Der Mann, der Donnerstag war. Gilbert Keith Chesterton
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Der Mann, der Donnerstag war - Gilbert Keith Chesterton страница 8
Der Beifall, der seine einleitenden Worte so rauschend begrüßte, und wohl gewillt war, ihm bis ans Ziel seiner Rede zu folgen und sich auf dem Wege dahin noch immerfort zu vermehren, – der Beifall flaute fast von Silbe zu Silbe ab und blieb zurück und verlief sich und war bei seinem letzten Worte all verstummt. Und aus der Stille, die so jäh eintrat, erstand die laute quiekende Stimme des kleinen Mannes in der samtenen Jacke.
»Ich bin nicht sanftmütig!«
»Kamerad Witherspoon behauptet«, fuhr Gregory fort, »er sei nicht sanftmütig. Ah, wie so wenig er sich doch selber kennt! Seine Worte sind in der Tat – übertrieben. Seine äußere Erscheinung ist grimmig und sogar, nach alltäglichem Geschmacke, reizlos. Aber nur ein Freundesauge, so tiefblickend und zartfühlend wie das meinige, vermag die Tiefe und die lautere Sanftmut zu ergründen, die auf dem Grunde seiner Seele wohnt, so abgründig tief, daß er selbst nicht hinabzudringen vermag. Ich wiederhole es, ich wiederhole – wir sind die wahren frühen Christen und wir kommen nicht zu spät. Wir sind einfältig, wie sie einfältig waren – sehen Sie sich Kamerad Witherspoon an. Wir sind bescheiden, wie sie bescheiden waren – sehen Sie mich an. Wir sind barmherzig – –«
»Nein, nein!« schrie Mr. Witherspoon mit der samtenen Jacke.
»Ich sage, wir sind barmherzig«, wiederholte Gregory wütend, »wie die frühen Christen barmherzig waren. Sie verteidigten sich nicht einmal, als man sie anklagte, daß sie Menschenfleisch äßen. Wir essen kein Menschenfleisch – –«
»Pfui, pfui!« schrie Witherspoon. »Warum nicht?« »Kamerad Witherspoon«, sprach Gregory mit fiebernder Lustigkeit, »möchte gar zu gerne wissen, warum ihn noch niemand aß (Heiterkeit). In unserem Verein auf jeden Fall, darin ihn jeder aufrichtig liebt, und der auf Liebe aufgebaut ist – –«
»Nein, nein!« meinte Witherspoon, »nieder mit der Liebe!«
»– – und der auf Liebe aufgebaut ist«, wiederholte Gregory und knirschte mit den Zähnen, »hats keine Not mit den Zielen, die wir als Körperschaft verfolgen und die ich verfolgen werde, sollte ich zum Repräsentanten dieser Gemeinschaft ausersehen sein. Unerschütterlich gleichgültig gegen all den Schimpf, der uns Mörder heißt und Feinde der menschlichen Gesellschaft, wollen wir mit Seelenmut und Ruhe, Adelige und Helden des Geistes, die bleibenden Ideale unserer Bruderschaft und unserer Einfalt hochhalten.« Und Gregory saß nieder und fuhr sich mit der Hand über die Stirn. Die Stille war bleiern, war tödlich – – aber der Herre Präsidente schnellten wie ein Uhrwerk empor und ratterten farb- und seelenlos –
»Hat noch irgendwer was gegen die Wahl des Kameraden Gregory einzuwenden?«
Die Versammlung schien schwankend, enttäuscht-unvorbereitet, und Kamerad Witherspoon rutschte auf seinem Sitze hin und her und nuschelte etwas in seinen dichten Bart. Und bei dem üblichen rasenden Tempo wäre gleichwohl die Wahl beschlossen und gültig gewesen. Aber in dem Augenblick, als der Präsident den Mund aufmachte, um die Wahl zu bestätigen, sprang Syme auf und sprach mit dünner und stiller Stimme: »Ja, Herr Vorsitzender, ich stimme dagegen.«
Der größte Effekt bei einer oratorischen Leistung besteht in unvermutetem Wechsel der Stimme. Und Mr. Gabriel Syme verstand sich offenbar auf oratorische Künste. Hatte er diese ersten formellen Worte in einem gemäßigten Ton und mit einer knappen Deutlichkeit gesagt, so war seine nächste Rede sturmläutend – und ein Krachen war gegen das Gewölbe, als ob eine der Feuerwaffen losgegangen wäre.
»Kameraden!« schrie er – daß die Kerle beinah von den Bänken fielen, »sind wir dazu da – wir dazu hergekommen? Leben wir unter der Erde wie Ratzen, nur um uns solche Rede anzuhören? Solchem lauschten wir wohl einst, an unsern Semmeln knabbernd, bei einer Sonntagsschulpredigt. Machten wir diese unsere Wände von Waffen starren und versicherten wir unser Tor mit Verderben und Tod, damit nur ja kein Unberufener hier hereinkäme und Kamerad Gregory zu uns sagen hörte: ›Kindlein, liebet einander, dann ist das Himmelreich euer‹, ›Rechtschaffenheit ist die beste Politik‹ und ›Untugend bringt Strafe, Tugend bringt Lohn‹? In der Rede des Kameraden Gregory, da war beileibe keine Silbe, der nicht ein Kurator mit Wollust zugehört hätte (hört, hört!). Aber ich bin kein Kurator (lauter Beifall), und ich habe keineswegs mit Wollust zugehört (erneuter Beifall). Der Mann, der das Zeug zu einem guten Kuratus hat, hat absolut nicht das Zeug zu einem kühnen, gewaltigen und furchtbaren Donnerstag (hört, hört!).
»Kamerad Gregory erzählte uns, in leider nur allzu abbittenden Tönen, wir seien gar nicht die Feinde der bestehenden Gesellschaftsordnung. Ich aber behaupte: wir sinds! – wir sind die Feinde der herrschenden Gesellschaftswillkür ... um so schlimmer für sie. Wir sind die Feinde der heutigen Gesellschaftstyrannei, weil die heutige Gesellschaftstyrannei der Feind der Menschheit ist ... und das ihr ältester, ihr erbarmungslosester Feind (hört, hört!). Kamerad Gregory erzählte uns, mit eben jener Armesündermiene, wir wären keine Mörder. Wir sind auch keine Mörder, ... wir sind Scharfrichter (mächtiger Beifall).«
Derweilen Syme stand und sprach, saß Gregory da und konnte nichts als ihn anstieren – nichts als ihn blödsinnig anstieren. Jetzt aber in der Pause rang es sich, aus seinem wie verstopften und geknebelten Munde – automatisch, tot:
»Sie verfluchter Heuchler Sie!«
Syme suchte stracks den entsetzlichen Blick dieser Augen und hielt ihm furchtlos stand mit seinen eigenen himmelblauen Aeugelein und sagte würdig:
»Kamerad Gregory hat mich soeben einen Heuchler genannt. Er weiß so genau wie ich, daß ich mir meines Eides bewußt bin und nichts als meine Pflicht tue. Ich nehme kein Blatt vor den Mund. Ich nicht, ich nicht. Ich sage: Kamerad Gregory eignet sich nicht zum Donnerstag – um all seiner liebenswürdigen Eigenschaften willen. «Wir wollen einen Erhabensten Anarchistenrat nicht mit sentimentalem Mitleiden infizieren (hört, hört!). Es ist wahrlich keine Zeit zu zeremoniöser Höflichkeit, und es ist wahrlich keine Zeit zu zeremoniöser Bescheidenheit. Ich lehne mich auf wider Kamerad Gregory, wie ich mich auflehnen würde wider alle Regierungen Europas, denn ein Anarchist, der sich der Anarchie ergeben, hat alle Bescheidenheit aufgegeben, ebensosehr wie er alle Eitelkeit aufgegeben hat (lauter Beifall). Ich bin durchaus nicht Mensch, nicht Person hier; ich bin eine Sache, ein Prinzip (erneuter Beifall). Ich stehe hier gegen Kamerad Gregory so unpersönlich und gerad so gelassen, wie ich aus jenem Gestell dort an der Wand die eine Pistole lieber herausnehmen würde als die andere; und ich erkläre, ehe Gregory und seine Milchpantschmethode in den Erhabensten Rat gelangen sollen – eher würd ich mich selber für die Wahl anbieten – –«
Diese letzten Sätze ertranken fast in dem tosenden Meer des Beifalls. Die Gesichter all, die in dem Maße leidenschaftlicher erglühten wie seine Tiraden