Multisystem-Erkrankungen erkennen und verstehen. Sibylle Reith
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Der Weltärztebund rief im Oktober 2017 in seiner Declaration On Health and Climate Change die nationalen Ärzteverbände dazu auf, Klimawandel und Gesundheit als prioritäre Aufgabe auf ihre Agenda zu setzen. 1/2 Weltärztebund
Die Hitzeperioden dauern auch in Deutschland mittlerweile länger an und sind intensiver, das stellt eine zusätzliche Belastung insbesondere für vorerkrankte Menschen dar und kann zu hitzebedingter Sterblichkeit führen. The 2020 report of The Lancet Countdown on health and climate change: responding to converging crises lautete der Titel einer Lancet-Berichtes, der rund 20.200 Todesfälle bei über 65-Jährigen im Jahr 2018 in Deutschland errechnet hatte, die im Zusammenhang mit Hitze standen. 1/3 Watts et al. Ist die Haut wiederholt ultravioletten Strahlen/UV-Licht ausgesetzt, erhöht sich zudem auch das Risiko für weißen und schwarzen Hautkrebs.
Das Bundesumweltamt informiert über weitere klimabedingte Auswirkungen auf unsere Gesundheit:
„Der Klimawandel kann zukünftig zu einer Zunahme weiterer Extremwettererscheinungen mit direkter, potentieller Gesundheitsbedeutung führen, worunter z. B. vor allem die Auswirkungen von Stürmen und Orkanen, sowie Hochwasser/Überschwemmungen bedingt durch Stark- oder Dauerregen zählen. Die hierdurch ausgelösten gesundheitlichen Auswirkungen können nicht nur physischer Art sein, wie z. B. Infektionen, Verletzungen oder im Extremfall auch Todesfälle, sondern auch psychische Belastungen wie Stress, Angstzustände, Traumata und Depressionen verursachen.
Indirekte gesundheitliche Auswirkungen und Risiken treten durch nachteilig veränderte Umweltbedingungen als Folge der Klimaänderungen auf. Hierzu gehören u.a. die Beeinträchtigung der Qualität und Quantität von Trinkwasser und Lebensmitteln, das veränderte bzw. verlängerte Auftreten biologischer Allergene (zum Beispiel Pollen) sowie von tierischen Krankheitsüberträgern, sogenannten Vektoren, wie Zecken oder Stechmücken. 1/4 Umweltbundesamt
Der Arzt und Kabarettist Eckart von Hirschhausen engagiert sich seit 2018 für eine medizinisch und wissenschaftlich fundierte Klimapolitik. Er ist Mitbegründer von Scientists for Future und Unterstützer der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit/KLUG. Er fasst treffend zusammen:
„Wir müssen nicht ,das Klima‘ retten – sondern uns.“
⇒ Weitere InformationenDeutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit e.V./KLUG„Die Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit e.V. /KLUG ist ein Netzwerk von Einzelpersonen, Organisationen und Verbänden aus dem gesamten Gesundheitsbereich, deren Ziel es ist, deutlich zu machen, welche weitreichenden Folgen die Klimakrise auf die Gesundheit hat. 1/5 KLUG |
1.1 Nichtübertragbare (Zivilisations-)Erkrankungen/NCDs
Typhus, Diphtherie und Tuberkulose – die Erkrankungen unserer Vorfahren traten akut und virulent auf. Das Krankheitsspektrum hat sich verändert, heute überwiegen Chronische (Zivilisations-)Erkrankungen. Im Gegensatz zu den Infektions-Erkrankungen gelten diese Erkrankungen als nicht übertragbar. Diese im Laufe des Lebens erworbenen, nicht durch „Ansteckung“ übertragbaren Erkrankungen mit langer Krankheitsphase werden als Nichtübertragbare Krankheiten/Noncommunicable diseases/NCDs bezeichnet. Sie haben oft keinen klar bestimmbaren Ausgangspunkt und entwickeln sich allmählich über eine lange Zeitdauer – das können Monate, Jahre oder gar Jahrzehnte sein. NCDs bedürfen einer Dauertherapie.
Eine globale Herausforderung
Die Weltgesundheits-Organisation WHO fasste am 13. April 2021 die wichtigsten Fakten zu Nichtübertragbaren Krankheiten/Noncommunicable diseases/NCDs zusammen:
„Nichtübertragbare Krankheiten (NCDs) töten jedes Jahr 41 Millionen Menschen, das entspricht 71 % aller Todesfälle weltweit.
Jedes Jahr sterben mehr als 15 Millionen Menschen im Alter zwischen 30 und 69 Jahren an einer NCD; 85 % dieser „vorzeitigen“ Todesfälle treten in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen auf.
Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind für die meisten NCD-Todesfälle verantwortlich, das entspricht 17,9 Millionen Menschen jährlich, gefolgt von Krebserkrankungen (9,3 Millionen), Atemwegserkrankungen (4,1 Millionen) und Diabetes (1,5 Millionen).
Diese vier Krankheitsgruppen sind für über 80 % aller vorzeitigen NCD-Todesfälle verantwortlich.
Tabakkonsum, körperliche Inaktivität, schädlicher Alkoholkonsum und ungesunde Ernährung erhöhen das Risiko, an einer NCD zu sterben.
Erkennung, Screening und Behandlung von NCDs sowie Palliativmedizin sind wichtige Bestandteile der Antwort auf NCDs.
Nichtübertragbare Krankheiten (NCDs), die auch als chronische Krankheiten bezeichnet werden, sind meist von langer Dauer und das Ergebnis einer Kombination aus genetischen, physiologischen, umweltbedingten und verhaltensbedingten Faktoren.“ [Ü. d. A.] 1.1/1 Factsheet WHO NCD
Die WHO weist auf den rasanten Anstieg dieser Erkrankungen hin und warnt vor einer epidemiologischen und ökonomischen Krise. |
Chronisch krank in Deutschland
2020 veröffentlichte das Frankfurter Institut für Allgemeinmedizin der Goethe-Universität die Studie Chronisch krank sein in Deutschland – Zahlen, Fakten und Versorgungserfahrungen. Sie ergab unter anderem:
Insgesamt gaben 18 Millionen von 42 Millionen (ca. 43 %) Frauen an, dass sie chronisch krank seien.
Befragungen von Frauen im Alter von 18–29 Jahre ergaben, dass 20,8 % mindestens eine chronische Erkrankung haben und 58,3 % der Frauen über 65 Jahre.
Insgesamt gaben 15,5 Millionen von 41 Millionen (ca. 38 %) der Männer an, dass sie chronisch krank seien.
Befragungen von Männern im Alter von 18–29 Jahre ergaben, dass 17,5 % mindestens eine chronische Erkrankung haben und 55,3 % der Männer über 65 Jahre. 1.1/2 Güthlin et al.
Grundsicherung und Krankheit
Das statistische Bundesamt teilte im April 2019 mit, dass im Dezember 2018 über eine Million Personen ab 18 Jahren Leistungen der Grundsicherung erhielten. 1.1/3 Stat. Bundesamt Knapp die Hälfte davon, 48,1 Prozent, erhielt die Leistung aufgrund einer dauerhaft vollen Erwerbsminderung aufgrund von Krankheit oder Behinderung.
Gesundheit der Bevölkerung nimmt ab
Auch wenn Statistiken immer in einem Gesamtzusammenhang bewertet werden müssen und viele Komponenten eine Rolle spielen – es ist kaum widerlegbar, dass die Gesundheit in der Gesamtbevölkerung abnimmt.
Zum einen müssen immer mehr (Chronisch) Kranke und ältere Menschen versorgt werden, zum anderen nimmt die Zahl der Menschen, die so gesund sind, dass sie den eigenen Unterhalt erarbeiten können, stetig ab. |
Die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften/AWMF veröffentlichte 2018 ein Strategiepapier: Medizin und Ökonomie: Maßnahmen für eine wissenschaftlich begründete, patientenzentrierte und ressourcenbewusste Versorgung. Darin merken die Autoren an:
„Die Einnahmebasis der umlagefinanzierten GKV wird längerfristig durch den steigenden Anteil nicht mehr Erwerbstätiger/Rentner geschwächt, insbesondere ab Renteneintritt der geburtenstarken Jahrgänge („Babyboomer“). Dies erfordert einen sehr bewussten Umgang mit knapper werdenden Ressourcen.“ [Quellenhinweise im Originaltext] 1.1/4 AWMF
Die akuten Infektionen durch COVID-19 stellen derzeit