Siebenkäs. Jean Paul

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Siebenkäs - Jean Paul

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daß ich hier nicht als Mensch, sondern als Tutor handeln muß: so wär's wohl am besten, einer für meine Wünsche weniger parteiischen Mittelperson, nämlich der Erbschaftkammer, die Entscheidung zu überlassen. Machen Sie mir nur bald, Hr. Advokat Siebenkäs«, endigte er lächelnder und die Hand auf dessen Schulter legend, »das Vergnügen, das gerichtlich bewiesen zu sehen, was ich bloß wünsche, daß Sie mein so lange verschollener Vetter Leibgeber sind.«

      – »Sollte denn«, sagte Leibgeber grimmig-gelassen und mit verschiedenen Läufern und Fugen auf dem Farbenklavier des Gesichts, »die kleine Ähnlichkeit, die Hr. Siebenkäs da mit – sich selber hat, nämlich mit Dero Hrn. Pupill, sollte die nichts beweisend verfangen, wie eine ähnliche Ähnlichkeit bei der comparatio litterarum?« – »Allerdings«, sagte Blasius, »etwas, aber alles nicht: denn es gab viele Pseudo-Neros, und drei oder vier Pseudo-Sebastiane in Portugal – und wenn Sie nun selber mein Hr. Vetter wären, Hr. Leibgeber?«

      Dieser sprang schnell mit verändertem freudigen Tone auf und sagte: »Das bin ich auch, mein teuerster Hr. Vormund – es war nur alles Probe – und verzeihen Sie meinem Freunde da die kleine Verstellung.« – »Alles ganz wohl«, versetzte er aufgeblasener; »aber Ihre eigenen Winkelzüge, meine Herren, müssen Sie nun doch von der Notwendigkeit einer obrigkeitlichen Indagation überführen.«

      Das überwältigte den Armenadvokaten; – er drückte die Hand seines Freundes, damit sich dieser bezähmte, und fragte mit einer vom Gefühle fremden Hasses ordentlich niedergedrückten Stimme: »Haben Sie nie nach Leipzig an mich geschrieben?« – »Wenn Sie mein Mündel sind«, versetzte Blasius, »jawohl mehrmal; sind Sie es nicht, so haben Sie meine Briefe bloß auf eine andere Weise.« Nun sagt' er noch weicher stammelnd: »Erinnern Sie sich keines Schreibens, worin Sie mir die Gefahrlosigkeit meines Namentausches versicherten, gar keines?« – »Wahrhaftig, das ist lächerlich«, versetzte Blaise, »dann wäre die streitige Sache ja eben entschieden.«

      Hier legte Leibgeber an den Vater der Stadt die zehn Finger wie Nietnägel und erfaßte jede Achsel wie einen Sattelknopf und machte ihn durch die Händeklammern an den Sessel fest und rollte die Worte heraus: »Kein Schreiben? keines, keines, alter ehrlicher grauer Schelm? – Grunze nicht, ich erdrossele dich! Keines, o du treuer Gott! – Rühr dich nicht, Tutor, mein Hund reißt dir die Kehle heraus – antworte leise – kein Schreiben hast erhalten, sagst du?« –

      »Gern sag' ich nichts«, lispelte Blasius, »da ja ohnehin im Zwange kein Zeugnis gelten kann.« Jetzo zog Siebenkäs seinen Freund von ihm weg, aber dieser sagte zum Saufinder: »Mordax, hui Sau!- hob vom Staatsdiener die gläserne Perücke ab und brach die wichtigsten Locken aus und sagte – der Saufinder lag sprungrecht – zu Siebenkäs: »Schraub ihn fest, weils der Hund nicht tun soll, damit er mir zuhört, ich will ihm Fleuretten vorsagen, und laß ihn nicht Pap sagen. – Hr. Heimlicher, geborner von Blasius, meine Absicht ist hier gar nicht, Ihnen Injurien anzutun oder gar improvisierte Pasquille vorzusagen, sondern ich will Sie vielmehr einen alten Spitzbuben nennen – einen etwanigen Waisen-Räuber – einen befirnisten Schelm und was dergleichen mehr ist, als z. B. einen polnischen Bären, dessen Fährte wie eine MenschenspurDieselbe raubende und würgende Tatze verbirgt sich bei beiden unter dem Schein eines Menschentritts. aussieht. Solche Titel, die ich hier brauche, als Schelm – Judas – Strick« (er schlug bei jedem Worte den gläsernen Turban als ein Becken bei der Janitscharenmusik gegen die andere Hand)»- Schuft – Blutigel, Tränenigel, solche Nominaldefinitionen sind keine Injurien und beleidigen nicht, erstlich weil man nach L. §. de injur.L. 15. §. 38 de injur. die größten Injurien ganz gut im Scherze sagen kann, und ich scherze hier – und zur Verteidigung seines Rechts kann man stets injuriieren. Siehe LeyserSp. 547. n. tr. – Ja nach Quistorps peinlichem Rechte darf man die gröbste Missetat ohne injuriandi animus vorwerfen, falls sie noch nicht untersucht und gestraft ist. – Und ist denn deine Ehrlichkeit schon untersucht und gestraft, du althaariger unehrlicher Schlag? Und hast du nicht, gleich dem Heimlicher in FreiburgDer Heimlicher in Freiburg ist drei Jahre lang unverletzbar in seinem Amte und drei Jahre nach dem Austritte daraus. Hanseatische Zeitung No. 415. 1816. , der aber ein besserer Mann sein wird, eine ganze Menge Jahre, wo man dich nicht angreifen soll... Mordelement, aber ich greif' dich heute an, Mucker! – Mordax!- Der Hund schaute nach Befehlen auf.

      »Jetzo lasse nach«, bat Siebenkäs, welchen der niedergedrückte Sünder beklemmte. –

      »Den Augenblick; aber mach mich nur nicht wild«, sagte Leibgeber, ließ die entblätterte Perücke fallen und stellte sich auf sie und zog Schere und schwarzes Papier heraus. »Sehr gelassen will ich das ausgepolsterte Gesicht dieser betenden Schlafmütze ausschneiden und als gage d'amour mitnehmen. Ich kann doch das Ecce homunculus durch die halbe Welt herumtragen und sie bitten: prügl' ihn ab, selig ist, wer den Heimlicher Blasius in Kuhschnappel abprügelt noch vor seiner Abfahrt; ich war nur damals viel zu stark dazu.«

      »Den Bericht über den Erfolg«, fuhr er fort, gegen Siebenkäs gewandt und einen guten Schattenriß zu Ende schneidend, »kann ich unserem Duck- und Kahlmäuser da nicht eher mündlich abstatten als nach einem Jahre, weil alsdann die wenigen Injurien, womit ich den Schelm etwa könnte angetastet haben, nach den Gesetzen völlig verjährt sind und wir wieder die vorigen Freunde geworden.«

      Unerwartet bat er darauf seinen Siebenkäs, bei dem Saufinder zu bleiben – er hatte ihn mit einem Fingerzeig als ein Beobachtcorps gegen den Heimlicher gestellt –, indem er auf einen Augenblick hinaus müsse. Da er nämlich in Blaisens Prunksaale für die kuhschnappelsche große und mittlere Welt die Papiertapeten und einen ungemein sinnreichen Ofen – er war zur Gestalt der Göttin Themis ausgearbeitet, welche allerdings ebensooft versengt als erwärmt – bei dem neulichen Besuche wahrgenommen: so hatt' er für den jetzigen einen Iltispinsel und ein Gläschen Dinte mitgebracht, welche aus Kobold, in Scheidewasser aufgelöset, und einigem dazu getröpfelten Salzgeiste bestand. Ungleich der schwarztuchenen Dinte, welche schon anfangs sichtbar ist und erst später unsichtbar wird, erscheint diese sympathetische anfangs gar nicht und tritt auf dem Papier erst grün hervor, sobald dasselbe erwärmt worden. Leibgeber malte jetzo mit dem Iltispinsel auf die Papiertapete, welche dem Ofen oder der Themis zunächst stand, folgende unsichtbare Wandfibel hin.

      »Die Göttin der Gerechtigkeit will sich hiermit bei allen Gästen dagegen verwahren, daß sie in effigie, in Bildnis, anstatt gehangen, sogar aufgestellt und nach Belieben erhitzt und erkältet wird durch den Injustiz-Minister und den längst dem innern heimlichen Gericht verfallenen Heimlicher Blasius.

      Von Rechts wegen, Themis.»

      Leibgeber hinterließ die stille Aussaat dieser Priestleyschen grünen Materie auf der Wand mit dem frohen Bewußtsein, daß künftig im Winter, wenn der Saal von der Göttin recht warm geworden für eine Prunkversammlung, auf einmal der ganze grüne Markt vor ihr lustig aufschießen werde.

      So kehrte er in das Betkabinett zurück und fand den Saufinder noch in der befohlenen offiziellen Anschauung und seinen Freund wieder in der Anschauung des Hunds. Er schied samt den andern äußerst höflich und bat den Heimlicher sogar, ihn nicht bis auf die Gasse zu begleiten, weil Mordaxen einiges Zerreißen dann schwer zu verwehren sein möchte.

      Auf der Gasse sagte er zu seinem Freunde: »Mache ja kein dummes Gesicht dazu – ich flieg' ohnehin immer ab und zu bei dir – begleite mich über das Tor hinaus; ich muß heute noch über eure Grenze – wir wollen laufen, damit wir vor sechs – Minuten auf fürstlichen Grund und Boden kommen.«

      Als sie über das Tor, d.h. über dessen unpalmyrische Ruinen hinaus waren: stand die kristallene widerscheinende Grotte der Augustnacht aufgeschlossen und erleuchtet auf der dunkelgrünen Erde, und die Meerstille der Natur widersprach dem Sturme der menschlichen Brust; die Nacht zog die Himmeldecke voll stiller Sonnen ohne ein Lüftchen über die Erde herauf und unter sie hinab; die gefällten Saaten lagen ohne Rauschen in Garben um, und die eintönige Grille und ein harmloser alter Mann, der Schnecken für die Schneckengrube zusammenlas,

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