Der Mann, der Donnerstag war. Gilbert Keith Chesterton

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Der Mann, der Donnerstag war - Gilbert Keith Chesterton

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der ist ganz plötzlich gestorben. Infolgedessen haben wir eine Versammlung auf diesen heutigen Abend einberufen, um einen Nachfolger zu wählen.«

      Er sprang auf seine Füße und strolchte umher, mit einem halb verlegenen Lächeln.

      »Mir ist irgendwie, als ob Sie meine Mutter wären, Syme«, fuhr er zögernd fort. »Mir ist als könnt ich Ihnen da etwas anvertrauen ... und Sie haben mir ja auch versprochen, niemandem etwas zu erzählen. De facto, ich will Ihnen etwas anvertrauen, das ich mit soviel Worten nicht zu den Anarchisten sagen möchte, die in ungefähr zehn Minuten hier sein werden. Das soll alles natürlich durch eine Art Abstimmung gehen; aber ich will Ihnen gern gestehen, daß es tatsächlich jetzt schon feststeht, welches das Resultat sein wird.« Er blickte für einen Augenblick bescheiden zur Erde. – »Es ist nahezu entschieden, daß ich der Donnerstag werden soll.«

      »Mein teurer Kollege«, sagte Syme herzlich, »ich gratuliere. Eine große Karriere!«

      Gregory lächelte deprezierend und lief herum und stieß eilends hervor:

      »Tatsache, Tatsache ... an diesem Tisch ist alles für mich schon fix und fertig ...«, sagte er, »und die Zeremonie wird wahrscheinlich so kurz wie möglich währen.«

      Nun trieb es Syme gleichfalls um den Tisch herum, und er sah einen Spazierstock darauf liegen (der sich indes bei eingehenderer Prüfung als ein Stockdegen entpuppte), – ferner einen mächtigen Totschläger-Revolver, ein Tablett mit Sandwiches und eine ungeheuerliche Flasche Brandy. Ueber dem Präsidentenstuhl, dicht bei dem Tisch, hing ein allem Anschein nach schwerer Mantelkragen oder so etwas ...

      »Ich brauch nur noch der Form nach gewählt zu werden«, fuhr's lebhafter aus Gregory heraus, »dann reiße ich diesen Mantelkragen und diesen Stockdegen an mich, praktizier diese anderen Dinge in meine Tasche, schreite durch ein Tor hindurch in jene Höhle, die auf den Fluß hinausgeht, allda ein Schleppdampfer mich bereits erwartet, und dann – und dann – und dann – und dann – oh, oh, die wonnige Wonne: der Donnerstag zu sein!« (Die Hände faltete er.)

      Syme, der sich neuerdings – unmanierlich schlapp, wie er sich gewöhnlich benahm – gesetzt hatte, sprang wieder auf die Beine und stand – unüblich unentschlossen und zögernd.

      »Wieso kommt es«, fragte er unsicher, »daß ich denken muß, Sie seien ein durch und durch anständiger Kerl? Warum ergehts mir nun genau so wie Ihnen, Gregory?« Er hielt einen Moment inne, und dann setzte er mit einem Ton munterster Neugierde hinzu: »Ist es vielleicht, weil Sie ein derartiger Esel sind?«

      Und da war wieder eine ängstliche Stille, und Syme rief aus:

      »Wohlan, mög alles der Teufel holen! Dieses ist die komischste Situation, in der ich mich jemals in meinem Leben befunden habe – und ich will ganz demgemäß handeln. Gregory, Gregory – ich mußte Ihnen etwas heilig versprechen, bevor ich hierherkam. Und ich würde dieses mein Versprechen selbst unter rotglühenden Kneipzangen noch halten. Wollen Sie mir nun, zu meiner eigenen Sicherheit, ein kleines Versprechen von einer ähnlichen Art geben?«

      »Ein Versprechen?« fragte Gregory – verwundert.

      »Ja«, sagte Syme mit tiefem Ernst, »ein Versprechen. Ich schwur zu Gott, daß ich Ihr Geheimnis nicht bei der Polizei anzeigen würde. Wollen Sie mir bei aller Humanität schwören, oder an was immer für ein Viehzeug Sie glauben, daß Sie mein Geheimnis nie irgendeinem Anarchisten offenbaren werden?«

      »Ihr Geheimnis?« fragte der über alle Maßen baffe und starre Gregory, »haben Sie ein Geheimnis?«

      »Ja«, sagte Syme, »ich habe ein Geheimnis.« Und nach einer Pause – »Wollen Sie schwören?«

      Gregory sah ihn sekundenlang wild und durchdringend an und dann sagte er schnell:

      »Sie müssen mich behext haben, aber ich bin wütend neugierig auf Sie. Ja ja ja ja, ich schwöre Ihnen, daß ich nichts von allem, was Sie mir sagen werden, den Anarchisten sagen werde. Aber sputen Sie sich, denn sie werden in ein paar Minuten hier sein.«

      Syme stand faul auf und schob seine langen weißen Hände in seine langen grauen Hosentaschen. Und kaum hatte er dies getan, so pochte es draußen an der Luke fünfmal – ein Zeichen, daß die ersten Verschwörer anlangten.

      »Also ...«, sagte Syme faul, »ich weiß nicht, wie ich Ihnen all das Wahre kürzer mitteilen sollte als mit den drei Worten: daß Ihr Trick, sich als einen meschuggenen Dichter aufzuspielen, sich nicht auf Sie oder Ihren Präsidenten beschränkt. Wir kennen diesen Trick seit einiger Zeit schon – bei Uns – auf der Londoner Kriminalpolizei.« Gregory versuchte aufzuspringen, aber etwas drückte ihn dreimal wieder nieder.

      »Was ... sagen ... Sie?« fragte er – und das schien von keiner Menschenstimme mehr –

      »Ja«, sagte Syme wie selbstverständlich, »ich bin ein Polizeidetektiv. Aber ich denke, ich höre Ihre Freunde kommen.«

      Den Torweg her, da kam ein Murmeln: »Mr. Joseph Chamberlain ...« Und wiederholte sich – zweimal – dreimal – und dann dreißigmal ... und der Haufen der Joseph Chamberlainisten (ein ehrfurchteinflößender Gedanke) meldete trampelnd sich den Korridor herab.

      Das dritte Kapitel

      Der Mann, der Donnerstag war

      Bevor eins der neuen Gesichter im Torweg auftauchte, hatte Gregory sich aus seiner Betäubung befreit: stand mit einem Satz am Tisch, aus seinem Halse rasselnd wie ein wildes Tier: ergriff den Totschläger-Revolver und zielte auf Syme. Der aber, der muckste nicht – und erhob nur eine bleiche und galante Hand.

      »Seien Sie doch nicht so albern«, sagte er mit der verweichlichten Würde eines Kuratus. »Sehen Sie denn nicht, daß das ganz überflüssig ist? Sehen Sie denn nicht, daß wir dasselbe Schicksal teilen – daß wir beide in einem Boote treiben? Ja ... und beide hübsch seekrank?«

      Gregory war keines Wortes fähig und auch nicht imstande, abzudrücken ... er fragte nur noch mit den Augen.

      »Wollen Sie denn nicht einsehen, daß wir eins das andere schachmatt gemacht haben?« rief Syme. »Ich – ich kann der Polizei nicht erzählen, daß Sie Anarchist sind, Sie – Sie können den Anarchisten nicht erzählen, daß ich Polizei bin. Ich kann nichts als Ihnen gegenüber auf meinem Posten sein, indem ich ganz genau weiß, wer Sie sind. Und Sie können nichts als mir gegenüber auf dem Ihrigen sein, indem Sie ganz genau wissen, wer ich bin. Kurz, es ist ein gänzlich abseitiges und verborgenes intellektuelles Duell zwischen uns beiden, total ohne Zeugen, meinen Kopf gegen den Ihrigen gesetzt. Ich bin Polizeimensch, ganz von aller Hilfe aller Polizei verlassen. Und Sie, mein armer Bester, Sie sind Anarchist, ganz außer allem Gesetz und aller Organisation, ganz ohne diese beiden, die selbst die Anarchie doch so nötig hat ... Der einzige Unterschied zwischen uns beiden liegt darin, ob Sie mir Ihren Schutz angedeihen lassen wollen. Sie sind nicht von inquisitorischen Schutzleuten umgeben. Wohl aber ich von inquisitorischen Anarchisten. Ich kann Sie nicht ausliefern, aber es könnte sein, daß ich mich selber ausliefere. Kommen Sie, so kommen Sie doch! und warten Sie's ab und sehen Sie zu, wie ich mich selber ausliefere! Ich werde es auf das Unterhaltlichste tun.«

      Gregory ließ das Schießeisen langsam sinken und starrte aber Syme immer noch an, als sei der ein Meerwunder.

      »Ich glaube nicht daran, ich glaube in alle Ewigkeit nicht daran«, sagte er endlich, »aber sollten Sie nach alldem dennoch Ihr Wort brechen, so würde unser Herrgott gewiß eigens für Sie eine eigene Hölle erschaffen, darin Sie in alle Ewigkeit heulen und zähneklappern müßten.«

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