Siebenkäs. Jean Paul

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Siebenkäs - Jean Paul

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die bezwungen, ausgehungert und weggetrieben werden sollen, in einem richtigen Verhältnisse gegen die Größe der Stadt, der Patrizier oder regierenden Geschlechter, die sich damit zu befassen haben und den ebnenden Schlichthobeln der Menschheit vorarbeiten. Hier ists nicht schwer, den Bürger als einen groben Bodensatz, der im Adel schwimmt, niederzuschlagen. Es ist, wenn es ihnen mit dieser Niederschlagung mißlingt, bloß die Schuld der Patrizier selber, weil sie oft am falschen Orte schonen und die Bürgerbank für eine Grasbank im Garten halten, deren Gras zwar für das Niedersitzen und Erdrücken wächset, die man aber doch immer begießet, damit sie unter so vielen Steißen nicht verdorre. Wenn es nichts als freie Menschen, und zwar von der edelsten Klasse, nämlich Reichsfreie und Semperfreie geben soll: so müssen durch Auflagen und Losungen die bürgerlichen Zimtbäume gänzlich abgerundet werden – welches nur pöbelhafte Autoren Schinden und die Haut über die Ohren ziehen nennen –, worauf die Bäume ohnehin verfalben und ausgehen. Freilich kostet diese Reichsfreiheit Menschen. Aber mich bedünkt, eine solche werde durch die wenigen Tausende von Leuten, die sie kostet, wohlfeil genug erkauft, da früher Amerikaner, Schweizer und Holländer für eine weit engere ganze Millionen Menschen bar auf den Tisch des Schlachtfeldes hingezahlt und hingeschossen. Auch fallen neuere Staaten selten in den Fehler der neuern Schlachtenmaler, an welchen man Überladung mit Personen aussetzt. Vielmehr sollte man es mehr bemerken, mit welchen klug gewählten und treibenden Mitteln mehre deutsche Länder die Bevölkerung als eine Krankheitsmaterie und Menschen-Plethora – wie jeder gute Arzt tut – nach unten ableiten, nämlich nach dem gerade unter Deutschland liegenden Nordamerika.

      Kuhschnappel hat, um zum vorigen umzukehren, vor 100 Städten den Vorsprung. Ich gebe zu, daß Nicolai beteuert, die vorigen 60000 Nürnberger wären gerade noch halbiert da, nämlich 30000, und dies ist etwas; aber gleichwohl kommen noch immer 50 Bürger (und mehr) gegen 1 Patrizius zu stehen, welches stark ist. – Hingegen bin ich zu jeder Stunde durch Tauf- und Sterbelisten darzutun erbötig, daß im Reichsmarktflecken Kuhschnappel beinahe nicht mehr Bürger als Patrizier leben, welches um so wunderbarer ist, da die letzten – wegen ihres Hungers – schwerer zu leben haben. Ich frage, welcher neuere Staat kann so viele Freie aufzeigen? Waren nicht sogar im freien Athen und Rom – in West-Indien ohnehin – mehr Knechte als Freie, daher man jene durch keinen besondern Anzug zu bezeichnen wagte? Und sind nicht noch in allen Staaten mehr Lehn- als Edelleute, obgleich diese längst in stärkerer Anzahl vorhanden sein könnten, da Bauern und Bürger nur von der Natur, die Patrizier hingegen sowohl von der Natur als von der Kunst aus Reichs- und Fürsten-Kanzeleien nachgesäet werden? –

      Wäre die Beilage nicht eine Abschweifung, von welcher man gewöhnlich Kürze fodert: so wollt' ich weitläuftig genug dartun, daß Kuhschnappel noch in mehren Vorzügen manchen Schweizerstädten, wo nicht vor-, doch gleichstelle, z. B. in gutem Abschleifen und Verlängern des Richtschwertes und überhaupt im Handhaben eines rechten knotigen, gestachelten Stab-Wehes – in der geistigen Fruchtsperre, nicht gegen das Ausland, sondern gegen das Innere, um Gedanken und hundert anderes geistiges Zeug nicht einzulassen – und sogar selber im grünen Markt oder Handel mit jungen Leuten; denn was eben letzten anlangt, so ist bis heute der Absatz von jungen Kuhschnapplern nach Frankreich zu Türstehern und zu Kronvorfechtern nur darum so flau, weil die Schweizer den Markt greulich mit kräftigen Jünglingen überfahren, die sich vor jede Türe und (ists Krieg) vor jede Kanone stellen: wahrlich, sonst sollte vor mehr als einer Türe ein Kuhschnappler stehen und sagen: kein Mensch zu Hause. (Ja noch jetzo bei der zweiten Auflage darf ich behaupten, daß Kuhschnappel seinen Titel Reichsmarktflecken wie eine zweite Kurwürde noch fortbewahrt und seine alten Gedanken-Einfuhr- und Nachrichten-Ausfuhrverbote und seinen Blut- oder lebendigen Menschenzehent für Frankreich so gut fortsetzt wie die Schweiz, welche dem Kastellan auf der Wartburg gleicht, der den unauslöschlichen, von Luther gegen den Teufel geworfenen Dintenklecks stets auf der Wand von neuem auffärbt.)

      Drittes Kapitel

       Flitterwochen Lenettens – Bücherbräuerei – der Schulrat Stiefel – Mr. Everard – Vor-Kirmes – die rote Kuh – Michaelis-Messe – the Beggars' Opera – Versuchung des Teufels in der Wüste oder das Männchen von Ton – Herbstfreuden – neuer Irrgarten

      Die Welt konnte sich nicht stärker verrechnen, als daß sie erwartete, am Montage unsern allgemeinen Helden im Trauerwagen und Leichenmantel und mit Trauermanschetten und angelaufenen Schuhschnallen als Leidtragenden über die Scheinleiche seines Glücks und Kapitals anzutreffen.

      Himmel! Wie kann aber die Welt in solchem Grade fehlschießen? Der Advokat war nicht einmal in Viertels-Trauer, geschweige in halber, sondern so aufgeräumt, als hab' er selber dieses dritte Kapitel vor sich und fang' es grade so an wie ich hier.

      Der Grund war: er faßte eine gute Klage gegen seinen Vormund Blaise ab, stattete sie mit mehren satirischen Zügen aus, die bloß er selber verstand, und reichte sie bei der Erbschaftkammer ein. Nur etwas in der Not getan, so ists schon etwas. Das Glück schicke uns eine noch so unfreundliche frostige Herbstluft auf den Hals – zerbricht es uns nur nicht wie Schwänen das oberste Flügelgelenk: so wird uns allemal das Geflatter, das wir damit machen, wo nicht in ein wärmeres Klima tragen, doch ein wenig selber in Wärme bringen. – Der Frau verbarg Firmian Siebenkäs aus Gründen der Liebe den Aufschub der Erbschaft wie den verjährten Tausch-Handel mit seinem Namen: er vertrauete darauf, daß eine eingehegte Advokatenfrau niemals einem vornehmen Patrizier in die häusliche Karte werde schauen können.

      Was konnte überhaupt einem Menschen viel fehlen, der aus seiner stillen Woche eines Einsiedlers auf einmal in die Flitterwochen eines Zweisiedlers gefahren war? Jetzo erst faßte er seine Lenette recht in zwei Arme – vorher hatt' er immer seinen im Leben ab- und zuflatternden Freund fest mit der Linken an sich gehalten –, und sie konnte sich nun in seinen Herzkammern viel bequemer ausbreiten. Und die scheue Frau tat es wohl, soweit sie wagte; sie bekannte ihm, obwohl furchtsam, es sei ihr fast lieb, daß der unbändige Saufinder nicht mehr unter dem Tische liege und greulich vorgucke; ob sie aber nicht über den wilden Herrn desselben das nämliche gedacht, wäre nie von der gehorsamen Gattin herauszubringen gewesen. Sie erschien dem Advokaten ordentlich als eine Tochter; und der kleinen Eigenheiten konnte sie dem hoch erwachsenen Vater gar nicht genug haben.

      – Daß sie ihm, wenn er ausging, so lange nachsah, als die Gasse lang war, dies war noch nicht das Halbe gegen das Nachlaufen mit der Bürste bis über die Haustüre hinaus, wenn sie oben von hinten an seinem Schanzlooper unten solche Straßenpflaster anklebend angetroffen, daß sie ihn durchaus wieder ins Haus zurück ziehen und darin den Rocksaum so sauber abbürsten mußte, als zolle man in Kuhschnappel das Pflastergeld wirklich für ein Pflaster. Er hielt der Bürste still und küßte sodann und sagte: »An der Innenseite sitzt wohl noch allerhand, aber keine Seele siehts, und komme ich wieder, so kratzen und schaben wirs droben miteinander heraus.«

      Seiner Erwartung und Foderung wurde es ordentlich zu viel – aber seiner Wiederliebe nicht –, daß sie jeden Wunsch und Wink nicht bloß jungfräulich erhörte, sondern auch töchterlich befolgte und bediente. »Ratskopisten-Tochter«, sagte er, »sei mir nur nicht gar zu gehorsam; ich bin ja nicht dein Vater, ein Ratskopist, sondern nur ein Armenadvokat und habe dich geehlicht und schreibe mich Siebenkäs meines Dafürhaltens.« – »Auch mein sel. Vater«, versetzte sie, »hat wohl selber manche Sachen im stillen mit seiner eigenen Hand konzipiert und solche nachher ordentlich und sauber mundiert«; aber diese seltsame Kreuz- und Querantwort gefiel doch dem Advokaten sehr wohl; und wenn sie vor lauter Verehrung seiner nicht einen einzigen Spaß verstand, den er über sich selber machte – es sei nun, daß sie seinem ironischen Selbererniedrigen widersprach, oder dem ironischen Selbererhöhen ganz beifiel –: so schmeckten dem Advokaten diese geistigen Provinzialismen seiner Gattin nicht schlecht. Sie konnte ohne Bedenken sagen: fleuch, reuch, kreuch, anstatt fliehe, rieche, krieche; diese religiösen Altertümer aus Luthers Bibel waren recht brauchbare Beiträge zum Idiotikon ihrer Empfindungen und seiner Honigwochen. – Als er einmal eine sehr artige Haube, die sie voll Vergnügen den drei von ihr zuweilen leicht geküßten

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