Siebenkäs. Jean Paul

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Siebenkäs - Jean Paul

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behorchen und hatte sich nicht mit dem Körper, sondern mit der erniedrigten Seele auf die Erde gelegt, um den Vorschritt der fernen Feinde zu hören. »Eingeschränkte bange Seele«, dacht' ich, »warum sollen über die heitre stille Nacht die künftigen Toten mit ihren Wunden ziehen und deine schlafenden Söhne ohne Glieder? Warum willst du schon die fliegenden Flammen der Feuerbrünste sehen und alles düstre Getümmel des ungebornen Jammers, der noch keine Zunge hat, vernehmen? Warum sollen auf die Särge, die im künftigen Jahre noch, wie in Pestzeiten, ohne Aufschrift stehen, die Namen kommen? – O, dein Salomons-Ring hat dich nicht beschirmt gegen den würgenden Geist in unsrer Brust. – Und die ungestalte Riesen-Wolke, hinter der der Tod und die Zukunft steht, wird, wenn wir nahe an sie treten, der Tod und die Zukunft selber.«... –

      In solchen Stunden legen wir alle gern unsern Hut und unsern Degen auf die Bahre und uns dazu – die veralteten Narben brennen noch einmal, und unser falsch geheiltes Herz wird wie ein übel eingerichteter Arm wieder gebrochen. – Aber der grausame schneidende Blitz einer großen Minute, dessen Widerschein über den ganzen Strom unsers Lebens leuchtet und reicht, ist uns nötig, um uns gegen die Irrlichter und Johanniswürmchen, die uns in jeder Stunde antreffen und führen, blind zu machen, und der leichtsinnige Mensch hat eine heftige Erschütterung gegen seine kleinen immerfort nagenden Bewegungen nötig. Daher ist eine Neujahrnacht für uns kleine Schaltiere, die am Schiffe der Erde saugend kleben, wie die mythologische Nacht eine Mutter vieler Götter in uns – und in einer solchen Nacht geht für uns ein höheres Normaljahr an als das, darin 1624 anfing. Und mir war, als müßt' ich, es sei aus Demut oder Reue, in die Spuren des armen kinderlosen Vaters niederknieen...

      Jetzo trieb ein lebendiges Wehen auf einmal von der Stadt helle erheiternde Töne wie Blumenduft und Blütenstaub über die verhärteten Ebenen daher: Waldhörner und Trompeten warfen vom Turme der Stadt ihre lebendigen Töne über die schlafende Welt und führten froh und kräftig die erste Stunde des neuen Jahrs unter die ängstlichen Menschen ein. Und ich wurde auch froh und kräftig: Ich hob das Auge vom weißen Schleier des künftigen Frühlings auf und sah nach dem Monde; und auf seinen häufigern Flecken, welche in der Nähe grünenNach Schröters Beobachtungen stellen sich uns die grünenden Strecken des Mondes als Flecken dar, weil sie weniger Licht zurückwerfen als kahle weiße. , sah ich unsern Erden-Frühling in Blumen ruhen und darin mit ausgebreiteten Flügeln zucken, um bald mit andern Zugvögeln zu uns, mit Lerchentönen und Pfauenspiegeln geschmückt, herabzufallen. –

      Die entfernten Neujahrtöne flatterten noch immer um mich; ich wurde viel glücklicher und weicher und sah die künftigen Schmerzen des neugebornen Jahrs, und sie glichen – so schön verkleideten sie sich – einigen vergangnen oder den Tönen um mich. So nimmt der Regen, der durch die große Höhle im Gebirge von Derbyshire fällt, in der Ferne den Klang von melodischem Getöne anS. Moritz Reise durch England. .

      – Aber als ich umhersah und mir die weiße Erde wie eine weiße Sonne vorkam und der stille, vom tiefen Blau berührte Kreis um mich wie ein Familien-Zirkel verschwisterter Wesen – als die Töne, wie schönere Seufzer, meinen Gedanken nachfolgten – als ich am Sternenhimmel so viele tausend unverrückte Zeugen der schönen abgeblühten Minuten, deren Samen die höhere Güte weiter streuet, dankbar anschauete – als ich an die schlafenden Menschen um mich dachte und ihnen wünschte: »schließet froher morgen eure Augen auf« – und als ich an die wachenden unter mir dachte, deren eingeschlafne Seele denselben Wunsch bedarf: da wurde die Brust, die so schöne Töne und die heutige Nacht längst beklemmten, nun zu voll und zu schwer, und der blaue Himmel und der blitzende Mond und die flimmernden Berge aus Schnee flossen und sanken zusammen zu einem großen schwimmenden Schimmer. – – Und im Schimmer und unter dem Getöne hört' ich die Stimmen meiner Freunde und guter Menschen, wie sie einander bang' und weich die Wünsche eines frohen neuen Jahrs brachten; aber ihre rührten mich zu sehr, und ich konnte meinen kaum denken: »O, es geh' euch allen wohl in jedem Jahre!«

Zweites Bändchen

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