Im heiligen Lande. Selma Lagerlöf
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Bo versprach, das Geld nur in der größten Not aus dem Gürtel zu nehmen, und er hielt treulich dies Versprechen. Er war nun freilich noch nie sehr in Versuchung gekommen, es zu brechen, da es ihm in Amerika fast immer gut ergangen war; aber ein paarmal war er doch so arm gewesen, daß es ihm an Obdach und Essen gefehlt hatte. Trotzdem hatte er immer einen Ausweg gefunden, so daß er das Geschenk der Mutter nicht hatte in Anspruch zu nehmen brauchen.
Als Bo sich den Hellgumianern anschloß, war er erst ein wenig in Verlegenheit, was er mit dem Gürtel tun sollte. Seine neuen Kameraden bestrebten sich ja, den ersten Christen nachzueifern; sie teilten all ihr Hab und Gut untereinander, und gaben alles, was sie erwarben, in die gemeinsame Kasse. Bo gab auch alles, was er besaß, ausgenommen das, was im Gürtel war. Er konnte sich nicht recht klar darüber werden, was in diesem Fall Recht oder Unrecht war, aber er fühlte bei sich selbst, daß er dies Geld behalten müsse. Und er war ganz sicher, daß der liebe Gott wohl verstehen werde, daß er es nicht aus Geiz behielt, sondern, weil er das Versprechen halten wußte, das er seiner Mutter gegeben hatte.
B« behielt auch den Gürtel, nachdem er sich den Gordonisten angeschlossen hatte. Da aber begann er eine gewisse Unruhe zu spüren, wenn er daran dachte. Er merkte bald, daß Mrs. Gordon und mehrere von ihren Anhängern hervorragende Persönlichkeiten waren, und er empfand eine tiefe Ehrfurcht vor ihnen. Es schauderte ihm davor, was diese fehlerlosen Menschen wohl von ihm denken würden, wenn es einmal entdeckt wurde, daß er verborgenes Geld bei sich trug, obwohl er heilig und teuer versichert hatte, daß er alles, was er besaß, der Gemeinde übergeben habe.
Hellgum und seine Gemeinde waren im Mai, gerade um dieselbe Zeit, als die Bauern daheim im Kirchsprengel Auktion über ihre Höfe hielten, nach Jerusalem gekommen. Im Juni kam ein Brief nach Jerusalem, der meldete, daß der Ingmarshof verkauft sei, und daß Ingmar Ingmarsson mit Gertrud gebrochen habe, um den Hof seines Vaters wiederzugewinnen.
Er hatte sich bis dahin wohl in Jerusalem gefühlt und oft davon geredet, wie froh er über die Umsiedlung sei. Aber von dem Tage an, als er hörte, daß Gertrud frei war, wurde er finster und wortkarg.
Niemand in der Kolonie konnte verstehen, was Bo so schwermütig machte. Mehrere versuchten, ihn zu veranlassen, ihnen seinen Kummer anzuvertrauen, aber Bo wollte ihnen nicht sagen, worüber er nachgrübelte. Er konnte nicht erwarten, daß die Kolonisten sonderliches Mitleid mit Herzenskummer haben würden. Sie predigten immer, daß es um der Einigkeit willen notwendig sei, nicht mehr von dem einen Menschen zu halten als von dem andern, und sie behaupteten, daß sie selber alle Menschen gleich innig liebten. Sie alle – auch Bo – hatten versprochen und geschworen, daß sie niemals in den Ehestand treten, sondern in Keuschheit wie die Mönche und Nonnen leben wollten.
Bo dachte nicht mehr eine Sekunde an das Gelübde, nachdem er erfahren hatte, daß Gertrud frei war. Er wollte sich sogleich von der Kolonie trennen, um heimzureisen und sie zu gewinnen. Jetzt war er sehr froh darüber, daß er den Gürtel behalten hatte und seiner Wege gehen konnte, sobald er Lust hatte.
Während der ersten Tage ging er umher wie in einem Rausch, und dachte nur daran, sich Bescheid darüber zu verschaffen, wann ein Schiff von Jaffa abgehe. Aber es ging in den Tagen gerade kein Schiff, und Bo fing bald an einzusehen, daß es besser aussehen würde, wenn er eine Zeitlang mit der Reise wartete. Kam er jetzt sogleich nach Hause, so würde das ganze Kirchspiel verstehen, daß er um Gertruds willen kam, und gelang es ihm dann nicht, sie zu gewinnen, so würde er von allen Menschen ausgelacht werden.
Bo hatte gerade zu dieser Zeit eine Arbeit für die Kolonie übernommen. Die alten Gordonisten hatten nämlich bisher in Jerusalem selbst gewohnt. Das große Haus vor dem Damaskustor hatten sie in Veranlassung der großen Zunahme der Kolonie durch die schwedischen Auswanderer gemietet, und sie waren jetzt eifrig damit beschäftigt, sich dort einzurichten. Man hatte es Bo übertragen, einen Backofen in dem neuen Hause aufzuführen; er beschloß, sich in Geduld zu fassen und nicht abzureisen, ehe er seine Arbeit ausgeführt hatte. Indessen sehnte er sich so heftig, daß ganz Jerusalem ihm nicht besser vorkam als ein Gefängnis. Des Nachts ließ er oft den Gürtel durch die Hände gleiten, und lag da, und befühlte die Münzen, die da hineingenäht waren. Er wurde ganz vergnügt, wenn er die kleinen, runden Gegenstände zwischen seinen Fingern fühlte. Er sah Gertrud vor sich, vergaß, daß sie nie etwas hatte von ihm wissen wollen, und war überzeugt, daß er nur nach Hause zu kommen brauchte, um sie zur Frau zu bekommen.
Wenn sich Ingmar so falsch erwiesen hatte, mußte Gertrud doch Bo endlich schätzen lernen, der sein ganzes Leben hindurch nur sie geliebt hatte.
Es ging indessen schrecklich langsam mit dem Bau des Backofens. Entweder war Bo kein tüchtiger Maurer, oder auch er hatte schlechtes Material bekommen. Schließlich war er nahe daran zu glauben, daß der Ofen niemals fertig werden würde. Einmal stürzte die Wölbung ein, und ein andermal war der Ofen so verkehrt gemauert, daß der Rauch in die Backstube hineinschlug.
Auf diese Weise schob sich Bos Abreise bis in den August hinaus. Währenddes sah er so viel von dem Leben der Gordonisten, daß es ihm besser und besser gefiel. Niemals hatte er Menschen auf diese Weise so ausschließlich dafür leben sehen, Kranken, Armen und Betrübten zu helfen. Und sie sehnten sich nicht wieder zurück in die Welt, obwohl einige von ihnen so reich an Gütern dieser Welt waren, daß sie sich alles hätten anschaffen können, was sie wünschten, und andere so reich an Kenntnissen waren, daß es nichts zwischen Himmel und Erde gab, worüber sie nicht Bescheid wußten. Jeden Tag hielten sie die schönsten Betstunden ab, in denen sie ihre Lehre den Neuangekommenen darlegten, und wenn Bo sie reden hörte, war es ihm, daß es etwas Großes sei, mit Teil daran zu haben, das wahre Christentum wieder aufzuerwecken, das an die zweitausend Jahre vergessen und begraben gelegen hatte, daß er sich fast nicht entschließen konnte, Jerusalem zu verlassen.
Aber in der Nacht nahm Bo den Gürtel zwischen die Hände, und wenn er das tat, traten ihm Tränen der Sehnsucht nach Gertrud in die Augen. Und wenn er daran dachte, daß er nun nicht teilhaben könne an der Wiedererweckung des einzig wahren Christentums, dann sagte er sich selbst, daß da so viele seien, die würdiger waren als er. Es würde wohl keinen großen Schaden tun, wenn so ein dummer und einfältiger armer Mensch, wie er, die Kolonie verließ.
Es graute Bo aber vor dem Augenblick, wo er in der Gemeinde aufstehen und sagen mußte, daß er heimreisen wolle. Es ging ein Schaudern durch seinen Korper, wenn er daran dachte, daß Mrs. Gordon und die alte Miß Hoggs und die schöne Miß Joung und Hellgum und die Kinder seiner Schwester – daß alle diese, die nur danach trachteten, Gottes Sache zu dienen – ihn als verloren betrachten würden.
Und was würde Gott selbst im Himmel zu seiner Flucht sagen? Wie, wenn Bo seine ewige Seligkeit verscherzte, indem er dieser großen Sache untreu wurde?
Mit jedem Tag, der hinging, wurde Bo unsicherer und ratloser. Er sah so deutlich ein, wie verkehrt er gehandelt hatte, als er das Geld der Mutter behielt. Hätte er diesen Gürtel nicht gehabt, so hätte er nicht die Mittel besessen, um fortzukommen, und dann hätte er diese schwere Versuchung ganz vermieden.
Die Kolonisten hatten gerade zu dieser Zeit große Ausgaben gehabt, teils infolge des Umzuges, teils infolge eines Prozesses, den sie drüben in Amerika führen mußten. Da waren auch eine Menge armer Leute in Jerusalem, die beständig Hilfe bei ihnen suchten. Da sie niemals Lohn für irgendeinen Dienst annahmen, den sie für andere ausführten, wegen des Streites und Zanks, dessen Ursache das Geld hier in dieser Welt ist, so war es kein Wunder, daß sie zuzeiten kaum ihr Auskommen hatten. Ein paarmal, als erwartete Geldsendungen aus Amerika nicht rechtzeitig angelangt waren, hatten sie kaum genug für das tägliche Brot. Die ganze Gemeinde lag oft auf den Knien und flehte zu Gott, daß