Siebenkäs. Jean Paul

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Siebenkäs - Jean Paul

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auf Lenettens Wangen fielen und darauf in ihr zitterndes Herz. Sie lehnte das Angesicht immer weiter zurück; aber im schönen Staunen über seine Liebe zog sie ihn doch enger an sich. – –

      Er ließ sie, eh' sein Liebling kam. Der auf den Bräutigam gefallene verräterische Puderschnee – dieser Schmetterlingstaub, der vom kleinsten Anfassen dieser weißen Schmetterlinge an den Fingern bleibt, daher Pitt mit Bedacht 1795 eine Taxe auf den Puder legte – entdeckte ihm wenig; aber alles erzählten ihm die naßschimmernden Augen seines Freundes und der Braut. Beide Freunde sahen sich lange verlegen-lächelnd an, und Lenette blickte nieder. – Leibgeber sagte zweimal hin! hin! und bemerkte endlich aus Angst: »Unser Abend war ganz schön« – und stellte sich, um nicht angeschauet zu werden, hinter den Stuhl des Bräutigams und legte seine Hand auf dessen Achsel und drückte diese recht herzlich; aber jetzo konnte der Glückliche sich nicht mehr bezwingen, er stand auf, entbehrte die Hand der Braut freiwillig, und nun ruhten zwei Freunde, von Engeln verknüpft, von Himmeln umgeben, nach der langen Sehnsucht des ganzen Tages gleichsam den Augenblick des heutigen Wiedersehens nachfeiernd, in männlich-stiller Umarmung aneinander. Im steigenden Taumel wollte der Gatte, um das hohe Bündnis zu erweitern, seine Geliebte in das Umfassen seines Geliebten ziehen; aber Braut und Freund blieben geschieden auseinander und umfaßten nur ihn allein. Und drei reine Himmel waren in drei reinen Herzen glänzend aufgetan – und nichts war darin als Gott, Liebe und Freude und die kleine Erden-Träne, die an allen unsern Freudenblumen hängt. –

      Die Seligen, von ungewohnten Rührungen überwunden und sich fast befremdet, hatten nicht den Mut, sich in die weinenden Augen zu sehen; und der Freund des Brautpaars verließ still das Zimmer und sagte weder Wunsch noch gute Nacht.

      Zweites Kapitel

       Hausscherze – Besuchfahren – der Zeitungartikel – verliebte Zänkerei samt einigen Injurien – antipathetische Dinte an der Wand – Freundschaft der Satiriker – Regierung der Reichsstadt Kuhschnappel

      Manches Leben ist eben so angenehm zu schreiben als zu führen; besonders verbreitet der Stoff des gegenwärtigen, gleich dem gedrechselten Rosenholz, den anmutigsten Geruch noch auf meiner Drechselbank. Siebenkäs stand zwar am Mittwoch auf, aber erst am Sonntag wollt' er seiner emsigen Huldin, die heute ihren Haubenstock noch früher als sich unter die Haube brachte, die Silberstangen der Vormundschaftkassa, in Löschpapier eingerollt, als Sturmpfähle des Lebens in die Hände geben; zumal da er nicht anders konnte, indem der Vormund bis Sonnabends außer Landes, d.h. aus der Stadt gefahren war. »Ich kann dir gar nicht sagen, alter Leibgeber«, sagte Siebenkäs, »wie ich den Jubel meiner Frau darüber schon voraus durchschmecke. Wahrlich ihr zu Gefallen möcht' ich ordentlich dreißigtausend Taler haben. Die Gute lebte bisher nur von Haube zu Haube; aber wie wird sie sich am Sonntage auf einmal als eine gemachte Frau begrüßen, wenn sie hundert Haushalt-Entwürfe ausfahren kann, die sie (merk' ich recht gut) schon im Kopfe herum trägt. – Und dann mit dem Silber, Alter, soll gleich nach der Vesperpredigt meine Silber-Hochzeit angehen – für eine guten halben Gulden Bier soll in allen Stuben verteilet werden. – Höre! warum soll die Taube oder der Spatz meines Hymens nicht so viel Bier auf die Leute spritzen, als der zweiköpfige Adler in Frankfurt Wein bei der Krönung ausspeiet?« Leibgeber versetzte: »Darum nicht, weil seine Fänge eine ganz andere Kelter sind und der saure Wein, eigentlich die Beerhülsen, nur das Gewölle, das kein Adler behalten mag.«

      Es würde mir nichts helfen – weil doch hundert Kuhschnappler im Reichs-Anzeiger mich berichtigen würden –, wenn ich hier lügen (wie ichs wohl wünschte) und berichten wollte, die beiden Advokaten hätten die kurze Woche ihres Beisammenseins mit jenem Anstand und Ernste verbracht, welcher, so wie dem Menschen überhaupt so anständig, noch besonders ihm als Gelehrten die Achtung der gemeinsten Seelen zusichert, geschweige kuhschnappelischer.

      Leider muß ich aus einem andern Tone singen. Leibgeber zeigte im Marktflecken Kuhschnappel so wie in allen Reichs- und Landstädten nichts weniger als wahren Ernst. Auch im Flecken war es sein erstes, sich in den Klub einzuführen als fremder Künstler, um sich in einen Kanapee-Winkel zu legen und ohne geringsten Wort- und Silbenwechsel öffentlich vor der Erholung (so hieß der Klub) einzuschlafen. So halt' ers, sagt' er, gern in allen Städten, die mit Klubs, Kasinen, Harmonien, Museen versehen wären; denn nachts ordentlich vernünftig zu schlafen in der menschenleeren Bettstelle sei wenigstens er selten imstande, bei den lauten Gedankenschlägereien in seinem Kopfe und bei den entzündeten Pulverschlangen von Bilderprozessionen, die mit einem Toben durcheinander schössen, daß man sein eigenes Ich kaum höre und sehe. Sitz' er hingegen in einem Klubkanapee zurückgelehnt: so falle alles weg und Waffenstillstand der Gedanken stelle sich ein; das herrliche Durcheinandersprechen der Gesellschaft, das politische und andere Sprech-Pickenick trefflicher, recht zu ihrer Zeit gesprochenen Wörter, von denen er bald nur eine ultima, bald nur eine antepenultima vernehme, dies läute schon einigen Schlummer ein. Geh' es aber noch gründlicher zu, werde mit wahrer Strenge ein Satz durchgefochten und von allen Seiten aufs schärfste untersucht durch einen Schrei-Kehraus: so entschlaf' er so fest wie eine Blume, die der Sturm bewegt und nicht erweckt; und sein Quecksilber sei völlig fixiert.

      Ein paar Städte, die ich kenne, müssen sich gewiß noch eines Mannes, der als Fremder immer in ihren Erholungen und Harmonien geschlafen, erinnern und noch an die heiter umblickenden Augen denken, womit er stets vom Kanapee aufstand und den Hut nahm, als wollt' er sagen: habt Dank für meine Auffrischung!

      Indes Leibgebern seh' ich in Kuhschnappel jedes Schlafen und Wachen nach, da er bald wieder in alle Welt geht; aber es kann mir nie gleichgültig sein, daß mein eigner Held, der sich da mit der Frau grade ansetzt und dessen Streiche ich darauf samt den andern Streichen, die er dafür empfängt, zu malen bekomme, sich geradeso aufführt, als heiß' er Leibgeber, was doch der Fall längst nicht mehr ist, da er schon seinem Vormunde angezeigt, daß er seinen Namen gegen den Siebenkäs umgetauscht. War es z.B. – um nur eins zu rügen – nicht auf wahre Possenspiele angelegt, daß, als die Kurrende (die arme Schülerschaft der Alumnen) vor den besten geistlichen Häusern ihnen gegenüber den herkömmlichen Bettel- und Gassengesang anstimmen und durchfugieren wollte, erstlich Leibgeber seinen Saufinder (ohne einen großen Hund konnt' er nicht leben) in einer geschmackvollen Kindbetterin-Haube aus dem Fenster schauen ließ? Und war es zweitens etwas Gesetzteres, daß Siebenkäs im Angesichte der Singschule hastig in Zitronen einbiß und dadurch die Speicheldrüsen der ganzen Schule aufschloß? Der Erfolg lehrte es genug: die Sänger konnten die Lippen vor dem gehaubten Saufinder so wenig zu ordentlichem Singen zusammenziehen, als einer, der lachen will, zu pfeifen vermag. Und wurden nicht nur durch die aufgesperrten Drüsen alle Singwerkzeuge unter Wasser gesetzt, und jeder Ton mußte mühsam genug durch Speichel waten? – Ja war diese ganze, ordentlich lächerliche Störung sämtlicher Straßensänger nicht eben die Absicht beider Advokaten? –

      Freilich kommt Siebenkäs fast noch halb voll akademischer Freiheiten zurück und nimmt sich daher etwa einige heraus. Auch seh' ich die kleine Überfülle der akademischen Jugend für den Fettkörper an, welchen nach Réaumur, Bonnet und Cuvier die Raupe während ihrer Verpuppung zur Nahrung des Schmetterlings verbraucht; von der Freiheit des Jünglings muß die des Mannes zehren; und ein gebogner Musensohn kann nichts anders werden als ein kriechender Beamter auf vieren.

      Indes verbrachten die beiden Freunde die nächsten Tage nicht ganz außer der Ordnung bloß mit Schreiben von Besuchkarten. Mit diesen, worauf natürlich nichts stand als: »Es empfiehlt sich und seine Frau, eine geborne Egelkraut, der Armenadvokat Firmian Stanislaus Siebenkäs« – mit den Papieren und mit der Frau wollten beide am Sonnabend in der Reichsstadt herumfahren, und Leibgeber sollte vor jedem Gebäude von Stand herausspringen und den Denkzettel hinauftragen. Eine nicht unvernünftige Sitte solcher Städte, die zu leben wissen! – Aber die Gebrüder Siebenkäs und Leibgeber gingen doch nach allem Anschein in den reichsstädtischen und reichsdorfschaftlichen Fußstapfen der vernünftigsten Gebräuche mehr nur aus satirischer Bosheit einher und machten schöne bürgerliche Sitten zwar richtig nach, aber

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