Die Bestie im Menschen. Emile Zola

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Die Bestie im Menschen - Emile Zola

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wo er das Messer ansetzen wollte, nämlich bei einem kleinen braunen Zeichen unter dem Ohre. Und das waren nicht die einzigen, deren Erinnerung ihm die Brust beengte, auf der Gasse hockende, zufällig zu Nachbarinnen gewordene Frauen, alle diese hatten die Mordlust in ihm entfacht; eine namentlich, eine jung verheirathete Frau, die im Theater neben ihm saß und außerordentlich laut lachte. Mitten in einem Act mußte er aufstehen, um sie nicht anzufallen. Alle diese kannte er kaum, warum also dieser Zorn auf sie? Jedesmal, wenn ihn diese blinde Wuth befiel, schien es ihm ein brennender Durst nach Rache für verjährte längst vergessene Beleidigungen zu sein. Das Unheil also, welches die Frauen seinem Geschlecht gebracht, ihre von Mann zu Mann gesteigerte Schlechtigkeit, hatte seinen Ursprung wirklich in so ferner Zeit, vielleicht gar begann es mit dem ersten im Dunkel der Höhlen begangenen Betrug? Aus seinem Anfalle heraus fühlte er die Nothwendigkeit, das Weib zu bekämpfen und zu bezwingen, es todt hinzustrecken wie eine Anderen für immer abgejagte Beute. Sein Schädel barst unter der Anstrengung des Denkens, er war zu unwissend, um sich die rechte Antwort zu geben. In dem Angstgefühl zu Thaten gedrängt zu werden, denen gegenüber seine Willenskraft gleich null war, und deren Grund er nicht einsehen konnte, stumpfte sich sein Gehirn ab.

      Abermals stürzte sich beim Schimmer seiner Laternen ein Zug mit Getöse in den Tunnel, das, wie beim Donner allmählich erstarb. Jacques hatte sich aufgerichtet und sein Schluchzen eingestellt, als glaubte er, diese gleichgültige, zusammengepferchte, ihm unbekannte Menge könnte ihn hören. Er nahm jetzt eine unverdächtige Haltung an. Schon immer hatte er nach solchen Anfällen beim geringsten Geräusch die Gewissensbisse eines Schuldbehafteten empfunden! Ruhig, glücklich, fern von aller Welt lebte er nur auf seiner Lokomotive. Wenn sie ihn beim Erzittern ihrer Räder pfeilschnell davonführte, wenn er die Hand an der Kurbel seine ganze Wachsamkeit auf die Strecke und die Signale lenken mußte, dachte er an nichts anderes, mit vollen Lungen athmete er die reine, ihm sturmwindartig zugewehte Luft ein. Aus diesem Grunde liebte er seine Maschine, als wäre sie eine friedfertige Geliebte, von der er nur Glückseligkeiten zu erwarten hätte. Nach Verlassen der Gewerbeschule hatte er trotz seiner großen Intelligenz sich die Laufbahn eines Lokomotivführers gewählt, um ein einsames, betäubendes Leben führen zu können. Auch war er nicht ehrgeizig. Nach vier Jahren war er bereits Lokomotivführer erster Klasse und bezog als solcher einen Gehalt von zweitausendachthundert Franken, der mit den Heiz- und Putzprämien auf über viertausend wuchs. Mehr verlangte er nicht. Er sah seine Kameraden der zweiten und dritten Klasse, welche die Gesellschaft selbst in solche eintheilte, die Hilfsarbeiter, die sie als Lehrlinge annahm, fast immer Arbeiterinnen heirathen, ausgemergelte Frauen, die man nur zur Zeit der Abfahrt sah, wenn sie ihren Männern die Vorrathskörbchen brachten. Ehrgeizige Kameraden dagegen, namentlich solche, die eine Fachschule durchgemacht hatten, warteten mit ihrer Heirath, bis sie Depotchefs geworden, in der Hoffnung, eine Bürgerliche zu bekommen, eine Dame mit Hut. Ihm war alles das gleichgiltig, er floh ja doch die Frauen. Er wollte nie heirathen, sondern stets allein und abermals allein rastlos dahinrollen. Seine Vorgesetzten stellten ihn daher auch als einen Musterlokomotivführer hin, weil er nicht trank und nicht davonlief. Die bummlerisch veranlagten Kameraden natürlich neckten ihn wegen seiner ausbündig guten Führung, die Solideren aber erschreckte er, wenn er stumm, mit farblosen Augen und schrecklich verzerrtem Gesicht in seine Traurigkeit verfiel. Er erinnerte sich nicht mehr, wie viele Stunden er in seinem Kämmerchen in der Rue Cardinet schon zugebracht haben mochte, von welchem aus er das Depot von les Batignolles erblicken konnte, zu welchem seine Lokomotive gehörte. Er wußte nur, daß es so ziemlich seine sämmtlichen Freistunden gewesen waren, die er wie ein in seiner Zelle eingeschlossener Mönch dort verlebte. Hier kämpfte er gegen den Aufruhr seiner begehrlichen Wünsche mit Hilfe des Schlafes an, den er nur auf dem Bauche liegend fand.

      Jacques versuchte aufzustehen. Was machte er in dieser feuchten, nebligen Winternacht hier im Grase? Das Land blieb in Schatten gehüllt; nur am Himmel war es hell, dort ruhte noch der feine Dunst, die mächtige Kuppel aus unpolirtem Glas, vom dahinter verborgenen Monde mit einem fahlen, gelblichen Scheine durchleuchtet. Der düstere Horizont schlummerte in todesähnlicher Unbeweglichkeit. Auf! Es mußte schon auf neun Uhr gehen und es war rathsamer, heim zu gehen und sich auf's Ohr zu legen. Aber seine Beklemmung spiegelte ihm vor, wie er jetzt zu den Misard kommen, die Treppe zur Vorratskammer hinaufsteigen, sich auf das Heu werfen und im Raume nebenan, durch eine dünne Plankenwand nur von dem seinen getrennt, Flore athmen hören würde! Er wußte sogar, daß sie sich nie einschloß, daß er also ohne Umstände bei ihr würde eintreten können. Und wieder überlief ihn ein heftiger Schauder, dachte er an das entkleidete Mädchen mit den vom Schlafe widerstandslosen, heißen Gliedern. Noch einmal drückte ihn das Schluchzen zu Boden. Er hatte sie tödten wollen, er wollte sie noch tödten! Der Gedanke, daß er sich jetzt anschicken wollte, sie nach seiner Heimkehr in ihrem Bette zu tödten, würgte und zerrte an ihm. Was half es ihm, daß er keine Waffe zur Hand haben, daß sie seinen Kopf mit ihren beiden Armen niederdrücken würde; er fühlte, das Uebel würde ihn dennoch gegen seinen Willen antreiben, die Thür zu ihrer Kammer zu öffnen und sie zu erwürgen. Unter dem Geißelhieb des raubthierartigen Instinktes und unter dem Zwange, das alte Unrecht zu rächen, konnte er nicht anders. Nein, nein! Lieber wollte er die ganze Nacht im Freien zubringen, als dorthin zurückkehren! Mit einem Sprunge stand er auf den Beinen. Er entfloh.

      Und abermals jagte er wohl eine halbe Stunde über das düstre Gefilde, als wollte ihn die losgelassene Meute aller Schrecken der Hölle zu Tode Hetzen. Er jagte die Anhöhen hinauf, er kroch in enge Schluchten. Hinter einander stellten sich ihm zwei Bäche entgegen, er durchschritt sie, wobei er bis zu den Hüften versank. Ein ihm den Weg verlegendes Gebüsch brachte ihn zur Verzweiflung. Sein einziger Gedanke war, immer geradeaus und so weit als möglich zu laufen, um der wüthenden Bestie in seinem Innern zu entfliehen. Seit sieben Monaten schien sie ihm verjagt zu sein, und er hatte sich wieder Mensch gefühlt; und jetzt heulte sie von Neuem, abermals mußte er sie bekämpfen, um nicht von ihr auf die erste Frau, die ihm der Zufall in den Weg führen würde, gehetzt zu werden. Die große Stille, die mächtige Einsamkeit in der Runde beruhigten ihn indessen allmählich ein wenig und ließen ihn von einem stummen, einsiedlerischen Leben, ähnlich dieser Gegend, träumen, in welchem man auch abseits von den gebahnten Pfaden umherschweifen könnte, ohne einem menschlichen Wesen zu begegnen. Unbewußt war er im Kreise gegangen und im großen Bogen wieder an dem bebuschten Abhang des Eisenbahndammes, oberhalb des Tunnels gelangt. Er machte zornig kehrt, weil er fürchtete, auf Menschen zu stoßen. Um eine Anhöhe herum gedachte er den Weg abzuschneiden, verlief sich aber und stieß nun erst recht auf die Hecke längs der Geleise hart am Eingang zum Tunnel neben der Wiese, auf der er kurz zuvor sich in Schmerzen gekrümmt hatte. Da stand er nun besiegt, als ihn das noch ferne, von Sekunde zu Sekunde anschwellende, aus der Tiefe der Erde heraufschallende Dröhnen eines Zuges an diese Stelle bannte. Es war der Schnellzug nach Havre, der Paris um sechs Uhr dreißig Minuten verlassen hatte und hier um neun Uhr fünfundzwanzig Minuten vorüberkommen mußte; diesen Zug führte Jacques einen Tag um den andern.

      Er sah zunächst den dunklen Schlund sich erhellen, wie die Oeffnung eines Backofens, in welchem das Reisig entzündet wird. Das Geräusch näherte sich, plötzlich sprang die Lokomotive daraus hervor mit ihrem großen runden, blendenden Auge, deren Licht die Gegend zu durchdringen suchte und auf den Schienen weit voraus schon ein zweites Feuer zu entzünden schien. Aber das Ganze war eine blitzartige Erscheinung, denn vorüber flüchtete die Reihe von Waggons mit ihren grell beleuchteten Koupeefenstern, vorüber sausten die mit Reisenden gefüllten Koupee's mit einer so schwindelerregenden Schnelligkeit, daß das Auge unmittelbar an den gesehenen Bildern zweifelte. Aber Jacques hatte in dieser Viertelsekunde dennoch durch die hellerleuchteten Scheiben eines Koupee's gesehen, wie ein Mann einen zweiten auf den Sitz niedergedrückt hielt und ihm ein Messer in den Hals stieß, während eine schwarze Masse, vielleicht eine dritte Person, vielleicht heruntergestürztes Gepäck, mit ihrem ganzen Gewicht auf den krampfhaft angezogenen Beinen des Opfers lastete. Schon entfloh der Zug und verschwand in der Richtung von la Croix-de-Maufras, und man sah in der Dunkelheit nichts weiter mehr von ihm als die drei Schlußlaternen, das rothe Dreieck.

      Wie auf den Platz gebannt folgten die Blicke des jungen Mannes dem Zuge, dessen Brausen in dem großartigen Frieden des Todes, der auf der Gegend ruhte, erstarb. Hatte er wirklich richtig gesehen? Er zweifelte jetzt daran und wagte nicht

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