Blinde Liebe. Уилки Коллинз
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»Dann, meine liebe Iris, würde es meine Pflicht sein, Sie und Ihr Kammermädchen so schnell wie möglich aus diesem Hause wegzubringen und Ihrem Vater zu sagen, welch gewichtige Gründe dafür vorhanden sind.«
Er hielt in seiner Rede plötzlich inne. Mrs. Vimpany betrat soeben das Zimmer; sie war wieder in dem vollständigen Besitz ihrer vornehmen Höflichkeit, welche durch ein verbindliches Lächeln gemildert wurde.
»Ich habe Sie, Miß Henley, in solch guter Gesellschaft gelassen,« sagte sie mit einem graziösen Neigen ihres Kopfes gegen Mountjoy, »daß ich wohl kaum nötig habe, meine Entschuldigung zu wiederholen. Es müßte denn sein, daß ich eine vertrauliche Unterredung durch mein Kommen gestört hätte.«
Die günstige Gelegenheit, den vorgenommenen Versuch mit Lord Harrys Namen zu machen, schien sich jetzt schon von selbst dargeboten zu haben. Mountjoy ergriff sie rasch.
»Sie haben durchaus nichts gestört, was irgendwie vertraulich gewesen wäre,« beeilte er sich, Mrs. Vimpany zu versichern. »Wir haben nur von einem leichtsinnigen jungen Edelmann gesprochen, den wir beide sehr gut kennen. Wenn das, was ich von ihm höre, wahr ist, so ist er schon eine öffentliche, allgemein bekannte Persönlichkeit geworden; seine Abenteuer und tollen Streiche haben bereits ihren Weg in verschiedene Zeitungen gefunden.«
Hier hätte nun Mrs. Vimpany, wenn sie den Erwartungen Hughs entsprochen haben würde, fragen sollen, wer denn der junge Edelmann wäre; sie hörte aber nur mit höflichem Stillschweigen zu.
Mit der schnellen Auffassungsgabe der Frau hatte Iris sofort erkannt, daß Mountjoy die Gelegenheit, zu fragen, nicht allein zu früh ergriffen, sondern daß er mich mit einer allzu handgreiflichen Deutlichkeit gesprochen hatte, welche eine so kluge und schlaue Person wie Mrs. Vimpany war, vorsichtig machen mußte. In dem Bestreben jedoch, ihn von der Verfolgung seines unglücklichen Versuches abzuhalten, verfiel Iris in denselben Fehler wie Hugh Mountjoy. Sie ergriff ebenfalls zu früh die ihr passend erscheinende Gelegenheit, das heißt, sie war allzu voreilig, das Gespräch auf einen andern Gegenstand zu bringen.
»Sie sprachen soeben, Hugh, von den Abenteuern unseres Freundes,« sagte sie; »ich fürchte, Sie werden sich selbst in ein Abenteuer von nicht sehr angenehmer Art verwickelt haben, wenn Sie in dem Gasthofe ein Nachtquartier zu finden hoffen. Ich habe noch niemals zuvor ein so erbärmliches Wirtshaus wie das hiesige gesehen.«
»Nicht doch, meine liebe Miß Henley,« beeilte sich Mrs. Vimpany einzuwenden, »das Gasthaus ist viel reinlicher und wohnlicher, als Sie annehmen. Ein hartes Bett und eine dürftige Ausstattung sind die schlimmsten Unannehmlichkeiten, welche Ihr Freund zu fürchten hat. – Wissen Sie,« fuhr sie dann, zu Mountjoy gewendet, fort, »daß ich lebhaft an einen meiner Bekannten erinnert wurde, als Sie vorhin von dem jungen Edelmann sprachen, von dessen Abenteuern schon in den Zeitungen berichtet wurde? Sollte es denn möglich sein, daß Sie damit den Bruder des gegenwärtigen Earl of Norland gemeint haben? Ein hübscher junger Irländer, mit dem ich seit vielen Jahren bekannt bin! Habe ich recht in meiner Annahme, daß Sie und Miß Henley Lord Harry kennen?« fragte sie.
Was konnte ein unbefangenes Gemüt mehr verlangen? Nachdem Mountjoy bestätigt hatte, daß Lord Harry der junge Edelmann sei, von dem er und Miß Henley gesprochen hatten, stand er auf, um sich zu verabschieden.
Iris fühlte das dringende Bedürfnis, noch einige Worte mit Hugh allein zu sprechen. Der Vorwand dafür bot sich von selbst dar durch die entfernte Lage des Gasthauses.
»Sie werden niemals allein den Rückweg finden,« sagte sie, »durch das Labyrinth von krummen und winkeligen Gassen in dieser alten Stadt. Warten Sie einen Augenblick auf mich, ich werde Sie führen.«
Mrs. Vimpany machte dagegen Einwendungen und sagte:
»Meine Liebe, das Dienstmädchen kann ja Ihrem Freund den Weg zeigen.«
Iris hielt jedoch lachend an ihrem Entschlusse fest und eilte hinweg in ihr Zimmer. Mrs. Vimpany fügte sich in der liebenswürdigsten Weise diesem Beschluß. Die Beweggründe Miß Henleys konnten für sie kaum klarer sein, wenn Iris sie offen bekannt hätte.
»Welch ein reizendes Mädchen!« sagte sie zu Mountjoy, als sie allein war. »Wenn ich ein Mann wäre, so würde Miß Iris gerade die junge Dame sein, in die ich mich verlieben könnte.« Sie blickte bedeutungsvoll zu Mountjoy hin, da er aber nichts darauf erwiderte, fuhr sie fort: »Miß Henley muß schon viele Gelegenheiten gehabt haben, sich zu verheiraten, aber ich fürchte, der Rechte ist noch nicht erschienen.« Noch einmal blickte sie mit ihren sprechenden Augen herausfordernd auf Mountjoy, aber wiederum schwieg er still. Manche Frauen lassen sich leicht entmutigen; aber die unergründliche Mrs. Vimpany war eine von den anderen Frauen; sie war noch nicht fertig mit Mountjoy und lud ihn daher für den nächsten Tag zu Tische ein.
»Wir speisen schon sehr früh, um drei Uhr,« sagte sie bescheiden. »Bitte, geben Sie uns die Ehre. Ich hoffe dann bestimmt, das Vergnügen zu haben, Ihnen meinen Gatten vorstellen zu können.«
Mountjoy hatte gute Gründe, die Bekanntschaft mit Mr. Vimpany zu wünschen. Als er die Einladung annahm, kehrte Miß Henley zurück, um ihn nach dem Gasthof zu begleiten.
Iris richtete an Hugh, sobald sie das Haus des Doktors verlassen hatten, die unvermeidliche Frage:
»Nun, was sagen Sie jetzt zu Mrs. Vimpany?«
»Meiner Ansicht nach muß sie eine Schauspielerin gewesen sein,« antwortete Mountjoy, »und benützt jetzt ihre auf der Bühne gemachten Erfahrungen im gewöhnlichen Leben.«
»Was beabsichtigen Sie nun zunächst zu thun?«
»Ich beabsichtige zu warten und mir morgen den Gatten von Mrs. Vimpany anzusehen.«
»Warum?«
»Mrs. Vimpany, liebe Iris, ist mir zu gescheit. Wenn sie – ganz abgesehen davon, ob es sich in Wirklichkeit so verhält oder nicht – wenn sie in der That Lord Harrys Kreatur ist, von ihm beauftragt, Sie zu überwachen und ihm mitzuteilen, wo Sie für die nächste Zeit in England Ihren Aufenthalt nehmen, dann will ich gern zugestehen, daß sie mich vollständig getäuscht hat. Wenn dies der Fall ist, so kann es gerade leicht möglich sein, daß ihr Gatte kein so vollendeter und ausgezeichneter Betrüger ist wie sein Weib. Und dann bin ich auch im stande, ihn zu durchschauen. Ich kann natürlich nur den Versuch machen.«
Iris seufzte.
»Ich möchte fast hoffen,« sagte sie, »daß Sie keinen Erfolg hätten.«
Mountjoy war betroffen über diese Worte und suchte das auch nicht zu verbergen.
»Ich dachte, Sie wollten nur die Wahrheit erfahren,« antwortete er.
»Mein Herz würde wahrscheinlich leichter sein, wenn ich im Zweifel geblieben wäre,« erwiderte sie. »Unrichtige Schlußfolgerungen haben meine armselige Meinung in Gegensatz zu der Ihrigen gebracht, aber ich komme jetzt wieder zu einer besseren Einsicht. Ich glaube, Sie waren vollständig im Rechte, als Sie versuchten, mich von voreiligen Schlüssen abzuhalten; es ist mehr denn wahrscheinlich, daß ich Mrs. Vimpany unrecht gethan habe. O Hugh, wenn ich es doch nur verstünde, mir einen Freund zu erhalten! Ich bin auch, wenn ich an den Edelmut denke, den Lord Harry in seiner aufopfernden Besorgnis für Arthurs Rettung bewiesen, nicht im stande, an solchen verächtlichen Betrug zu