Die Bestie im Menschen. Emile Zola
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Читать онлайн книгу Die Bestie im Menschen - Emile Zola страница 13
»Und Dir geht es jetzt ganz gut? Erinnerst Du Dich noch an die Krankheit, an welcher Du bei uns littest und für die selbst der Arzt keinen Namen fand?
Sein Blick flimmerte unstät.
»Mir geht es sehr gut, Pathe.«
»Wirklich? Also der Schmerz hinter den Ohren, der Dir das Gehirn zu durchbohren schien, die plötzlichen Fieberanfälle und die jähe Schwermuth, die Dich wie ein Thier in einen einsamen Winkel niederzukauern zwang, alles das hat aufgehört?«
Je mehr sie sprach, desto heftiger wurde in ihm das Gefühl der Uebelkeit, so daß er sie schließlich kurz angebunden unterbrechen mußte.
»Ich versichere Sie, es geht mir ausgezeichnet ... Mir fehlt gar nichts mehr.«
»Desto besser, mein Junge, desto besser ... Wenn es Dir auch schlecht ginge, mit mir stände es deshalb doch nicht anders. In Deinem Alter ist man auch immer gesund. Ach, die Gesundheit, es giebt nichts Schöneres .. Es ist jedenfalls hübsch von Dir, daß Du mich besuchst, anstatt Dich sonstwo besser zu unterhalten. Du issest bei uns und schläfst oben in der Vorrathskammer, neben Flore's Zimmerchen.«
Noch einmal schnitt ihr das Signalhorn das Wort ab. Die Nacht war nun vollständig hereingebrochen. Als Beide zum Fenster hinausblickten, unterschieden sie nur undeutlich die Umrisse von Misard und einem zweiten Manne. Es hatte soeben sechs geschlagen und Misard übergab den Dienst seinem Stellvertreter, der die Nachtwache hatte. Jetzt war er endlich frei, nachdem er zwölf Stunden in dieser nur mit einem Tische unter der Apparatplatte, einem niedrigen Stuhle und einem Ofen ausgestatteten Bude zugebracht hatte, dessen zu starke Gluth ein forwährendes Offenhalten der Thür verlangte.
»Aha, da ist er, er wird gleich kommen,« murmelte Tante Phasie, von Furcht ergriffen, vor sich hin.
Der signalisirte Zug kam mit dem von Sekunde zu Sekunde lauter werdenden Getöse wuchtig näher. Der junge Mann mußte, gerührt von dem elenden Zustande, in welchem er sie sah und bemüht, sie zu trösten, sich vorbeugen, um verständlich zu werden.
»Hören Sie, Pathe, sollte er wirklich schlechte Gedanken haben, so läßt er sie vielleicht fallen, wenn er weiß, daß ich mich hineinmische ... Sie thaten gut, mir die tausend Franken anzuvertrauen.«
»Meine tausend Franken?« rief sie empört. »Weder Dir noch ihm ... Lieber krepire ich, sage ich Dir!«
In diesem Augenblick sauste der Zug mit orkanartiger Gewalt vorüber, als hätte er alles, was ihm im Wege stand, zerschmettert. Vom Winde gefaßt erbebte das Haus. Dieser nach Havre bestimmte Zug war sehr besetzt, denn am kommenden Sonntage sollte dort ein Fest, der Stappellauf eines Schiffes, gefeiert werden. Trotz der Schnelligkeit des Zuges hatte man das Gefühl, daß hinter den erleuchteten Scheiben die Koupees voller Menschen steckten, die Vision einer Reihe dicht gedrängter Köpfe, deren Profil man genau erkannte. Sie folgten sich und verschwanden. Welch eine Welt! Menge auf Menge, schier endlos inmitten des Rollens der Wagen, des Keuchens der Lokomotiven, des Anschlagens des Telegraphen und des Läutens der Glocken. Das Eisenbahnnetz, ein niedergekauertes riesenhaftes Wesen schien es zu sein, mit dem Kopfe in Paris, den Wirbelbeinen längs der ganzen Strecke der Linie, den Füßen und Händen in Havre und den andern Endpunkten. Und das zog und zog vorüber, mechanisch, triumphirend, der Zukunft entgegen mit einer mathematischen Genauigkeit, freiwillig verkennend, was ihm zu beiden Seiten, verborgen und doch lebendig im Menschen zurückgeblieben ist: die ewige Leidenschaft und das ewige Verbrechen.
Flore war die erste, welche die Küche betrat. Sie zündete eine kleine Petroleumlampe an, die keinen Lichtschirm hatte, und stellte sie auf den Tisch. Kein Wort wurde gewechselt, kaum ein Blick glitt zu Jacques hinüber, der den Rücken ihr zugekehrt, am Fenster stand. Auf dem Herde hielt sich eine Kohlsuppe warm. Sie servirte sie gerade, als auch Misard erschien. Er bezeugte keine weitere Ueberraschung, den jungen Mann hier zu erblicken. Er hatte ihn vielleicht kommen gesehen, aber er fragte ihn nicht, er kannte eben keine Neugierde. Ein Händedruck, drei kurze Worte, nichts weiter. Jacques mußte aus sich heraus die Geschichte von der gebrochenen Treibstange, seiner Absicht, seine Pathe zu umarmen und hier zu übernachten nochmals wiederholen. Misard hatte durch ein sanftes Neigen des Hauptes sein Einverständniß mit alledem zu erkennen gegeben, man setzte sich und aß ohne Hast, zunächst schweigsam. Phasie, die schon seit dem Morgen den Napf nicht außer Acht gelassen hatte, in welchem die Krautsuppe kochte, ließ sich auch einen Teller voll reichen. Aber als sich ihr Mann erhoben hatte, um ihr das von Flore vergessene Eisenwasser zu reichen, eine Karaffe, in welcher Nägel schwammen, nahm sie nichts. Er, demüthig und dienstbar, mit einem krankhaften Husten behaftet, sah nicht so aus, als ob er die ängstlichen Blicke bemerkte, mit denen sie seine geringsten Bewegungen verfolgte. Als sie Salz verlangte, welches auf dem Tische nicht zu sehen war, sagte er zu ihr, sie würde es noch einmal bereuen, so viel Salz zu essen, das mache sie gerade krank. Er erhob sich, um es zu holen und brachte ihr in einem Löffel ein paar Finger voll. Das Salz nahm sie voll Vertrauen; es reinige Alles, meinte sie. Dann sprach man von der seit einigen Tagen eingetretenen wirklich warmen Witterung, von einem in Maromme vorgekommenen Unglücksfall. Jacques mußte schließlich glauben, daß seine sonst so aufgeweckte Pathe an Alpdrücken leiden müsse, denn er konnte nichts in dem Benehmen des gefälligen Männchens mit den farblosen Augen entdecken, was zum Mißtrauen herausforderte. Länger als eine Stunde saß man beisammen. Viermal war Flore beim Tönen des Signalhornes auf einen Augenblick verschwunden. Die Züge jagten vorüber und brachten die Gläser auf dem Tische zum Klirren, aber keiner der Tischgenossen schenkte ihnen irgend welche Aufmerksamkeit.
Abermals ein Signal mit dem Horn, doch diesmal kam Flore, die soeben abgedeckt hatte, nicht zurück. Sie ließ ihre Mutter und die beiden Männer bei einer Flasche Apfelweinschnaps allein. Die drei blieben noch eine halbe Stunde sitzen. Dann nahm Misard, der vorher seine Blicke einen Augenblick forschend auf eine Ecke des Gemaches gerichtet hatte, seine Mütze und schritt mit einem einfachen Guten Abend zur Thür hinaus. Er wilddiebte in den Bächen der Nachbarschaft, in denen es prächtige Aale gab, und er ging nie eher schlafen, bis er seine Netze gründlich visitirt hatte.
Kaum war er fort, sah Phasie ihren Pflegesohn bedeutsam an.
»Glaubst Du nun? Hast Du gesehen, wie sich sein Blick dort in die Ecke wühlte? ... Es ist ihm nämlich gerade eingefallen, ich könnte meinen Schatz dort hinter dem Buttertopf verborgen haben ... O, ich kenne ihn, ich weiß genau, daß er heute Nacht den Topf von der Stelle rücken wird.«
Ein plötzlicher Schweiß drang durch die Poren ihres Körpers und ein heftiges Zittern schüttelte ihre Glieder.
»Da, sieh her, auch das noch! Er wird mir zu viel eingegeben haben, ich habe einen bittern Geschmack im Munde, als ob ich alte Sousstücke verschluckt hätte. Gott weiß, warum ich durchaus nichts von ihm nehmen will. Man möchte am liebsten gleich in's Wasser gehen. Heute Abend geht es leider nicht mehr, weil ich jetzt zu Bett muß. Also lebe wohl, mein Junge, da Du schon um sieben Uhr sechsundzwanzig Minuten abfährst, werde ich Dich nicht mehr sehen können. Und Du kommst bald wieder? Wir wollen hoffen, daß Du mich hier noch vorfindest.«
Er half ihr in ihr Zimmer, wo sie sich hinlegte und auch sofort zusammengekauert einschlief. Allein geblieben, zögerte er einen Augenblick und überlegte, ob er auch nach oben steigen und sich auf das Heu in der Vorratskammer strecken sollte. Die Uhr war aber jetzt erst dreiviertel auf acht, also es noch zu früh zum Schlafen. Er verließ das Gemach und ließ die kleine Petroleumlampe in dem leeren, träumenden Häuschen brennen, das von Zeit zu Zeit durch den jähen Donner eines vorüberfahrenden Zuges erschüttert wurde.
Draußen fühlte