Ben Hur. Lewis Wallace

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Ben Hur - Lewis Wallace

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Kohorte machte Halt. Die Wachen sprangen von ihren Pferden und beeilten sich, ihren Befehlshaber mit ihren Schilden zu decken. Die Menge, die Zeuge des Vorfalles war, zweifelte nicht daran, daß der Wurf absichtlich geschehen sei, und jubelte dem Jüngling zu, der sich noch immer über die Brustwehr gebeugt hielt. Der Anblick des Unheils, das durch ihn entstanden war, und die Erwägung der Folgen, die ihm nur zu deutlich vor die Augen traten, hatten ihn wie betäubt. Ein böser Geist fuhr mit Blitzesschnelle längs dem Zuge von Dach zu Dach und erfaßte die Volksmenge in gleicher Weise. Die Leute legten Hand an die Brustwehren, lockerten die Ziegel und den sonngebrannten Lehm, woraus die Hausgiebel zum größten Teile gebaut waren, und begannen in blinder Wut Stücke davon nach den Legionären unter sich zu schleudern. Es entspann sich nun ein hitziger Kampf. Die Disziplin der Soldaten behielt, wie es vorauszusehen war, die Oberhand. Mit schreckensbleichem Antlitz hatte sich inzwischen Judah von der Brustwehr zurückgelehnt.

      »O Tirzah, Tirzah, ich habe den römischen Landpfleger getötet!« rief er aus. »Der Ziegel traf ihn, es war ein Zufall!«

      »Was werden sie uns tun?« fragte sie.

      Er blickte nach dem immer noch zunehmenden Tumult auf den Dächern und in der Straße und gedachte der drohenden Miene des Gratus. War er nicht tot, wo würde seine Rache innehalten? Und war er tot, zu welchen Wutausbrüchen würden die Ausschreitungen des Volkes die Legionssoldaten aufreizen? Um einer Antwort auszuweichen, beugte er sich abermals über die Brustwehr und sah gerade, wie die Leibwache dem Römer wieder auf das Pferd half.

      »Er lebt, Tirzah, er lebt! – Gepriesen sei der Gott unserer Väter!«

      Mit diesem Ausrufe trat er von der Brustwehr zurück und antwortete nun mit mehr Ruhe auf ihre Frage:

      »Sei unbesorgt, Tirzah! Ich werde ihnen erklären, wie es kam, und sie werden sich an unsern Vater und seine Verdienste erinnern und uns nichts tun.«

      Er führte sie in das Turmzimmer.

      Da erbebte das Dach unter ihren Füßen und man vernahm ein Krachen wie von stürzenden Balken und gleich darauf Schreckensrufe, die dem Anschein nach vom Hof heraufkamen. Er blieb stehn und horchte, die Rufe wiederholten sich. Die Soldaten hatten das nördliche Tor eingeschlagen und waren nun im Besitze des Hauses. Judah erkannte zu seinem Schrecken, daß man es auf ihn abgesehen habe. Für eine Flucht war es zu spät. Plötzlich hörte er die angsterfüllte Stimme seiner Mutter und lief eilends hinab.

      Die Terrasse oder Galerie am Fuße der Treppe war voll von Soldaten. Andere rannten mit gezückten Schwertern die Zimmer aus und ein. In einer Ecke kauerte dicht zusammengedrängt eine Gruppe von Frauen, die um Schonung baten. An einer andern Stelle rang eine Frau mit einem der Soldaten und suchte sich von ihm loszureißen, so daß dieser seine ganze Kraft anwenden mußte, um sie festzuhalten. Ihr Kleid war zerrissen; das Haar hing ihr in langen Strähnen über das Gesicht; ihre Rufe übertönten jeden andern Lärm, so daß sie deutlich vernehmbar bis zum Dache hinausdrängen. Die Angst beflügelte Judahs Schritte; mit einem Satze war er bei ihr.

      »Mutter, Mutter!« rief er aus. Sie streckte die Hand nach ihm, aber eben als er sie fassen wollte, wurde er ergriffen und zurückgerissen. Dann hörte er, wie jemand rief: »Der ist es!« Judah schaute um sich und erblickte Messala.

      »Was, dieser ist der Meuchler?« fragte ein stattlicher Legionär in prächtigem Waffenschmucke. »Er ist ja noch ein Knabe!«

      Die Liebe zu den Seinigen ließ Judah den Streit vergessen, den er mit dem Jugendfreunde gehabt hatte.

      »Hilf ihnen, Messala! Gedenke unserer Knabenzeit und hilf ihnen! Ich – Judah – bitte dich!«

      Messala tat, als hörte er ihn nicht. »Ich kann hier nicht weiter von Nutzen sein,« sagte er, zum Offizier gewendet. »Auf der Straße unten gibt es bessere Beschäftigung. Nieder mit Eros, hoch Mars!«

      Mit diesen Worten entfernte er sich. Judah verstand ihn, und in der Bitterkeit seiner Seele flehte er zum Himmel: »In der Stunde deiner Rache, o Herr, sei mein die Hand, die ihn treffen soll!«

      Mit Mühe konnte er sich einen Weg zum Offizier bahnen. »Herr,« rief er, »jene Frau ist meine Mutter. Verschone sie, verschone meine Schwester dort! Gott ist gerecht, er wird Barmherzigkeit für Barmherzigkeit erweisen.«

      Der Mann schien bewegt. »In den Turm mit den Frauen,« rief er; »aber tut ihnen kein Leid! Ihr seid mir für sie verantwortlich.« Dann wandte er sich zu denen, welche Judah festhielten, und sprach: »Holet Stricke und bindet ihm die Hände, dann führt ihn auf die Straße hinab. Seiner Strafe soll er nicht entgehn.« Die Mutter wurde hinweggetragen. Die kleine Tirzah war ganz betäubt vor Furcht und ging in ihrem Hauskleide ohne Widerstreben mit den Soldaten, welche sie fortführten. Judah warf einen letzten Blick auf beide und barg dann das Gesicht in seine Hände, als ob er sich ihre Züge unvertilgbar einprägen wolle. Vielleicht vergoß er auch Tränen, doch niemand sah sie. Die Ereignisse dieses Tages hatten in Judah eine plötzliche Umwandlung bewirkt, er war aus einem Jüngling ein Mann geworden. Mit entschlossenem Gesicht bot er seine Arme den Fesseln dar.

      Ein Trompetensignal erscholl im Hofe, die Soldaten sammelten sich. Als Judah hinabstieg, standen sie bereits in Marschordnung. Seine Mutter und Schwester sowie das gesamte Gesinde wurden durch das nördliche Eingangstor geführt, dessen Trümmer den Weg versperrten. Herzzerbrechend war das Weinen der Dienstpersonen, deren manche im Hause geboren waren.

      Als endlich auch die Pferde und der gesamte Viehstand des Hauses fortgetrieben wurden, begann Judah den ganzen Umfang der Rache des Prokurators zu erfassen. Das Gebäude und alles, was dazu gehörte, war ihr verfallen. Sollte es in Judäa noch andere geben, die so verwegen waren, auf die Ermordung eines römischen Statthalters zu sinnen, so sollte ihnen die Geschichte vom Schicksal der fürstlichen Familie Hur zur Warnung dienen.

      Der Offizier wartete draußen, indes eine Abteilung Soldaten das Tor einstweilen verrammelte. Auf der Straße hatte der Kampf beinahe aufgehört, die Legionäre standen größtenteils ruhig in Reih und Glied, sie hatten nichts von ihrem Glanze und ihrer Stärke eingebüßt.

      Seiner eigenen Lage vergessend, war Judah nur um die Gefangenen besorgt, unter denen er vergebens nach seiner Mutter und Schwester spähte. Da erhob sich plötzlich ein Weib von der Erde, wo sie sich niedergekauert hatte, und rannte zurück nach dem Tore. Vor Judah sank sie nieder und umfaßte seine Knie, ihr Gesicht war vom staubbedeckten schwarzen Haar, das wirr vom Kopfe herabfiel, fast ganz verhüllt.

      »O Amrah, gute Amrah,« sprach er, »helfe dir Gott. Sorge für Tirzah und meine Mutter! Sie werden zurückkehren und –«

      Ein Soldat zog sie weg. Sie sprang behende auf und eilte durch das Tor und den Gang in den leeren Hofraum.

      »Laßt sie nur!« rief der Offizier. »Wir werden Siegel an das Haus legen und es verriegeln; dann muß sie verhungern.«

      Die Soldaten nahmen ihre Arbeit wieder auf; als sie damit fertig waren, begaben sie sich nach der Westseite und verriegelten auch den dortigen Eingang. Der Palast der Familie Hur stand nun öde und leer.

      Die Kohorte marschierte nach der Burg zurück. Der Prokurator verweilte hier längere Zeit, um sich von seiner Verletzung zu erholen und über die Gefangenen Verfügungen zu treffen.

      Am folgenden Tage kam eine Abteilung Soldaten zum verödeten Palast. Die Ecken der Torflügel wurden mit Wachs versiegelt und an die Mauern ein Plakat geheftet, auf welchem in lateinischer Sprache die Worte standen: »Dies ist Eigentum des Kaisers.«

      Die selbstbewußten Römer waren überzeugt, daß diese einfache Ankündigung ihrem Zwecke entsprechen

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