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»Warten wir es ab, sagte Graf Timascheff.
– Ich warte, aber ich brenne vor Verlangen, antwortete Kapitän Servadac, der seine Ungeduld kaum zu bemeistern vermochte. Ich gäbe einen Monat meines Lebens für jede Stunde, welche Professor Rosette weniger schliefe.
– Da könnten Sie doch leicht ein schlechtes Geschäft machen, Kapitän, sagte da Lieutenant Prokop.
– Wie, um das unserem Asteroïden noch bevorstehende Schicksal kennen zu lernen ...
– Ich möchte Ihnen keine Illusionen rauben, Kapitän, erwiderte Lieutenant Prokop, doch selbst wenn der Professor über den Kometen Gallia noch so viel weiß, so ist damit noch nicht gesagt, daß er uns auch nur das Geringste über das Bruchstück, welches uns entführt, mittheilen können müsse. Steht überhaupt die Erscheinung des Kometen über dem Horizonte der Erde in irgend welchen Wechselbeziehungen zu der Fortschleuderung eines Fragmentes der Erdkugel in den Weltraum?
– Zum Teufel, natürlich! rief Kapitän Servadac. Der Zusammenhang ist ganz einleuchtend. Es liegt klar zu Tage, daß ...
– Daß ...? fragte Graf Timascheff, als hätte er schon die Antwort erwartet, welche der Andere eben geben wollte.
– Daß die Erde von einem Kometen einen Stoß erhalten und daß dieser die Ursache wurde, dem die Fortschleuderung des Stückes, welches uns trägt, zuzuschreiben ist!«
Auf diese, von Kapitän Servadac mit solcher Ueberzeugung ausgesprochene Hypothese, sahen sich Graf Timascheff und Lieutenant Prokop einige Augenblicke schweigend an. Trotz der Unwahrscheinlichkeit des Zusammentreffens der Erde mit einem Kometen, konnte man ein solches Ereigniß doch nicht geradezu unmöglich nennen. Ein Stoß dieser Art – ja, das lieferte die Erklärung zu den bis jetzt unerklärlichen Erscheinungen, das war die veranlassende Ursache jener so ganz außergewöhnlichen Folgen.
»Sie könnten wohl recht haben, Kapitän, antwortete Lieutenant Prokop, nachdem er sich die Frage von diesem Gesichtspunkte aus überlegt hatte, es ist nicht ganz abzuleugnen, daß es zu einem solchen Stoß kommen und dieser ein beträchtliches Stück der Erdkugel absprengen könnte. Nehmen wir diesen Fall an, so wäre die ungeheure Scheibe, welche wir in der Nacht nach der Katastrophe ja Alle gesehen haben, nichts Anderes gewesen als jener aus seiner Bahn abgelenkte Komet, dessen Schnelligkeit doch eine so große war, daß ihn die Erde im Centrum ihrer Attraction nicht festzuhalten vermochte.
– Das scheint mir wirklich die einzige Erklärung für jenes unbekannte Gestirn zu sein, wiederholte Kapitän Servadac.
– Somit hätten wir ja, sagte Graf Timascheff, eine neue, scheinbar recht annehmbare Hypothese Sie setzt unsere eigenen Beobachtungen mit denen des Professor Rosette in Uebereinstimmung. Den Namen ›Gallia‹ hätte er also dem Wandelstern beigelegt, durch den wir jenen Stoß erlitten.
– Ohne Zweifel, Graf Timascheff.
– Sehr schön, Kapitän, und doch bleibt ein mir dunkler Punkt zu erklären übrig.
– Und welcher?
– Nun, daß sich der gelehrte Herr mehr mit dem Kometen beschäftigt zu haben scheint als mit dem Erdbruchstück, das ja auch ihn selbst in den Weltraum entführte.
– O, Graf Timascheff, antwortete Kapitän Servadac, Sie glauben gar nicht, welch sonderbare Käuze solche Fanatiker der Wissenschaft manchmal sind, und der meinige gehört unter die tollsten.
– Uebrigens, bemerkte Lieutenant Prokop, könnte die Berechnung der Elemente der Gallia recht wohl aus der Zeit vor dem Zusammentreffen herrühren. Der Professor wird den Kometen haben kommen sehen und beobachtete ihn gewiß schon vor der Katastrophe.«
Diese Andeutung Lieutenant Prokop's schien für sich selbst zu sprechen; jedenfalls vereinigten sich Alle in der Annahme der Hypothese Kapitän Servadac's. Nach dieser wäre also der ganze Sachverhalt folgender:
Ein die Ekliptik schneidender Komet war in der Nacht vom 31. December zum 1. Januar mit der Erde zusammengestoßen und hatte von dieser ein nicht unbeträchtliches Stück abgesprengt, welches nun selbstständig durch den interplanetarischen Weltraum gravitirte.
Wenn die Mitglieder der Akademie der Wissenschaften auf der Gallia auch die volle Wahrheit noch nicht erkannten, so waren sie dieser doch bestimmt sehr nahe gekommen.
Nur Palmyrin Rosette war im Stande, das vorliegende Problem vollständig zu lösen.
Zweites Kapitel
Dessen letzten Wort dem Leser lehrt, was er ohne Zweifel schon vorher errathen halte.
So verlief also der 19. April. Während ihre Vorgesetzten sich in dieser Weise besprachen, betrieben die Kolonisten ihre gewohnten Arbeiten. Das unerwartete Erscheinen des Professors auf der Scene der Gallia vermochte sie keineswegs besonders zu erregen. Die Spanier, bei ihrer natürlichen Sorglosigkeit, und die Russen, bei dem felsenfesten Vertrauen zu ihrem Herrn, beunruhigten sich weder über sichtbare Wirkungen, noch über deren Ursachen. Ob die Gallia jemals nach der Erde zurückkehrte, oder ob sie auf derselben leben, d.h. auch hier sterben sollten, das bekümmerte sie nicht im Geringsten. Auch während der folgenden Nacht ließen sie sich um keine Stunde Schlaf bringen und schlummerten wie Philosophen, welche nichts zu beunruhigen vermag.
Der zum Krankenwärter umgewandelte Ben-Zouf verließ das Lager des Professor Rosette nicht einen Augenblick. Er hatte die Sache zur seinigen gemacht und sich einmal in den Kopf gesetzt, jenen wieder auf die Füße zu bringen. Seine Ehre war hierbei im Spiele. Wie pflegte er ihn aber auch! Welch' gewaltige Quantitäten seiner Herzstärkungen flößte er ihm bei der geringsten Gelegenheit ein! Wie zählte er seine Seufzer! Wie lauschte er auf jedes Wort, das von seinen Lippen kam! Um wahr zu sein, müssen wir hier bemerken, daß der Name »Gallia« in Palmyrin Rosette's unruhigem Schlummer häufig, und bezüglich seiner Betonung von der einfachen Unruhe bis zum Zorne wechselnd, wiederkehrte. Träumte vielleicht der Professor, daß man ihm seinen Kometen stehlen, die Entdeckung der Gallia bestreiten, ihm die Priorität seiner Beobachtungen und Berechnungen ableugnen wollte? – Das konnte wohl sein. Palmyrin Rosette gehörte zu den Leuten, welche selbst im Schlafe wüthend werden.
Trotz seiner schärfsten Aufmerksamkeit gelang es dem Krankenwärter doch nicht, aus jenen unzusammenhängenden Worten etwas zu verstehen, was das große Problem seiner Lösung näher gebracht hätte. Uebrigens schlief der Professor die ganze Nacht hindurch, anfänglich noch mit leisen Seufzern, später aber mit lautem Schnarchen von bester Vorbedeutung.
Als die Sonne sich schon über dem westlichen Horizonte der Gallia erhob, schlummerte Palmyrin Rosette noch immer, und Ben-Zouf erachtete es für angemessen, seine Ruhe nicht zu stören. Uebrigens wurde die Aufmerksamkeit der Ordonnanz gerade jetzt durch einen kleinen Zwischenfall abgeleitet.
Es klopfte nämlich Jemand wiederholt an die starke Thür, welche die Hauptgalerie des Nina-Baues abschloß. Diese Thür diente nicht etwa zur Abhaltung unliebsamer Besucher, sondern nur zum Schutz gegen die Kälte.
Ben-Zouf verließ seinen Pflegebefohlenen auf einen Augenblick; bald aber glaubte er, unrecht gehört zu haben, und kehrte wieder um, da er sich nicht als Portier betrachtete, und Andere da waren, welche, minder beschäftigt als er, den. Riegel entfernen konnten. Er verhielt sich also ganz still.
Im Nina-Bau lag Alles noch in tiefem Schlafe. Das Geräusch wiederholte sich. Offenbar rührte es von einem lebenden Wesen her, das mit irgend einem Instrumente