Multisystem-Erkrankungen erkennen und verstehen. Sibylle Reith

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Multisystem-Erkrankungen erkennen und verstehen - Sibylle Reith

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Disziplinen explodiert die Anzahl der Veröffentlichungen, die von bedeutender Relevanz für das Verständnis der EmKE sind.

      Individualisierte Diagnostik und Therapie

      Für Patienten ist wichtig zu wissen, dass es aus Sicht der Systemischen Epimedizin für komplexe Erkrankungen keinen einheitlichen diagnostischen und therapeutischen Pfad geben kann. Die diagnostischen, wie auch die therapeutischen Optionen sind, selbst bei Patienten, die unter dem gleichen Diagnose-Begriff klassifiziert sind, so individuell wie unser Fingerabdruck. Zunehmend werden Patienten nach diagnoseübergreifenden medizinischen Merkmalen in Subgruppen eingeteilt und behandelt – das ist der Ansatz der sogenannten Personalisierten Medizin. Dieser Ansatz wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert:

      „Die Systemmedizin gilt als Schlüssel zu einer modernen [personalisierten] Medizin, die sich an der molekularen Signatur von Erkrankungen orientiert, statt an der Einteilung nach Krankheitsbildern oder spezifischen Organen festzuhalten.“ [Ergänzung durch die Autorin] E/12 Sys-med

      Unsichtbare Frauen

      Unsichtbare Frauen: Wie eine von Daten beherrschte Welt die Hälfte der Bevölkerung ignoriert lautet der Titel des Buches von Caroline Criado-Perez, das 2020 den NDR Kultur Sachbuchpreis erhielt. Mit dem Begriff „gender data gap“ – in Anlehnung an den Begriff „gender pay gap“, also die Minderbezahlung von Frauen bei gleicher Qualifikation – weist die Autorin auf die Geschlechterlücke in der Datenerhebung hin. Sie beschreibt die darauf beruhende Diskriminierung und unsichtbare Verzerrung, die sich stark auf das alltägliche Leben von Frauen auswirkt.

      Bei den EmKE – und auch bei den weiteren in diesem Buch beschriebenen verwandten Erkrankungen – überwiegt, mit durchschnittlich 75–80%, bei weitem der Frauenanteil. Weder in der Forschung noch in der Klinik wird dieser Sachverhalt ausreichend berücksichtigt.

      Abb. E/3 Bei mulltisystemischen/„Ganzkörper“-Erkrankungen ist die „Frauenquote“ übererfüllt!

Die berichtete Fehl- und Mangelversorgung multisystemischer Erkrankungen basiert unter anderem darauf, dass unklare Symptome in einer männerdominierten Medizin gerne als „weibliche Unpässlichkeiten“ bagatellisiert werden. Diese diskriminierende Tatsache hat weitreichende Folgen.

      Wann ist ein Buch fertig?

Üblicherweise ist ein Fachbuch fertig, wenn ein Thema umfassend und möglichst vollständig erfasst wurde. Das Buch, das Sie in Ihren Händen halten – oder auf dem Tablet lesen – ist jedoch unfertig. Es ist eine Ausgangsbasis – und kein Endprodukt.

      Jedes einzelne Kapitel dieses Buches ist die Essenz eines Universums: Zum Thema Stress gibt es Tausende von Publikationen, ebenso zu Umweltfaktoren, zum Mikrobiom und zu jedem andern beliebigen Thema. Und jedes dieser Themen wartet ständig mit neuen Erkenntnissen auf. Wer sich vornimmt, all diesen Universen gerecht zu werden, muss scheitern. Gibt es Wege aus diesem Dilemma? Was könnte helfen, damit wir nicht in der Fülle der Informationen untergehen? Daten sind wertlos, wenn wir sie nicht deuten und einordnen können.

Je besser wir bei komplexen Sachverhalten die zugrundeliegenden Muster erfassen, desto besser gelingt es, deren Bedeutung und Gewichtung zu ermessen: Es geht darum, Zusammenhänge zu erkennen, bzw. herzustellen. Nur so werden Daten zu Informationen mit Erkenntnis- und Praxisrelevanz.

      Ein Buch ist immer linear aufgebaut, ein Kapitel folgt dem vorhergehenden. Das sind prinzipiell ungünstige Voraussetzungen, um die hier thematisierten systemischen, vernetzten Strukturen zu erklären. Aus diesem Grund finden Sie stets viele Querverweise zu themenverwandten Kapiteln. Als Leser sind Sie nicht zwingend an die vorgegebene Reihenfolge gebunden: Alles hängt mit allem zusammen.

      Ein Buch für Patienten und Behandler

      Patienten und Behandler* sind üblicherweise zwei Zielgruppen mit unterschiedlichen thematischen Schwerpunkten. Beim Thema Erworbene Multisystem-Erkrankungen überschneiden sich die Interessen. Viele Patienten eignen sich medizinisches Fachwissen an, weil sie in den etablierten Strukturen keine angemessene Unterstützung bekommen, während Behandler sich für erweiterte Konzepte interessieren, um bei komplexen Erkrankungen besser helfen zu können. Gemeinsam ist beiden Gruppen, dass sie die zahlreichen Einflussfaktoren besser verstehen wollen und nach Lösungen für erfolgreiche Behandlungen suchen.

Wissenschaftskommunikation ist für das Verständnis komplexer Erkrankungen für alle Beteiligten essenziell.

      Das vorliegende Buch stellt wieder, wie der erste Band, einen Versuch dar, beiden Zielgruppen gerecht zu werden. Die ausschließlich positiven Rückmeldungen zu Band 1: ME/CFS erkennen und verstehen – Was wir wissen und was wir nicht wissen über das Chronische Erschöpfungs-Syndrom zeigten, dass zumindest beim ersten Band beide Lesergruppen von diesem Konzept profitierten.

      * Im Interesse der Lesbarkeit wird im vorliegenden Buch stets von Behandlern die Rede sein, ohne die einzelnen Berufsgruppen aufzuführen.

      Mündige Patienten

      Patientenbeteiligung steht leider auch heute noch nicht an zentraler Stelle in den Curricula für werdende Ärzte. Im klinischen Alltag bilden Behandlungsansätze, die auf einer umfassenden Einbeziehung der Patienten basieren, noch die Ausnahme. Durch das Wissen um medizinische Zusammenhänge könn(t)en Patienten befähigt werden, ihre eigene Erkrankung besser zu verstehen und Autonomie (wieder) zu erlangen. Und nicht zuletzt können informierte Patienten und deren Fürsprecher sich im gesundheitspolitischen Diskurs für verbesserte Behandlungsoptionen und Versorgungs-Strukturen einsetzen, die dringend nötig sind.

Die Behandlung Erworbener multisystemischer Komplex-Erkrankungen ist weder erfolgversprechend noch dauerhaft finanzierbar, wenn Behandler und Patienten nicht optimal, sehr umfassend und unabhängig aufgeklärt und informiert werden.

      In der Gesundheitspolitik spielen viele Interessen eine Rolle, und es werden Milliardenbeträge verhandelt. Die gesundheitspolitischen Rahmenstrukturen sind derzeit nicht angemessen, und Veränderungen hin zu einer personalisierten Diagnostik und Medizin für multisystemisch Erkrankte stoßen auf Widerstände. Es wäre blauäugig, davon auszugehen, dass Lösungen, die primär und ausschließlich das Patientenwohl im Blick haben, die Regel seien.

Die Corona-Pandemie könnte sich als medizinischer Wendepunkt herausstellen. Es ist aber auch nicht unwahrscheinlich, dass sich nach der Pandemie die etablierten Strukturen wieder durchsetzen. Diese Sachlage erfordert mehr denn je Patientenbeteiligung und aktive Mitwirkung an Entscheidungsfindungen. Dieses Buch versteht sich als Beitrag zu dieser Debatte. Erst die Zukunft wird zeigen, ob es gelingen wird, menschenwürdige Versorgungs-Strukturen für multisystemisch Erkrankte zu etablieren, die auf rationalen Erkenntnissen beruhen.
Eine verbesserte Forschungs- und damit Versorgungslage wird Patienten mit Erworbenen multisystemischen Komplex-Erkrankungen nicht auf dem Silbertablett gereicht werden. Patienten, deren Angehörige, Sozial- und umweltmedizinische Verbände müssen sich in weit stärkerem Maß verbünden, als dies bisher der Fall ist.EmKE sind noch lange nicht vollständig verstanden, aber Segmente dieser Erkrankungen sind schon nach heutiger Datenlage ursächlich behandelbar. Die Einforderung verbesserter Rahmenbedingungen und die Abschaffung der derzeitigen strukturellen Diskriminierung lassen sich rational begründen.

      Lesen Sie kritisch, machen Sie sich Ihr eigenes Bild, Sibylle Reith

      Serviceseiten

      Sie finden in den jeweiligen Kapiteln und auf den Serviceseiten zahlreiche Verweise auf Informationsquellen im Netz und in Publikationen sowie Hinweise auf Fortbildungen und Tagungen zu den Themen der Systemischen Epimedizin. Unter der Überschrift „Die multisystemische Bibliothek“ finden Sie sorgsam

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