Siebenkäs. Jean Paul
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Siebenkäs - Jean Paul страница 30
– Unter allen Wahrheiten glaubt man die am letzten, daß gewisse Menschen mit keiner zu bekehren sind: – daß der Zopfhaupt unter diese gewissen gehöre, fiel mir spät endlich bei, und ich nahm mir vor, ihm keine andre Predigt zu halten als meine spaßhafte Straf- und OsterpredigtIn dem Mittelalter wurde am ersten Ostertage auf der Kanzel Spaß gemacht, den man ein christliches Ostergelächter hieß. : »Hr. Zopfhaupt, leiser, Mademoiselle hört sonst jeden. Sie haben den guten Sommervogel ins Brief-Kopiebuch festgespießt; aber am jüngsten Gerichte verklag' ich Sie, daß Sie ihr meine Werke nicht zu lesen geben. Ich wollte, Sie hätten sich nur wenigstens so lange schlafend gestellt, bis ich ihr die übrigen Teile von der kuhschnappelischen Historie hätte auserzählt gehabt, weil gerade in ihnen die wichtigsten Dinge, Siebenkäsens Zank, Tod und Heirat, vorkommen. – Mademoiselle! ich werde aber meinen Hrn. Verleger in Berlin ersuchen, Ihnen die folgenden Teile, sobald sie aus der Presse gehoben sind, noch feucht wie eine Zeitung zu übermachen. – Und damit Gott befohlen, Hr. Zopfhaupt, er schenke Ihnen statt des neuen Jahrs ein neues Herz und der guten Tochter ein zweites in ihres hinein.«
Der Elementenstreit unsrer ungleichartigen Bestandteile wurde immer lauter; – mehr sag' ich nicht, weil jeder Beisatz Rachsucht schiene. Glücklich preise – das darf ich zu allen Zeiten sagen – glücklich preise sich jede Tochter (aber die wenigsten erkennen es), die meine Werke lesen darf, wenn der Vater wacht. – Unglücklich ist jeder Oehrmannische Bediente, weil das Zopfhaupt ihn wie einen Windhund ausgehungert zu schnellem Läufern, aber nicht auf dem Klavier, so wie die Kinder der Tänzer nichts zu essen kriegen, um besser zu springen! Und glücklich ist jeder Dürftige, der nichts mit ihm zu tun hat, weil Jakob Oehrmann allen Menschen gerade so viel moralischen Kredit gibt, als sie kaufmännischen haben, an welches Rekrutenmaß des Wertes ihn die Kaufleute gewöhnt haben, die einander mit metallnen Ellen messen! Bloß ganz Arme hat er als Fußgestelle seiner Milde lieb, weil er Almosen, die er im Namen und aus dem Kammerbeutel der Stadt verteilt, für seine hält... Friede sei mit ihm! Ich hatte nur damals das Friedenfest der Seele, das ich im Fruchtstücke dieses Buchs beschrieben»Das Fest der Sanftmut am 20 März.« Es beschließt das dritte Bändchen. , noch nicht mitfeiern helfen und hatte über das Erlaßjahr, das in unserm Herzen so lange gegen alle moralische Schuldner dauern soll wie der lange Reichstag, noch wenig von dem gelesen, was ich darüber geschrieben; ich hätte sonst dem Zopfhaupte nicht einmal widersprochen.
Durch meine Abschiedrede an die Tochter ärgert' ich ihn leider noch einmal, weil ich ihr und ihm einerlei wünschte, um zu verbergen, wem ich wünschte: »Ich sage Ihnen, Hr. Zopfhaupt und Mademoiselle, ein langes Lebewohl – ich werde Ihnen beiden keine meiner Lebenbeschreibungen in elysischen Abenden ohne Abschweifungen mehr erzählen können, und die hl. Abende und die hl. Tage werden vorübergehen, ohne daß ein Mann ins Haus tritt, der Sie beide sehr rührt. Das Schicksal erstatte beiden die Büchermacher durch Bücher – es gebe dem trägen Herzen zuweilen einen poetischen Schlag, der stillen Brust einen süßen Seufzer, der sie mit Ahndungen schwellt, Ihren beiden Augen einige Tropfen, wie sie ein Andante auspreßt, und führe Sie aus dem heißen Sommer voll Mühe statt in einen Nachsommer in einen blühenden singenden Lenz... Und gute Nacht!« –
– Und wär's mein Erbfeind: er würde mir nahe gehen, wenn ich beim Abschiede dächte: du siehst ihn nicht mehr. Pauline war eigentlich keine Erbfeindin. – Draußen auf den Gassen liefen noch mehre Neujahr-Gratulanten, die Nachtwächter, herum, die ihre Wünsche in Blas-Musik setzten und in schlechte Verse. Mich bewegt allezeit ein steifer altväterischer roher Vers, zumal aus einem ihm angemeßnen Munde, inniger als ein saftloser neuer mit elenden Eis- und Federblumen, und eine ganz elende Poesie ist besser als jede mittelmäßige. Ich beschloß, zum Tore hinauszugehen und die Brust voll sehr unähnlicher Bewegungen – eben weil es erst 11 Uhr und die kalte Nacht voll Sterne war – und weil es die letzte des Jahrs war und ich in das neue nicht wie in das zweite Leben schlafend übergehen wollte, sondern wachend – ich beschloß, die schlagende erhitzte Brust ins Freie in einen stillern Zirkel zu tragen...
Wenn man einen Menschen in eine unabsehliche leere Sarawüste laufen ließe – und ihn nachher wieder in die engste Ecke drückte: so würde ihn dasselbe sonderbare Gefühl seines Ich anfallen – der größte und der kleinste Raum beleben gleich sehr das Bewußtsein unsers Ich und seiner Verhältnisse. Nichts wird überhaupt öfter vergessen als das, was vergisset, das Ich. Nicht bloß die mechanischen Arbeiten der Handwerker ziehen den Menschen ewig aus sich heraus: sondern auch die Anstrengungen des Forschens machen den Gelehrten und den Philosophen ebenso taub und blind gegen sein Er und dessen Stand unter den Wesen; ja noch tauber und blinder. Nichts ist schwerer, als einen Gegenstand der Betrachtung, den wir allzeit außer uns rücken und vom innern Auge weit entfernen, um es darauf zu richten, zu einem Gegenstande der Empfindung zu machen und zu fühlen, daß das Objekt das Auge selber sei. Ich habe oft ganze Bücher über das Ich und ganze Bücher über die Buchdruckerkunst durchgelesen, eh' ich zuletzt mit Erstaunen ersah, daß das Ich und die Buchstaben ja eben vor mir sitzen.
– Der Leser sei aufrichtig: hat er nicht sogar jetzo, da ich darüber zanke, vergessen, daß er hier Buchstaben vor sich hat und sein Ich dazu? –
Aber draußen unter dem schimmernden Himmel und auf einem Schneeberge, um den eine gestirnte weite starre Fläche glimmte, riß sich das Ich von seinen Gegenständen ab, an denen es nur eine Eigenschaft war, und wurde eine Person, und ich sah mich selber. Alle Zeit-Absätze, alle Neujahr- und Geburttage heben den Menschen hoch über die Wogen um ihn heraus, er wischt die Augen ab und blicket im Freien herum und denkt: »Wie trieb mich dieser Strom und übertäubte mein Gehör und überflutete mein Gesicht! – jene Fluten drunten haben mich gezogen! Und diese oben, wenn ich wieder untertauche, wirbeln mich dahin!«
Ohne dieses helle Bewußtsein des Ich gibt es keine Freiheit und keine Gleichmütigkeit gegen den Andrang der Welt.
Ich will in meiner Erzählung fortfahren. Ich stand auf einem Eisberge, obwohl mit einer glühenden Seele – der zerspaltne Mond schien hell hernieder, und die Schattenstücke der Tannenbäume um mich lagen wie zerstückte Glieder der Nacht schwarz auf dem Liliengrund aus Schnee. – Drüben, weit von mir, knieete, wie es schien, ein Mensch unbeweglich auf der Straße.
Jetzt schlug es 12 Uhr und das schlachtenvolle Jahr 1794 fiel mit seinen Strömen von Blut in das Meer der Ewigkeit; das nachsummende Wogen des Glockentons sagte mir gleichsam: jetzo hat das Schicksal euch Hinfälligen das alte Jahr mit dem 12ten Schlage bei der Versteigerung von Minuten zugeschlagen.
Der knieende Mensch auf der Straße stand nun auf und ging eilig davon. Ich konnte im hellen Mondlicht ihm und seinem Schatten lange nachsehen.
Ich verließ meinen Berg, den Grenzhügel zwischen zwei Jahren, und ging hinunter auf die Straße, wo der Mann geknieet hatte. Ich fand einen Kreuzweg und ein verlornes handdickes schwarzledernes Gebetbuch in Duodez, dessen Blätter gelb gelesen waren. Auf dem einzigen weißen vornen stand der Name des Besitzers, dessen Kniee hier tiefe Spuren in das harte Glatteis gehöhlt hatten. Ich kannt' ihn wohl, es war ein sogenannter Häusler, der zwei Söhne in den jetzigen