Skizzenbuch. Mark Twain

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Skizzenbuch - Mark Twain

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wissen, wie viele Spitzen ich zu haben wünsche, an welchen Teilen des Hauses er sie anbringen solle und welcher Art von Stangen ich den Vorzug gäbe. Das war eine schöne Klemme für jemand, der erst so kurze Zeit verantwortlicher Hausbesitzer ist; aber ich hielt mich wacker, und er merkte mir höchst wahrscheinlich nicht einmal an, daß ich ein Neuling sei. Er solle acht Spitzen anbringen, sagte ich, sämtlich auf dem Dach, und Stangen von der besten Qualität nehmen. Die gewöhnliche Ware, lautete seine Antwort, könne er für zwanzig Cents liefern, gekupferte für fünfundzwanzig, mit Zink plattierte und spiralförmig gebogene für dreißig Cents den Fuß. Letztere würden jedem Blitzstrahl Halt gebieten, wohin er auch unterwegs sei, »seine Wirkung unschädlich machen und seinen weiteren Fortgang apokryph.« Ich sagte, »apokryph« wäre kein schlechtes Wort, da es aus heiliger Quelle stamme, aber, ohne der Philologie zu nahe zu treten, zöge ich die spiralförmig gebogenen Blitzableiter vor, und würde diese Sorte nehmen. Hierauf erwiderte er, man könne zwar im Notfall mit zweihundertfünfzig Fuß auskommen; wenn die Arbeit aber ordentlich gemacht werden solle, so daß sie als die beste in der Stadt gelten, Gerechte und Ungerechte befriedigen werde und jedermann zwingen, einzugestehen, er habe noch nie eine symmetrischere und hypothetischere Aufstellung von Blitzableitern gesehen, seit er das Licht der Welt erblickt – dann würde er, um diesen Zweck zu erreichen, sicherlich vierhundert Fuß verbrauchen müssen. Doch wolle er nicht auf seinem Kopf bestehen und gewiß sein Möglichstes thun. »So nehmen Sie denn vierhundert,« sagte ich, »und machen Sie die Arbeit wie Sie wollen, nur halten Sie mich nicht länger auf.« Nachdem ich ihn glücklich los geworden, brauchte ich eine halbe Stunde, um meine staatswirtschaftlichen Gedanken wieder da anzuknüpfen, wo ich sie gelassen hatte und sie weiter zu spinnen, wie folgt:

      »nicht nur die reichsten Schätze ihres Geistes zugewandt, sondern auch ihre Lebenserfahrung und ihre Kenntnisse. Die großen Lichter der Handelsgesetzgebung, der Völkerverbrüderung und der verschiedensten Lebensordnungen in allen Jahrhunderten, allen Kulturen, allen Nationen, von Zoroaster bis auf Horace Greeley, sind bemüht gewesen –«

      Hier wurde ich wieder unterbrochen und gebeten, hinunterzukommen, weil der Blitzableitermann noch ein Anliegen habe. Ich eilte zu ihm, während in mir die mächtigsten Gedanken wogten und wallten und sich in so majestätische Worte kleideten, daß jedes derselben in einer langen Prozession von Silben einherzog, die schwerlich in weniger als fünfzehn Minuten vorüber sein konnte. Wieder befand ich mich in fieberhafter Aufregung ihm gegenüber, während er sanft und ruhig blieb. Er hatte die beschauliche Stellung des Kolosses von Rhodus angenommen; mit einem Fuß stand er auf meiner umgepflanzten Tuberose, mit dem andern auf dem Stiefmütterchenbeet, die Hände in die Hüften gestemmt, die Hutkrempe ins Gesicht gezogen, ein Auge zugekniffen und das andere mit kritischem und bewunderndem Blick auf meinen größten Schornstein gerichtet. Ein solches Schauspiel zu betrachten, sagte er, sei die höchste Lebenslust. »Gestehen Sie selbst«, wandte er sich zu mir, »haben Sie je etwas von so entzückendem landschaftlichem Reiz gesehen, als acht Blitzableiter auf einem einzigen Schornstein?« Ich erwiderte, ich könne mich nicht gerade auf einen Anblick besinnen, der diesen überträfe, worauf er bemerkte, daß es nach seiner Ansicht auf Erden nichts gäbe, was sich an Naturschönheit damit vergleichen ließe – ausgenommen der Niagarafall. Um mein Haus zu einer vollkommenen Augenweide zu machen, brauche man nur noch die andern Schornsteine etwas auszuschmücken, damit der ganze coup d'oeil sich zu einer Harmonie entwickele, die geeignet sei, die Aufregung, in welche man durch den ersten coup d'état versetzt werde, einigermaßen zu mildern.

      Als ich ihn fragte, ob er seine Art sich auszudrücken aus Büchern habe, die ich mir vielleicht irgendwo aus einer Leihbibliothek verschaffen könne, lächelte er wohlgefällig und meinte, solche Redeweise lasse sich nicht aus Büchern lernen. Nur wer mit dem Blitz vertraut sei, dürfe es wagen, sich ungestraft seiner Unterhaltungsform zu bedienen. Dann machte er einen ungefähren Anschlag und versicherte, wenn noch acht Blitzableiter über das Dach verteilt würden, so ließe sich mein Zweck wohl erreichen; mit fünfhundert Fuß des Leitungsmaterials dächte er auszukommen. Bei den ersten acht hätte er sich nämlich etwas verrechnet – nur um eine Kleinigkeit, etwa um hundert Fuß, genau könne er es noch nicht angeben. Ich sagte ihm, ich sei in schrecklicher Eile und wünsche das Geschäft schnell abzumachen, um wieder an meine Arbeit zu kommen. Da entgegnete er: »Einen Augenblick habe ich wohl daran gedacht, die acht Blitzableiter aufzubringen und dann ruhig meiner Wege zu gehen. Mancher würde vielleicht an meiner Stelle so gehandelt haben, aber ich sagte mir: »Nein, ich kenne den Mann nicht und lieber möchte ich sterben, als einen Fremdling ins Unglück stürzen. Auf dem Haus sind noch nicht genug Blitzableiter und ich rühre mich nicht vom Platz, bis ich ihm das gesagt habe und also gethan, was ich wünschte, daß man mir in demselben Falle thäte. – Fremdling meine Pflicht ist erfüllt! Wenn der recalcitrante und dephlogistische Himmelsbote Ihr Haus trifft, so – –«

      »Schon gut, schon gut,« rief ich; »pflanzen Sie die andern acht auch auf – verwenden Sie meinetwegen noch fünfhundert Fuß spiralförmig gebogene Leitungsstangen; thun Sie, was Sie nicht lassen können; stillen Sie Ihr Sehnen, aber gestatten Sie Ihren Gefühlen nur so weit freien Lauf, als Sie mit dem Wörterbuch reichen können. Wenn wir uns jetzt genügend verständigt haben, möchte ich wieder an meine Arbeit gehen.«

      Nun sitze ich schon seit einer vollen Stunde hier und versuche meinen Gedankengang da wieder aufzunehmen, wo ich zuletzt unterbrochen wurde; jetzt endlich ist es mir gelungen, ich fahre also fort:

      »diesen großen Gegenstand zu bezwingen, aber selbst die Geistesmächtigsten unter ihnen, haben einen würdigen Gegner an ihm gefunden, der sich nach jeder Niederlage nur um so mutiger erhebt. Der berühmte Confucius sagte, lieber wollte er ein tüchtiger Staatsmann sein, als Polizeipräsident. Cicero hat häufig den Ausspruch gethan, daß die Staatswirtschaft die größte Wirtschaft sei, welche der Mensch imstande sei zu betreiben, und selbst unser Greeley hat im allgemeinen mit Nachdruck angedeutet, daß »Staats –«

      Hier ließ mich der Blitzableitermann wieder abrufen und ich ging in einem Gemütszustand hinunter, der an Ungeduld grenzte. Er sagte, daß er untröstlich sei, mich noch einmal stören zu müssen – weit lieber wäre er gestorben. Aber, wenn ihm eine Arbeit übertragen sei, von der man erwarte, daß er sie ordentlich und kunstgerecht ausführe und er nach Vollendung des Werkes, im Begriff sich seiner so wohl verdienten Ruhe und Erholung hinzugeben, noch einen betrachtenden Blick darauf werfe und zu seinem Schrecken gewahr werde, daß alle Berechnungen nicht genau genug gewesen seien und daß das Haus, für welches er ein persönliches Interesse fühle, falls ein Gewitter losbrechen sollte, dastehen werde, ohne auf der Welt einen andern Schutz zu haben als sechzehn Blitzableiter auf dem Dach, ja dann – –

      »Kein Wort mehr,« schrie ich in wahnsinniger Erregung, »warum pflanzen Sie nicht hundertfünfzig auf? Zehn Stück auf die Küche, ein Dutzend auf die Scheune, ein paar auf die Kuh, einen auf die Köchin! Spicken Sie das ganze unselige Gebäude damit, bis es aussieht wie ein großes, zinkplattiertes, spiralförmig gewundenes, an den Spitzen versilbertes Stachelschwein. Fort ans Werk! Verbrauchen Sie das sämtliche verfügbare Material und wenn Sie keine Blitzableiter mehr haben, stecken Sie Kolbenstangen auf, Ladestöcke, Wagendeichseln, Meßstangen – kurz alles, was Ihren schrecklichen Hunger nach künstlichen Landschaftsbildern zu stillen vermag, damit mein tobendes Gehirn und meine gemarterte Seele endlich Ruhe und Erlösung finden.«

      Völlig ungerührt, lächelte das eiserne Geschöpf nur freundlich, streifte sich die Manschetten vorsorglich zurück und sagte, jetzt wolle er sich dahinter machen, daß es eine Art habe.

      Seitdem sind drei Stunden vergangen und mir scheint, ich habe mich noch immer nicht genügend beruhigt, um mich aufs neue der Staatswirtschaft, meinem hohen Thema, wieder zuzuwenden. Ich kann jedoch dem Wunsch nicht widerstehen, wenigstens einen Versuch zu machen, denn von der ganzen Weisheit der Welt liegt meinem Herzen nichts so nahe und nichts beschäftigt meinen Verstand so sehr.

      »– wirtschaft des Himmels beste Gabe für die Menschheit sei. Als der lockere aber begabte Byron zu Venedig im Exil war, soll er die Bemerkung gemacht haben, daß, wenn ihm gestattet wäre zurückzukehren und

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