapitän eines Sechserfährbootes (wenn ich mich recht erinnere) in Südend. Sie haben mich, Sie haben mich ... gereizt.«
»Tut mir ungemein leid«, erwiderte Syme würdig. »Und ich fürchte und ich muß sehr fürchten, daß ich viel zu schwer beleidigt bin, als daß eine bloße Entschuldigung die Sache abzuwaschen vermöchte«, sprach Gregory geruhig. »Und auch kein Zweikampf wäre da Genugtuung genug. Es ist nur ein Weg, den Insult auszutilgen, und diesen Weg wähle ich. Ich werde ... und werde dabei womöglich mein Leben und meine Ehre zu Opfern bringen müssen ... ich werde Ihnen beweisen, daß Sie unrecht hatten mit dem, was Sie sagten!«
»Was sagte ich?«
»Sie sagten, daß es mir nicht ernst um meinen Anarchismus wäre.«
»Es kann einem so und so ernst um etwas sein. Es gibt verschiedene Grade. Es gibt Nüancen«, erwiderte Syme. »Ich habe niemals gezweifelt, daß Sie es restlos ehrlich meinten, insofern als Sie dachten: was Sie sagten, das sei wohl wert, daß Sie es sagten ... daß Sie dachten: ein Paradoxon vermag einen Menschen aufzurütteln zu neuer Erkenntnis einer längst geringgeschätzten, verachteten Wahrheit.«
Gregory blickte ihn fest und schmerzlich an.
»Und aber anders als so«, fragte er, »halten Sie mich nicht für ernst? Sie glauben also, ich wäre der flâneur, der gelegentliche Wahrheiten fallen läßt? Sie glauben absolut nicht, daß ich es in einem tieferen, in einem tödlicheren Sinn ernst meinen könnte?«
Syme stieß hart mit dem Spazierstock auf die Pflastersteine.
»Ernst – ernst!« schrie er. »Herr Jesus, Herr Jesus! Ist am Ende diese Straße ernst? Sind am Ende diese verdammten chinesischen Papierlaternen ernst? Ja, ist denn der ganze Klimbim ernst? Da kommt man hierher und redet seinen Stiefel zusammen – und das so gut, als man es eben vermag – – aber das muß ich denn doch sagen, daß ich verflucht wenig von einem Menschen halten würde, der als Bodensatz seiner Seele nicht etwas Ernsteres zurückbehielte als all den Quatsch – etwas Ernsteres, sei es nun Religion oder ein guter Tropfen.«
»Ausgezeichnet«, sagte Gregory, und sein Antlitz verfinsterte sich, »so sollen Sie denn etwas Ernsteres erleben, Ernsteres als ein guter Tropfen oder Religion!«
Und Syme stand wartend – mild dreinschauend wie gewöhnlich – bis daß Gregory neu den Mund auftat.
»Sie sprachen gradeben von Religion. Ist es tatsächlich wahr, daß Sie Religion haben?«
»Oh«, sagte Syme und lächelte strahlend, »wir sind heutzutage alle gute Katholiken.«
»Dann frage ich, ob Sie mir bei was immer für Göttern oder Heiligenmännern Ihrer Religion schwören wollen: daß Sie das, was ich Ihnen nun anvertrauen werde, keiner Menschenseele und insonders nicht der Polizei verraten? Wollen Sie mir schwören? «Wenn Sie zu solcher entsetzlicher Selbstverleugnung imstande sind, wenn Sie bereit sind, Ihre Seele mit einem Schwur zu belasten, den Sie nimmer schwören sollten, und mit einem Wissen, das Sie sich nicht hätten träumen lassen: dann versprech ich Ihnen meinerseits – –«
»Sie mir Ihrerseits?« forschte Syme, als der andere innehielt.
»– – dann versprech ich Ihnen meinerseits einen ungemein unterhaltlichen Abend.«