Siebenkäs. Jean Paul

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Siebenkäs - Jean Paul

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wirft. Daher wollt' ich ordentlich, Leibgeber hätte nicht gehinkt, damit man ihn nicht daran von Siebenkäsen unterscheiden können, zumal da dieser auch sein Kennzeichen, das ihn von jenem absondern konnte, geschickt wegradiert und weggeätzt hatte durch eine lebendige Kröte, die er auf dem Kennzeichen krepieren lassen; es war nämlich ein pyramidalisches Muttermal neben dem linken Ohr gewesen, von der Gestalt eines Triangels oder des Zodiakalscheins oder eines aufgestülpten Kometenschwanzes, eigentlich eines Eselohrs. Halb aus Freundschaft, halb aus Neigung zu tollen Szenen, die ihre Verwechslung im gemeinen Leben gab, wollten sie ihre algebraische Gleichung noch weiter fortsetzen – sie wollten nämlich einerlei Vor- und Zunamen führen. Aber sie gerieten darüber in einen schmeichelnden Hader: jeder wollte der Namenvetter des andern werden, bis sie den Hader endlich dadurch schlichteten, daß beide die eingetauschten Namen behielten und also die Otaheiter nachahmten, bei denen Liebende auch die Namen mit den Herzen wechseln. Da es schon mehre Jahre her ist, daß mein Held durch den befreundeten Namendieb um seinen ehrlichen Namen gekommen und dafür den andern ehrlichen eingewechselt: so kann ichs nicht anders machen in meinen Kapiteln, ich muß ihn als Firmian Stanislaus Siebenkäs in der Liste fortführen, wie ich ihn bei der Schwelle vorstellte – und den andern als Leibgeber –, ob mir gleich kein Kunstrichter zu sagen braucht, daß der mehr komische Name Siebenkäs besser für den mehr humoristischen Ankömmling passe, den einmal die Welt noch genauer kennen lernen soll als mich selber.»Und zwar in der längsten, aber besten Biographie, die ich je geschrieben und zu welcher mir täglich ganze Karren mit Aktenstücken, Urkunden, Attestaten u.s.w. vor die Tür geschoben werden, weil ich kein Wort schreiben will, das ich nicht verbriefen kann.« – Diese ganze Note stand in der frühern Auflage; ist aber wohl in der gegenwärtigen entbehrlich, da der Titan längst in aller Händen ist. – –

      – Als beide Ebenbilder einander in der Kirche erblickten, lockerten und kräuselten sich ihre errötenden Gesichter sonderbar, über die der Zuschauer so lange lächelte, bis er sie mit den im flüssigen Feuer der gerührtesten Liebe schwimmenden Augen zusammenhielt. Leibgeber zog im Chore unter dem Ringwechsel eine Schere und ein schwarzes Quartblatt aus der Tasche und schnitt von ferne das Gesicht der Braut in sein Schattenpapier hinein. Die Schattenreißerei gab er gewöhnlich für die Proviantbäckerei auf seinen ewigen Reisen aus, und ich führe – da der seltsame Mann, wie es scheint, nicht entdecken will, auf welchen Höhen sich die Quellen sammeln, die ihm unten in den Tälern springen – lieber gutmütig und gläubig an, daß er oft über seine Schattenreißerei zu sagen pflegte: fallen doch schon vom Beschneiden für den Buchbinder, den Briefsteller, den Advokaten Brotschnitte mit den weißen Papierschnitzeln ab; mit schwarzen aber, es sei von Schattenrissen oder von weißen Trauerbriefen mit schwarzen Rändern, falle noch mehr ab, und verstehe man vollends die freie Kunst, seinen Nebenchristen vermittelst mehrer Glieder schwarz abzubilden, z. B. vermittelst der Zunge, was er ein wenig könne, so läute die Fortuna – diese wahre babylonische Hure – sich an der Eßglocke und dem Wandelglöckchen eines solchen Mannes halb lahm. –

      Noch unter dem Händeauflegen des Diakonus kam Leibgeber herunter und trat hart an den rotsamtnen Altarschemel und hielt, als es aus war, nach einer halbjährigen Trennung und bei einer solchen Verbindung folgende etwas lange Anrede: »Guten Morgen, Siebenkäs!« – Mehr sagten sie einander nach Jahren nie; und so wird ihm bei der Auferstehung der Toten Siebenkäs auch gerade so repartieren wie heute: »Guten Morgen, Leibgeber!« – Das zwölfstündige Auslachen aber, das oft Freunde einander leicht in der Ferne drohen, wurde dem mit allem Humor vereinbarlichen Zartgefühl durch die Rührung unmöglich, womit man seinen Freund in den Vorhof eines neuen labyrinthischen Gebäudes unseres unterirdischen Daseins treten sieht. –

      Ich bekomme jetzo vor meinen Schreibtisch die lange Hochzeittafel gestellt, bei welcher zu bedauern ist, daß kein Gemälde davon an den mit Herkulaneum untergesunknen Vasen steht – man hätt' es mit herausgescharrt und in den herkulanischen Zeichnungen matt kopieret – – und diese Nachzeichnung könnt' ich dann statt alles hersetzen. Wenige haben eine bessere Meinung von dem Vermögen meiner Feder als ich selber; aber ich sehe völlig, daß es meines und ihres übersteigt, nur zur Hälfte und schlecht in schwarzer Manier darzustellen, wie es den Gästen schmeckte (es waren fast so viele da als Stühle) – wie noch dazu kein einziger Schelm unter den ehrlichen Leuten saß (denn der Vormund des Bräutigams, der Heimlicher von Blaise, hatte sich entschuldigen und sagen lassen, er vomiere) – wie der Haus- oder Mietherr, ein lustiger, schwindsüchtiger Sachse, durch sein Pudern und Trinken nicht in die Welt hinein lebte, sondern aus ihr hinaus – wie man an die Gläser mit der Gabel und auf die Teller mit den Markknochen schlug, um jene zu füllen, um diese zu leeren – wie im ganzen Hause niemand, weder der Schuster, noch der Buchbinder, arbeitete, außer unter dem Essen, und wie sogar die alte unter dem mausfarbnen Tore verhökende Sabel (Sabine) heute ihren Kramladen nicht erst mit dem Tore geschlossen, sondern vorher – wie nicht bloß ein Gang aufgetragen wurde, sondern ein zweiter, ein Doppelänger. Wer freilich an großen Tafeln gegessen und da gesehen hat, wie fünf Schüsseln, wenn zwei Gänge sind, sich nach Ranggesetzen stellen müssen: dem ist es nichts Unerhörtes oder Überprächtiges, daß Siebenkäs – die Perückenmacherin hatte alles gemacht – beim ersten Gange stellen ließ

      1 ins Zentrum den Suppen-Zuber oder Fleischbrüh-Weiher, worin man mit den Löffeln krebsen konnte, wiewohl die Krebse, wie die Biber, in diesem Wasser nicht mehr hatten als Robespierre damals im Konvent, nämlich nur den Schwanz –

      2 in die erste Welt-Ecke einen schönen Rind-Torso oder Fleisch-Würfel als Postament des ganzen Eß-Kunstwerks –

      3 in die zweite ein Eingeschneizel, eine vollständige Musterkarte der Fleischbank – süßlich traktiert –

      4 in die dritte einen Behemoth von Teich-Karpfen, der den Propheten Jonas hätte verschlingen können, der aber das Schicksal des Mannes selber teilte –

      5 in die vierte das gebackne Hühnerhaus einer Pastete, worein das Geflügel, wie das Volk in einen Landtagsaal, seine besten Glieder abgeschickt hatte. – –

      Ich kann mir und den Leserinnen das Vergnügen nicht versagen, nur ein schwaches Küchenstück vom zweiten Gange zu entwerfen.

      1. In der Mitte stand, wie ein Gartenblumenkorb, eine Panse von Kapuzinersalat – 2. dann stellten sich die vier syllogistischen Figuren oder vier Fakultäten in ihre vier Winkel. – Im ersten Tafelwinkel saß als erste Figur und Fakultät ein Hase, der als Gegenfüßler eines Barfüßers noch seinen natürlichen Pelzstiefel in der Pfanne anbehalten und der, wie Leibgeber richtig anmerkte, aus dem Felde als Widerspiel des Fußvolkes trotz den feindlichen Flinten mit gesunden Beinen in die Schüssel gekommen. – Die zweite syllogistische Figur wurde von einer Rindzunge gemacht, die schwarz war, nicht durch Disputieren, sondern durch Räuchern. – Die dritte, Krauskohl, aber ohne die Strünke, sonst die Speise der beiden vorigen Fakultäten, wurde jetzo als das Zugemüse derselben verspeist; so steigt in der Welt der eine und fällt der andere. – Die Schlußfigur bestand aus den drei Figuren des Brautpaars und eines etwanigen Täuflings, in Butter gebacken; diese drei verklärten Leiber, die wie die drei Männer unversehrt aus dem feurigen Ofen kamen und Rosinen statt der Seelen hatten, wurden von den Menschenfressern der Gesellschaft, wie Untertanen, mit Haut und Haar aufgefressen, einige Ärmchen des Infanten ausgenommen, der wie der Vogel Phönix noch früher personifiziert wurde, als er da war. – –

      Das Gemälde greift mich an. Inzwischen mußt' es koloriert sein, und es war über den Schmaus-Luxus nicht etwan dadurch wegzuwischen, daß ich ihn leicht mit einem kurfürstlich-sächsischen verglichen und erläutert hätte. Es ist wahr, Kurfürsten dieses Kreises brauchen viel (daher man sie sonst alljährlich wog), und es ist mir recht gut bewußt, daß zu Anfang des 16ten Säkulums ein sächsischer Rendant folgenden Artikel in sein Rechnungbuch eingetragen: »Heute ist unser gnädiger Kurfürst mit seinem Hofstaat zum Weine gewesen, wofür ich funfzehn Gulden habe zahlen müssen. Das heiß' ich schlampampen.« Aber was würde der sächsische Rendant geschrieben, wie würde er die Hände vor Erstaunen in die Höhe gehoben haben, wenn er in meinem ersten Kapitel ersehen hätte, daß ein Armenadvokat

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