Skizzenbuch. Mark Twain
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Читать онлайн книгу Skizzenbuch - Mark Twain страница 10
Über eine Bemerkung, die ich in meiner frühsten Kindheit machte – es war nicht einmal ein Witzwort – wäre es beinahe zu einem ernstlichen Zerwürfnis zwischen meinem Vater und mir gekommen. Das trug sich nämlich so zu: Eines Tages unterhielten sich meine Eltern mit Onkel, Tante und mehreren Freunden darüber, welchen Namen man mir geben solle. Ich lag da, beschäftigt verschiedene Gummiringe zu probieren, um die besten auszuwählen, weil ich es satt hatte, mir die kommenden Zähnchen an anderer Leute Fingern durchzubeißen und nach einem Gegenstand trachtete, mit dessen Hilfe ich dies Geschäft rasch zu Ende führen und dann etwas neues beginnen könne. Man weiß ja, was für eine Quälerei es ist, sich die Zähne am Finger der Amme durchzubeißen, oder welche Mühe man hat und wie man sich den Rücken fast zerbricht, wenn man die eigene große Zehe dazu benützen will. Wer hat nicht dabei schon die Geduld verloren und seine Zähne ins Pfefferland gewünscht, noch ehe ihre ersten Spitzchen durchguckten? – Mir ist's als wäre das alles erst gestern geschehen.
Doch, ich will nicht weiter abschweifen. Also – ich lag da und wählte mir meine Gummiringe; als dabei mein Blick zufällig die Uhr traf, fiel mir ein, daß ich in einer Stunde und fünfundzwanzig Minuten gerade zwei Wochen alt sein würde. Ach, wie wenig hatte ich noch gethan, um die Wohlthaten zu verdienen, mit denen man mich so verschwenderisch überhäufte!
Jetzt hörte ich, wie der Vater sagte: »Abraham ist ein guter Name; mein Großvater hieß Abraham.«
»Ja wohl,« erwiderte die Mutter, »mir ist Abraham für einen seiner Zunamen ganz recht.«
Ich wollte auch meine Meinung abgeben: »Abraham gefällt dem Unterzeichneten,« sagte ich.
Da runzelte der Vater die Stirn, aber meine Mutter machte ein ganz vergnügtes Gesicht und die Tante rief: »Hört nur den lieben kleinen Schelm!«
»Isaak ist ein guter Name,« fuhr mein Vater fort, »auch Jakob könnten wir wählen.«
»Gewiß,« stimmte die Mutter bei, »bessere Namen giebt es gar nicht. Wir wollen ihn auch Isaak und Jakob nennen.«
»Einverstanden,« sagte ich, »mit Isaak und Jakob bin ich zufrieden und verbleibe ganz der Ihrige. Bitte, gebt mir doch einmal die Klapper her; ich kann nicht den ganzen Tag an Gummiringen kauen.«
Keine Seele machte sich Notizen von meinen Äußerungen zum Zweck der Veröffentlichung. Das sah ich und that es selber, sonst wären sie gänzlich verloren gegangen. Statt daß man mich liebevoll ermuntert hätte, wie es bei andern Kindern geschieht, die sich geistig aufgeweckt zeigen, strafte mich der Vater mit einem Zornesblick, die Mutter sah ängstlich und bekümmert aus und auch die Tante schien zu meinen, ich hätte mir zu viel herausgenommen. Voll Ingrimm biß ich meinen Gummiring entzwei und zerschlug verstohlen die Klapper auf dem Kopf des Kätzchens, doch sagte ich nichts.
»Der allerbeste Name ist Samuel,« begann mein Vater von neuem.
Da wußte ich, daß ein Sturm im Anzug sei, den nichts abwenden könne. Ich legte meine Klapper hin, ließ des Onkels silberne Uhr über den Rand der Wiege fallen, desgleichen die Kleiderbürste, das hölzerne Hündchen, meinen Zinnsoldaten, das Reibeisen und sonstige Gegenstände, mit welchen ich für gewöhnlich meine Untersuchungen und Beobachtungen anstellte, oder ein angenehmes Geräusch hervorbrachte – gelegentlich zerschlug, zerbrach und zertrümmerte ich sie auch, wenn es galt, mir eine gesunde Bewegung zu machen. Dann zog ich mein Röckchen an, setzte mein Mützchen auf, nahm die kleinen Schuhe in eine Hand, das Stück Lakritze in die andere und kletterte auf den Fußboden hinunter.
»Mag daraus werden was will,« dachte ich bei mir, »ich bin bereit.«
Mit lauter, fester Stimme sagte ich nun: »Vater, das ist unmöglich – den Namen Samuel kann ich nicht tragen.«
»Wie, mein Sohn?«
»Wirklich, Vater, ich kann es nicht.«
»Warum nicht?«
»Ich habe eine unbezwingliche Abneigung dagegen.«
»Das ist unverständig, mein Sohn. Viele große und gute Männer hießen Samuel.«
»Davon ist mir kein Beispiel bekannt.«
»Was? War nicht Samuel, der Prophet, groß und gut?«
»Hm! Nicht so besonders.«
»Aber, mein Sohn! Der Herr rief ihn doch mit seiner eigenen Stimme.«
»Ja wohl, aber er mußte ihn ein paarmal rufen, bis er endlich kam.«
Damit ergriff ich die Flucht, und der strenge alte Mann lief mir nach. Um die Mittagsstunde des nächsten Tages holte er mich ein und als unsere Zusammenkunft vorüber war, hatte ich richtig den Namen Samuel erhalten, dazu eine Tracht Schläge und manche nützliche Belehrung obendrein. Nachdem mein Vater die Sache auf diese Weise ausgeglichen hatte, war sein Zorn beschwichtigt. Gut, daß ich Vernunft annahm, sonst hätte unsere Uneinigkeit leicht zu einem unheilbaren Bruch führen können.
Was würde mir aber mein Vater – nach diesem Vorfall zu urteilen – wohl angethan haben, wenn jemals eine von den schwächlichen Albernheiten aus meinem Munde gekommen wäre, welche als Äußerungen gescheiter zweijähriger Kinder jetzt im Druck erscheinen? – Ich bin überzeugt, daraus wäre ein Fall des Kindsmordes in unserer Familie entstanden.
Staatswirtschaft.
»Die Staatswirtschaft,« schrieb ich, »ist die Grundlage einer jeden guten Regierung. Die weisesten Männer aller Jahrhunderte haben diesem Gegenstand stets –«
Hier wurde ich durch die Meldung unterbrochen, daß ein Fremder unten sei, der mich zu sprechen wünsche. Ich folgte dem Ruf, trat vor ihn hin und fragte nach seinem Begehr. Dabei war ich aus allen Kräften bemüht, die in mir gärenden staatswirtschaftlichen Gedanken festzuhalten und ihnen weder die Zügel schießen zu lassen noch zu dulden, daß sie sich im Geschirr verwickelten. Heimlich wünschte ich jedoch, der Fremde läge auf dem Grunde des Meeres und auf ihm eine Ladung Getreide. Ich war wie im Fieber; er blieb völlig kühl. Es thue ihm leid mich zu stören, sagte er, aber er habe im Vorbeigehen bemerkt, daß ich auf meinem Haus ein Paar Blitzableiter brauchen könne. »Nun – und –« sagte ich, »was weiter, was wollen Sie?« Er entgegnete, er wolle nichts weiter, nur würde er die Blitzableiter gern bei mir anbringen.
Es ist noch nicht lange, daß ich einen eigenen Haushalt führe, bisher habe ich immer in Hotels und Kosthäusern gewohnt. Natürlich wollte ich aber vor einem Fremden von meiner Unerfahrenheit nichts merken lassen und als gewiegter Hausbesitzer auftreten; das wird jedermann begreiflich finden. Ich sagte daher mit ernster Miene, es sei schon längst meine Absicht gewesen, sechs oder acht Blitzableiter bei mir anbringen zu lassen, allein – der Fremde fuhr zusammen und sah mich fragend an, aber ich verlor die Fassung nicht. Wenn ich Fehler machte, sollte er mir meine Unkenntnis wenigstens nicht im Gesicht lesen. Er sagte, es würde ihm lieber sein, mich zum Kunden zu haben, als irgend