Die Bestie im Menschen. Emile Zola

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Die Bestie im Menschen - Emile Zola

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erbte. Er drohte mir, das brachte mir Unglück, ich erkrankte ... Ich bin seitdem nicht wieder gesund geworden, ja, seitdem nicht mehr.«

      Der junge Mann verstand, er glaubte an schwarzseherische Gedanken der leidenden Frau und versuchte sie ihr auszureden. Aber ihr eifriges Kopfschütteln belehrte ihn, daß sie darüber ihre eigenen, unzerstörbaren Ansichten habe, so daß er schließlich sagte:

      »Nichts ist einfacher, um der Geschichte ein Ende zu machen: Geben Sie ihm die tausend Franken.«

      Wie von einer außergewöhnlichen Kraft getrieben, schnellte sie empor.

      »Meine tausend Franken, niemals!« rief sie aufgebracht heftig aus. »Eher will ich krepiren ... Ah, sie sind gut geborgen, gut versteckt. Das Haus kann man auf den Kopf stellen, man wird sie doch nicht finden ... Er hat genug gekramt, der Schuft! Ich habe es in der Nacht recht gut gehört, wie er an die Mauern klopfte. Such, Such! Sehen möchte ich, wie er mit der langen Nase abzieht, das Vergnügen würde meine Geduld wieder stärken ... Möchte wissen, wer zuerst locker lassen wird, er oder ich. Ich bin mißtrauisch, ich esse nur, was auch er verzehrt. Und selbst wenn ich zusammenbrechen sollte, so würde er die tausend Franken doch nicht bekommen. Lieber lasse ich sie in der Erde.«

      Sie fiel erschöpft und von dem abermaligen Getute erschreckt in den Stuhl zurück. Misard war es, der auf der Schwelle seiner Wächterbude einen nach Havre gehenden Zug meldete. Trotz ihrer hartnäckigen Weigerung, ihm die Erbschaft anzuvertrauen, empfand sie dennoch eine heimliche, stetig zunehmende Angst vor ihm, die Furcht des Kolosses vor dem Insect, von dem er sich angefressen fühlt. Der signalisirte Zug, ein Lokalzug, der Paris um zwölf Uhr fünfundvierzig Minuten verlassen hatte, meldete sich durch dumpfes Rollen. Man hörte ihn den Tunnel verlassen, sein lauteres Keuchen unter freiem Himmel. Unter dem Donner seiner Räder passirte er dann mit der ganzen Wucht seiner Waggons wie ein unwiderstehlicher Sturmwind.

      Jacques erhobene Augen sahen die kleinen quadratförmigen Wagenscheiben vorüberfliegen, hinter welchen die Köpfe der Reisenden wie im Fluge sichtbar wurden. Er wollte Phasie von ihren düstern Gedanken abbringen und sagte:

      »Sie beklagen sich, liebe Pathe, nie eine Katze in diesem Loch zu sehen und, blicken sie dorthin, haben da eine ganze Welt!«

      »Wo? Eine Welt?« fragte sie erstaunt, weil sie nicht gleich begriff. »Ach so vorüberfahrende Leute. Da habe ich etwas Rechtes! Ich kenne sie weder noch kann ich mich mit ihnen unterhalten.«

      »Aber mich kennen Sie doch,« meinte er, noch immer lächelnd, »ich komme doch oft genug hier vorüber?«

      »Dich kenne ich allerdings; ich weiß, um wieviel Uhr Dein Zug hier vorbeikommt und ich passe Dir auf. Aber Du jagst vorbei, vorbei! Gestern hast Du so mit der Hand gemacht; ich konnte leider nicht antworten ... Nein, nein, auf diese Weise verkehre ich nicht gern mit der Welt.«

      Allein die Vorstellung von der Menschenmenge, welche die hin und her verkehrenden Züge durch die schweigende Oede täglich an ihr vorüberschleppten, stimmte sie doch nachdenklich und so blieb ihr Auge auf den Geleisen haften, auf welche bereits die Nacht herniedersank. Als sie noch auf ihren Füßen stand und ab und zu ging, ja, selbst wenn sie mit der Fahne im Arm vor der Barriere stand, hatte sie an dergleichen nie gedacht. Aber wirre, ihr selbst nicht faßbare Träumereien summten ihr durch den Kopf, seit sie ihre Tage auf diesem Stuhle zubrachte und an nichts weiter zu denken hatte, als an ihren stumpfsinnigen Kampf mit ihrem Manne. Es erschien ihr drollig, so verlassen in dieser Einode leben zu müssen und dabei täglich ununterbrochen einen Strom von Männern und Frauen im Sturmwind der dampfenden Eisenbahnzüge, die das Haus erzittern machten, vorüberflüchten zu sehen. Wohl möglich, daß dort die ganze Welt passirte, nicht nur Franzosen, auch Fremde, Leute aus fernen Gegenden. Heutzutage bleibt ja keiner mehr zu Hause hocken und, wie es hieß, würden ja alle Völker bald ein einziges bilden. Das heißt man Fortschritt. Alle sollen Brüder sein und gemeinsam in das gelobte Land fahren. Sie versuchte sie zu zählen, einen Durchschnitt zu finden, so und so viel in jedem Waggon: aber sie kam nicht weit, es wurden ihrer zu viele. Oft glaubte sie Physiognomien zu erkennen, die eines Herrn mit blondem Barte, gewiß ein Engländer, der in jeder Woche einmal nach Paris fuhr; oder die einer kleinen brünetten Dame, welche jeden Mittwoch und Sonnabend vorüberkam. Aber wie der Blitz waren sie wieder fort, sie war nicht einmal sicher, ob sie jene auch wirklich gesehen habe, denn die Gesichter tauchten ineinander, verwischten sich und verschwanden eins in das andere, als wären sie alle von einer Form und einem Aussehen. Der Strom fluthete vorüber und hinterließ keine Spuren seines Daseins. Besonders aber stimmte es sie traurig, daß während dieses ewigen Vorbeirollens, inmitten dieses spazieren gefahrenen Wohllebens und Reichthums, diese fortwährend in Bewegung befindliche Menschenmenge von Phasie's Dasein keine Ahnung hatte, nicht wußte, daß diese sich in Lebensgefahr befand, ja daß, wenn ihr Mann eines Abends sein Werk vollbracht haben würde, selbst dann die Eisenbahnzüge beständig sich neben ihrem Leichname kreuzen und nicht einmal das im Innern dieses einsamen Häuschens begangene Verbrechen beargwöhnen würden.

      Phasie's Augen blieben am Fenster haften. Ihre wirren Empfindungen zu erklären, dazu hätte es einer längeren Zeit bedurft, sie faßte daher ihre Gedanken kurz so zusammen:

      »Solche Eisenbahn ist eine schöne Erfindung, darüber ist weiter kein Wort zu verlieren. Man reist schnell, man ist weiser geworden ... Aber wilde Thiere bleiben wilde Thiere und wenn man selbst noch bessere Maschinen erfinden würde, wilde Thiere würde es immer geben.«

      Jacques nickte bejahend mit dem Kopfe. Er sah soeben, daß Flore einem Karren, der zwei mächtige Steinblöcke führte, die Barriere öffnete. Die Landstraße wurde fast ausschließlich vor den Kärrnern aus Bécourt benutzt; es kam daher höchst selten vor, das Flore des Nachts aufstehen mußte, um die mit einem Vorlegeschloß versehene Barriere zu öffnen. Als er das Mädchen vertraut mit dem Kärrner, einem jungen gebräunten Manne, plaudern sah, rief er aus:

      »Oho! Cabuche ist wohl krank, sein Vetter Louis fährt ja sein Gespann? ... Der arme Cabuche, sehen Sie ihn oft, Pathe?«

      Sie hob die Hände ohne zu antworten und seufzte tief auf. Es hatte sich im vergangenen Herbst hier ein Drama abgespielt, das gewiß nicht geeignet war, ihr die Gesundheit wiederzugeben: ihre jüngere Tochter Louisette, welche als Hausmädchen bei Frau Bonnehon in Doinville diente, hatte sich eines Abends, halb wahnsinnig, zu ihrem guten Freunde Cabuche geflüchtet, der mitten im Walde ein Häuschen besaß, und war in seinen Armen gestorben. Es liefen Gerüchte umher, die den Präsident Grandmorin eines Verbrechens gegen die Sittlichkeit beschuldigten, aber man wagte nicht, sie sich laut zu wiederholen. Die Mutter selbst, die wohl genau wußte, wie die Sache lag, vermied es, auf diesen dunklen Punkt zurückzukommen. Heute aber sagte sie doch:

      »Nein, er kehrt nicht mehr bei uns ein. Er wird immer mehr zum bissigen Wolf ... Die arme Louisette, dieses liebe, zarte, sanfte Geschöpf! Sie würde mich gewiß geliebt und gepflegt haben, während Flore ... Du lieber Gott, ich will mich gewiß nicht beklagen, aber sie hat so etwas Störendes an sich, es muß alles nach ihrem Kopf gehen, hoch hinaus ist sie und heftig, und manchesmal bleibt sie stundenlang fort ... Alles das ist so traurig, so sehr traurig!«

      Jacques Blicke folgten dem Wagen, der jetzt über die Schienen rollte, während er aufmerksam zuhörte. Die Räder blieben oft an den Geleisen hängen und der Fuhrmann mußte mit der Peitsche knallen, während Flore durch Schreien die Pferde anfeuerte.

      »Teufel auch,« meinte Jacques, »wenn jetzt ein Zug käme, das gebe einen netten Brei!«

      »Keine Furcht,« antwortete Tante Phasie. »Flore ist mitunter höchst eigenthümlich, aber sie kennt ihr Geschäft und ist sehr umsichtig ... Gott sei Dank, in den letzten fünf Jahren ist hier nichts vorgekommen. Vordem wurde ein Mann gerädert. Wir haben es nur mit einer Kuh zu thun gehabt, die beinahe den ganzen Zug zur Entgleisung brachte. Man hatte den Körper des armen Thieres hier und den Kopf

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