Die Bestie im Menschen. Emile Zola

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Die Bestie im Menschen - Emile Zola

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      »Du wirst jetzt schreiben.«

      »Wem?«

      »Ihm natürlich. –Setze Dich.«

      Sie hielt sich instinctiv von einem Stuhle fern, ohne recht zu wissen, was er wollte. Er aber packte sie, führte sie an den Tisch und drückte sie dort mit solcher Wucht auf den Stuhl nieder, daß sie sich nicht wieder erhob.

      »Schreibe: »»Reisen Sie heute Abend mit dem Schnellzuge um sechs Uhr dreißig Minuten und zeigen Sie sich erst in Rouen.««

      Sie hielt wohl die Feder, aber ihre Hand zitterte, ihre Furcht vermehrte die unbekannte Absicht ihres Mannes. Was bezweckte er mit diesen beiden nichtssagenden Zeilen? Sie wagte sogar, fragend den Kopf zu ihm zu erheben.

      »Was willst Du beginnen? ... Ich bitte Dich, erkläre mir ...« »Schreibe, schreibe,« wiederholte er mit seiner harten, befehlenden Stimme.

      Dann tauchte er ohne Zorn, ohne Schimpfworte, aber mit einer so eisernen Nachdrücklichkeit, daß es sich wie eine Centnerlast auf sie niedersenkte und ihre Sinne schwinden machte, seine Augen tief in die ihrigen.

      »Was ich thun will, Du wirst es bald sehen ... Und daß Du mich nur verstehst, was ich beginne, das thun wir Beide gemeinsam ... Wir bleiben später auch hübsch bei einander, es giebt nämlich dann so etwas Bindendes zwischen uns Beiden.«

      Er erschreckte sie so, daß sie es noch einmal wagte, sich zu widersetzen.

      »Nein, nein, erst will ich wissen ... Ich schreibe nicht eher, bis ich weiß, um was es sich handelt.«

      Er war des vielen Redens müde. Er nahm ihre zarte Kinderhand in die seine und preßte sie in seiner eisernen Faust wie in einem Schraubstock, er hätte sie zerquetscht, wenn sie noch länger widerstrebt haben würde. Sie sollte unter Schmerzen seinen Willen kennen lernen. Sie schrie auf, alles brach in ihrem Innern und widersetzte sich nicht länger. Eine Ignorantin wie sie, die in ihrer passiven Milde nichts gelernt hatte, konnte nicht anders als gehorchen: ein williges Instrument für die Liebe wie für den Tod.

      »Also schreibe, schreibe.«

      Und sie schrieb mühsam mit ihrer armen gefolterten Hand, was er verlangte.

      »Gut so, immer recht artig,« sagte er, als er den Brief in Händen hatte. »Inzwischen bringe hier alles wieder in Ordnung. Ich hole Dich bald ab.«

      Er war vollständig gelassen. Er brachte vor dem Spiegel den Knoten seiner Kravatte in Ordnung, nahm seinen Hut und ging. Sie hörte, wie er die Thür zweimal verschloß und den Schlüssel herauszog. Die Dunkelheit wuchs mehr und mehr. Séverine blieb noch einen Augenblick auf dem Stuhle sitzen und lauschte gespannt auf die von draußen hereindringenden Geräusche. Nebenan in dem Zimmer der Zeitungsverkäuferin ein beständiges Heulen und Winseln; wahrscheinlich war ein Hündchen dort eingesperrt. Bei den Dauvergne war das Piano verstummt. Dagegen hörte man ein Geklapper von Topfen und sonstigem Geschirr. Die beiden Wirthschaftsvorsteherinnen hatten jetzt in der Küche zu thun. Claire bei einem Hammel-Ragout, Sophie bei einem Salatkopf. Und sie, allein, halb ohnmächtig hier oben in der schrecklichen Öde der hereinbrechenden Nacht, mußte hören, wie Jene heiter lachten.

      Seit sechs und ein viertel Uhr stand die Lokomotive des Schnellzuges nach Havre bereits gekuppelt vor dem Zuge. Die Halle war mit Waggons überfüllt. Daher hatte der Zug nicht in der Halle aufgestellt werden können. Er hielt draußen neben dem Bahnsteig, der in eine Art schmalen Defilées auslief, in dem Dunkel des tintenschwarzen Himmels, das von den wenigen längs des Fußsteiges aufgestellten Gaslaternen, die eher qualmigen Sternlein ähnelten, kaum nothdürftig erhellt wurde. Der soeben vorübergegangene Platzregen hatte einen eisigkalten Windzug hinterlassen, den man hier auf dem freien, mächtigen Raume ganz besonders spürte. Dieser Windhauch drängte auch den Nebel zurück bis zu den spärlichen Lichterreihen der Häuser in der Rue de Rome. Ebenso ungeheuerlich als trostlos der Anblick dieses durchnäßten, hier und dort von einem blutrothen Lichte durchblitzten, mit undurchsichtigen Massen, einzeln stehenden Lokomotiven und Waggons, mit Unmengen von Zugtheilen auf den Remisesträngen besetzten Terrains. Und aus diesem Schattensee heraus schallten Lärm, scheinbar von Riesen ausgestoßene, fieberhaft beschleunigte Athemzüge, das Kreischen der Dampfpfeifen, ähnlich dem Schreien einer vergewaltigten Frau, der Ton jammernder, seiner Signalhörner und daneben das Gebrause in den benachbarten Straßen. Befehle wurden laut ertheilt, es sollte noch ein Waggon herangeschoben werden. Die Schnellzugslokomotive ließ aus einem Ventil einen mächtigen Dampfstrahl heraus. Der weiße Strahl stieg hinauf in all dieses Schwarz und zerstäubte dort in kleine Rauchwölkchen und diese bethauten das so unsäglich weit am Himmel ausgespannte Kleid des Todes mit ihren heißen Thränen.

      Um sechs Uhr zwanzig Minuten erschienen Roubaud und Séverine. Sie hatte soeben der Mutter Victoire in der Bedürfnißanstalt neben den Wartesälen den Schlüssel des Zimmers eingehändigt. Er drängte sie vorwärts mit der besorgten Miene eines von seiner Frau aufgehaltenen Gatten: er, den Hut im Genick, ungeduldig und unduldsam, sie mit dem Schleier vor dem Gesicht zögernd, wie gebrochen von Müdigkeit. Eine Fluth von Reisenden wälzte sich über den Perron, sie mischten sich unter die anderen und eilten an der Reihe der Waggons entlang, um noch ein leeres Koupee erster Klasse erhaschen zu können. Und immer lebhafter wurde hier das Gewühl, die Gepäckträger rollten die vollen Karren zum Gepäckwagen hinter der Lokomotive, ein Beamter bemühte sich, eine zahlreiche Familie unterzubringen, der Unter-Inspector im Dienst beleuchtete mit der Signallaterne die Kuppelungen der Wagen, um zu sehen, ob sie fest aufgeschraubt wären. Roubaud hatte soeben ein leeres Koupee entdeckt und wollte Séverine gerade beim Einsteigen behilflich sein, als ihn der Bahnhofsvorsteher Herr Vandorpe bemerkte, der gemeinsam mit seinem ersten Assistenten für den Fernverkehr, Herrn Dauvergne, beide Hände auf dem Rücken, den Veranstaltungen zur Anhängung des verlangten Waggons zusah. Man begrüßte sich und mußte natürlich plaudern.

      Zuerst sprach man über den Vorfall mit dem Unterpräfecten, der zu Jedermanns Befriedigung nun beigelegt war. Dann war die Rede von einem frühmorgens in Havre geschehenen und telegraphisch mitgetheilten Unfall: die Treibstange einer Lokomotive, der Lison, welche am Donnerstag und Sonnabend den um sechs Uhr dreißig Minuten abgehenden Schnellzug zu führen hatte, war gebrochen, gerade als man in den Bahnhof einfuhr. Die nothwendig gewordene Reparatur zwinge nun den Maschinenführer Jacques Lantier, einen Landsmann von Roubaud, und seinen Heizer Pecqueux, den Mann der Mutter Victoire, zu einer zweitägigen Unthätigkeit. Vor der Waggonthür stand Séverine, sie war noch nicht eingestiegen; ihr Gatte trug bei der Unterhaltung mit den Herren eine auffallende Heiterkeit zur Schau, auch sprach er sehr laut. Jetzt gab es einen Ruck, der Zug rollte um einige Meter weit zurück: die Lokomotive stieß die vorderen Waggons auf den zur Schaffung eines reservirten Koupees verlangten. Es war der Wagen Nummer 293. Henri Dauvergne junior, welcher in seiner Eigenschaft als Zugführer mitfuhr und Séverine durch den Schleier erkannt hatte, zog sie noch rechtzeitig zur Seite, sonst wäre sie von der offen stehenden Koupeethür getroffen worden. Dann entschuldigte er sich lächelnd und erzählte in aufmerksamer Weise, daß jenes Koupee für einen der Verwaltungsräthe der Gesellschaft reservirt werde, der es erst eine halbe Stunde vor Abgang des Zuges bestellt habe. Sie lächelte nervös, sie wußte eigentlich nicht warum, und er ging seinem Dienste wieder nach. Er war von ihr entzückt, er hatte bei sich schon oft gedacht, daß ein Verhältniß mit ihr keine unangenehme Sache sein müßte.

      Die Uhr wies auf sechs Uhr siebenundzwanzig Minuten. Noch drei Minuten Zeit. Roubaud, der selbst während seines Plauderns mit dem Vorsteher die Thüren der Wartesäle nicht außer Augen gelassen hatte, verließ plötzlich diesen und trat zu Séverine. Der Waggon war inzwischen rückwärts gerollt, sie mußten also einige Schritte bis zu ihrem Koupee zurücklegen. Er stieß seine Frau in den Rücken, als sie vor ihm ging und zwang sie durch einen Druck am Handgelenk, einzusteigen, wobei sie es trotz ihrer angstvollen Folgsamkeit nicht unterließ, rückwärts

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