Tödlicher Glitzer. Helga Henschel
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Sie soll sich überhaupt zukünftig weniger in mein Leben drängen, bestimmte Georg.
Nachdem er das Schwarzbrot gegessen und die Milch ausgetrunken hatte, ging es ihm wesentlich besser. Der schwarze Tee weckte seine Konzentration, machte ihn munter. Der Zettel war schon fast vollgeschrieben.
Ich sollte in den nächsten Tagen frei nehmen. Kann ich das denn? Brauche ich Ablenkung oder fällt mir hier die Decke auf den Kopf, fragte er sich.
Er beschloss, in den nächsten Tagen zu Hause zu bleiben, holte das Telefon von der Ladestation und rief im Büro seiner Firma an:
„Immobilien Pielhop, Hempel am Apparat. Wie kann ich Ihnen helfen?“, meldete sich seine Büroangestellte Frau Hempel.
„Hallo Frau Hempel, hier ist Pielhop. Meine Frau ist heute Morgen leider verstorben. Ich komme gerade aus dem Krankenhaus“, informierte er Frau Hempel.
„Oh, das tut mir furchtbar leid. Ich trauere mit Ihnen.“
Das glaubte Georg ihr sogar, denn Frau Hempel hatte regen Anteil an der Krankheit seiner Frau genommen. Sie hatte jeden Morgen nachgefragt, sobald er das Büro betreten hatte. Sie war eben eine fürsorgliche Frau. Als große Hilfe im Büro nahm sie ihm viele alltägliche Arbeiten ab. Er konnte immer auf sie zählen.
„Ich danke Ihnen für Ihre Anteilnahme.“
Diese nichtssagenden Sätze und Phrasen klangen abgedroschen und hohl. Er fühlte sich unwohl dabei. Doch dafür musste er sich in den nächsten Wochen höflich bedanken. Das kam ihm irgendwie unecht vor. Aus diesem Dilemma fand er aber kein Schlupfloch. Wollte er seinen mittrauernden Freunden und Bekannten nicht vor den Kopf stoßen, musste er einfach mitmachen. Seine Umwelt verlangte es von ihm.
„Kann ich etwas für Sie tun?“, fragte Frau Hempel in seine Überlegungen hinein.
„Das können Sie. Sagen Sie bitte die Termine für morgen ab. Am besten für die ganze nächste Woche. Ich bleibe zu Hause und kümmere mich um die Beerdigung. Damit habe ich genug zu tun. Ich könnte sowieso nicht mit Kunden sprechen“, bat er Frau Hempel.
„Aber natürlich. Ich mache Ihnen die nächste Woche frei“, erwiderte sie. „Ich bin hier im Büro, wenn etwas sein sollte.“
„Danke, Frau Hempel. Auf Wiederhören.“
„Auf Wiederhören, Herr Pielhop.“
Den ersten Punkt konnte er von seiner umfassenden Liste streichen. Und nun kam das Familienbuch an die Reihe. Wo hatte Elvira das hingelegt? Er dachte angestrengt nach. Wo liegen unsere wichtigen Unterlagen? Hatte sie dafür einen bestimmten Platz? Lag es vielleicht im Wohnzimmerschrank? In ihrem Schreibtisch? In der Kiste mit Dingen, die nicht verloren gehen durften, aber im Haus keinen richtigen Platz fanden? Elvira hatte immer „Schurrimurri“ dazu gesagt, wie er sich schmunzelnd erinnerte.
Doch bevor Georg die Suche startete, stand er auf, holte sich ein kleines Glas und die Sherry Flasche aus der Bar. Alkohol als Problemlöser am Nachmittag war gegen seine sonstigen Gewohnheiten, aber er brauchte etwas Starkes. Er schenkte das Glas bis an den Rand voll, sodass es fast überschwappte und nahm einen großen Schluck. Der trockene Sherry rann in seiner Kehle hinunter und verursachte im Magen ein angenehmes Gefühl. Er spürte der wohltuenden Wärme des Sherrys nach und lehnte sich zurück.
Das Telefon klingelte. Sollte er das Gespräch annehmen? Eigentlich wollte er mit keinem Menschen reden. Er ließ es klingeln und der Anrufbeantworter sprang zuverlässig an. Seine Schwiegermutter war in der Leitung und sie machte ihm arge Vorwürfe, dass er sie einfach so in der Klinik hatte sitzen lassen.
„Ich will dir doch helfen, Georg.“
Piep. Das Band war zu Ende. Sie konnte ihm keine weiteren Vorhaltungen mehr machen. Wie liebte er diesen harmlosen Piep. Ein simpler Ton auf dem Anrufbeantworter hielt ihm Unangenehmes vom Leib. Georg war froh, dass er nicht abgehoben hatte und seine Schwiegermutter nur vom Band hören musste. Er wusste genau, dass sie sich wohl kaum in ihren Wagen setzen und zu ihm fahren würde. Elvira war nicht mehr hier. Der Weg war ihr von Anfang an zu weit gewesen. Mehr als einmal hatte sie sich darüber beklagt, dass er sein Haus soweit außerhalb, geradezu auf dem Dorf in der Einöde, gebaut hatte. Das war völlig übertrieben. Er hatte sich ein Haus am Rande von Worpswede gebaut. Ihm dagegen gefiel es hier, Bushaltestelle vor der Tür, sein Büro in der Nähe und Geschäfte lagen nahe. Und eine direkte Straße führte nach Bremen. Und wenn es seiner Schwiegermutter zu mühsam war, umso besser. Dann blieb sie ihm vom Hals.
Wo war er stehen geblieben? Das Familienbuch musste er für den Bestatter suchen. Georg sah an den infrage kommenden Stellen nach. Wie er feststellte, war die Suche für sein neues Leben ohne Elvira gut. Denn er entdeckte so manche wichtige Unterlage, die er vermutlich irgendwann dringend brauchen würde. Endlich fand er das Familienbuch. Ohne dieses Buch war ein Mensch nicht existent. Auch nach dem Tod eines Erdenbürgers waren die Urkunden noch erforderlich. Befremdlich. Georg entdeckte das Buch in einer Schublade im Wohnzimmerschrank. Elvira war ordentlich und korrekt gewesen, dass musste er ihr posthum lassen. Ob das bei ihm ebenso der Fall wäre? Eher nicht, denn er musste sich immer zusammenreißen, um seine Sachen ordentlich abzuheften. Im Büro übernahm das seine gewissenhafte Frau Hempel, aber hier in seinem Haus musste er nun dafür Sorge tragen.
Nun fehlte nur noch der Personalausweis und der war bestimmt in ihrer Handtasche. Vielleicht in der Geldbörse? Aber wo war ihre Handtasche? Wegen ihrer Krankheit verlor Elvira zuletzt das Interesse an ihrem Äußeren. Dabei liebte sie Handtaschen in allen Formen und Farben. Früher wäre sie nie ohne passende Tasche vor die Haustür gegangen. Krankheit veränderte eben die Eigenheiten eines Menschen. Georg ging in ihr hübsch eingerichtetes Zimmer und schaute sich sorgsam um. Dort lag eine Handtasche. Das Wintermodell wie sie ihr liebstes Stück von einer Berliner Designerin immer genannt hatte, in Braun passend zu ihrem Wintermantel. Er schüttelte den Inhalt der Tasche kurzerhand auf das schon lange nicht mehr benutzte Bett und langte nach der Geldbörse. Er hatte Glück, der Ausweis steckte in einem Fach. Nun waren alle wichtigen Unterlagen für den Bestattungsunternehmer zusammen.
Elviras Zimmer wird zukünftig unbewohnt sein. Der Gedanke schoss ihm schlagartig durch den Kopf. Sollte er ihr Zimmer ausräumen, alles weg, Möbel und Kleidung? Nicht sofort. Dafür fehlte ihm aktuell die nötige Energie. Später. Er spürte Sehnsucht nach seiner Frau. Sollte er das Haus verkaufen oder vermieten? Es war schon zu groß für sie beide gewesen. Und nun sollte er alleine darin wohnen? Entscheide ich später und schlurfte mit den Unterlagen in den Händen aus dem Zimmer und schloss die Tür.
Auf dem Rückweg ins Wohnzimmer kam er an seinem Schlafzimmer vorbei und spürte plötzlich eine unsägliche Müdigkeit aufkommen.
Was soll es, ich kann machen, was ich will, dachte er. Ich kann schlafen, wann und wie lange ich möchte.
Georg schleppte sich in seinen Schlafraum und ließ sich auf sein ungemachtes Bett fallen. Das Bettenmachen am Morgen entfiel schon lange und er empfand es als reine Zeitverschwendung. Er wurschtelte die Bettdecke unter sich heraus und deckte sich damit zu. Schlafen, entspannen, kein Grübeln, kein Nachdenken - die Krankheit Elviras hatte ein Ende gefunden.
In der Nacht wachte er abrupt auf und spürte in seiner Kehle Trockenheit. Er musste fürchterlich geschnarcht haben, richtig ausgedörrt. Verwundert rieb er sich die Augen, Dunkelheit umgab ihn. Er pellte sich aus der Bettdecke und knipste die Lampe auf dem Nachtschrank an. Wie lange