Dombey und Sohn. Charles Dickens
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Nach dem Tee brachte Berry ein kleines Arbeits-Etui, auf dessen Deckel der königliche Pavillon zu sehen war, hervor und fing an, emsig zu arbeiten, während Mrs. Pipchin ihre Brille aufsetzte, ein großes, in grüne Leinwand gebundenes Buch herausnahm und zu nicken begann. Sooft aber Mrs. Pipchin sich darüber ertappte, daß sie gegen das Fenster vorbeugte und daran aufwachte, gab sie Master Bitherstone einen Nasenstüber, weil er gleichfalls genickt hatte.
Endlich war es für die Kinder Schlafenszeit, und nachdem sie ihr Gebet hergesagt hatten, wurden sie zu Bett gebracht. Da die kleine Miß Pankey sich fürchtete, allein im Dunkeln zu schlafen, so übernahm Mrs. Pipchin stets das Amt, sie in Person gleich einem Schaf die Treppe hinaufzutreiben; und es war gar erbaulich, mitanzuhören, wenn Miß Pankey noch lange hernach in der allerschlechtesten Kammer weinte und Mrs. Pipchin hin und wieder hineinging, um sie zu zausen. Um halb zehn Uhr brachte der Geruch von heißen Kalbsbrieslein (der Mrs. Pipchin gestattete ihre Konstitution nicht, ohne Kalbsbrieslein schlafen zu gehen) eine Abwechslung in die vorherrschenden Düfte des Hauses, die Mrs. Wickham als »Häusergeruch« bezeichnete, und bald nachher lag das ganze Kastell im Schlummer.
Am andern Morgen war das Frühstück wie der Tee am Abend vorher, nur mit der Ausnahme, daß Mrs. Pipchin statt der Röstschnitten eine Semmel verspeiste und nachher nur noch gereizter zu sein schien. Master Bitherstone las den übrigen laut einen Stammbaum aus der Genesis (von Mrs. Pipchin absichtlich ausgewählt) vor und kam über die Namen mit der Ruhe und Klarheit einer Person weg, die in einer Tretmühle arbeitete. Nachdem das geschehen war, wurde Miß Pankey fortgetragen, um gewaschen zu werden, und an Master Bitherstone nahm man etwas anderes mit Salzwasser vor, aus dem er stets sehr blau und niedergeschlagen zurückkehrte. Paul und Florence gingen inzwischen mit Wickham, die unaufhörlich in Tränen zerfloß, nach dem Gestade, und um die Mittagsstunde hielt Mrs. Pipchin abermals bei einer Vorlesung die Oberaufsicht. Es gehörte mit zu Mrs. Pipchins System, den kindlichen Geist sich nicht wie eine junge Blume entwickeln und ausbreiten zu lassen, sondern ihn mit Gewalt gleich einer Auster zu öffnen; denn die Moral solcher Vorlesungen trug gewöhnlich einen ungestümen und einschüchternden Charakter: der Held – ein böser Knabe – wurde in Mitte der Katastrophe selten durch etwas Geringeres als durch einen Löwen oder Bären abgetan.
So war das Leben bei Mrs. Pipchin. Am Sonnabend kam Mr. Dombey herunter – eine Gelegenheit, bei der Florence und Paul zu ihm nach seinem Hotel kommen durften und Tee erhielten. Auch den ganzen Sonntag blieben sie bei dem Vater und fuhren gewöhnlich vor dem Mittagessen mit ihm aus. Bei solchen Anlässen schien Mr. Dombey, gleich Falstaffs Feinden, sich sozusagen zu »multiplizieren« und aus einem einzelnen steifleinwandenen Menschen ein ganzes Dutzend zu werden. Sonntagabend war der trübseligste Abend in der Woche; denn zu solchen Zeiten schien Mrs. Pipchin es darauf abgesehen zu haben, besonders widerwärtig zu sein. Miß Pankey wurde in der Regel von einer Tante zu Rottendean in tiefer Betrübnis zurückgebracht, und Master Bitherstone, dessen Verwandte insgesamt in Indien waren, und der während der Gebete in aufrechter Haltung, den Kopf gegen die Zimmerwand gelehnt und ohne eine Hand oder einen Fuß zu rühren, dasitzen mußte, fühlte sich dabei in seinem jugendlichen Gemüt so niedergeschlagen, daß er eines Sonntags abends Florence fragte, ob sie ihm für den Rückweg nach Bengalen kein Mittel angeben könne.
Aber Mrs. Pipchin stand in dem Rufe, daß sie die Kinder systematisch zu behandeln wisse, und ohne Zweifel war das auch der Fall. Die wilden kamen zuverlässig zahm genug nach Haus, nachdem sie sich einige Monate unter ihrem wirtlichen Dache aufgehalten hatten. Auch sagte man sich allgemein, es machte Mrs. Pipchin große Ehre, daß sie, nachdem ihrem Mann durch die peruanischen Minen das Herz gebrochen war, sich dieser Lebensaufgabe gewidmet, ihre Gefühle zum Opfer gebracht und fortwährend gegen die Mühen ihrer Stellung so entschlossen standgehalten hatte.
Neben dieser exemplarischen alten Dame pflegte nun Paul in der Regel lange Zeit in seinem kleinen Armstuhl zu sitzen und ins Feuer zu schauen. Er schien nie zu wissen, was Müdigkeit war, so oft er einen festen Blick auf Mrs. Pipchin richtete. Zwar liebte er sie nicht und fürchtete sich auch nicht vor ihr. Aber in seinen wunderlichen alten Launen schien sie eine ganz eigentümliche Anziehung für ihn zu besitzen. Die Hände wärmend, schaute er nach ihr hin und schaute fort, daß sogar die Werwölfin bisweilen ganz verwirrt wurde. Als sie einmal allein waren, fragte sie ihn, an was er denke.
»An Euch«, versetzte Paul ohne den mindesten Rückhalt.
»Und was denkt Ihr von mir?« fragte Mrs. Pipchin.
»Ich mache mir Gedanken, wie alt Ihr wohl sein mögt«, sagte Paul.
»Von solchen Dingen müßt Ihr nicht sprechen, junger Gentleman«, versetzte die Dame. »Das schickt sich nicht.«
»Warum nicht?« sagte Paul.
»Weil es unhöflich ist«, versetzte Mrs. Pipchin schnippisch.
»Unhöflich?« fragte Paul.
»Ja.«
»Wickham sagt«, entgegnete Paul unschuldig, »es sei auch nicht höflich, alle Hammelrippchen und Röstschnitten allein zu essen.«
»Wickham«, erwiderte Mrs. Pipchin aufbrausend, »ist eine boshafte, unverschämte, dreiste Person.«
»Was soll das?« fragte Paul.
»Geht Euch nichts an, Sir«, entgegnete Mrs. Pipchin. »Denkt an die Geschichte von dem kleinen Knaben, der von einem tollgewordenen Ochsen totgestoßen wurde, weil er Fragen stellte.«
»Wenn der Ochse toll war«, sagte Paul, »wie konnte er wissen, daß der Knabe Fragen stellte? Niemand kann hingehen und einem tollen Ochsen Geheimnisse hinterbringen. Ich glaube nicht an diese Geschichte.«
»Ihr glaubt nicht daran, Sir?« wiederholte Mrs. Pipchin erstaunt.
»Nein«, sagte Paul.
»Auch nicht, wenn es zufälligerweise ein zahmer Ochse gewesen wäre, Ihr kleiner Ungläubiger?« erwiderte Mrs. Pipchin.
Da Paul den Gegenstand noch nicht in diesem Licht betrachtet und seine Folgerungen bloß auf die angeführte Mondsüchtigkeit der Ochsen gebaut hatte, so mußte er sich für den Augenblick zufrieden geben. Aber er brütete über dem Thema mit einer so augenscheinlichen Absicht, Mrs. Pipchin gleich wieder zu fassen, daß sogar diese zähe Dame es für ratsam hielt, sich zurückzuziehen, bis der Gegenstand vergessen wäre.
Von dieser Zeit an schien Paul für Pipchin ebensoviel Anziehungskraft zu haben wie Pipchin für Paul. Statt ihn auf der andern Seite des Feuers sitzen zu lassen, rückte sie seinen Stuhl auf ihre Seite hinüber, und da blieb denn Paul in einer Ecke zwischen dem Kamin und Mrs. Pipchin, alles Licht seines kleinen Antlitzes in die schwarzen Kleiderfalten vertiefend, jede Linie und Runzel ihres Gesichts studierend und das harte graue Auge in einer Weise durchbohrend, daß es Mrs. Pipchin bisweilen schloß, als ob sie schlummere. Mrs. Pipchin hatte eine alte schwarze Katze, die in der Regel mitten vor dem Kamin lag, wo sie aus reinem Privatvergnügen schnurrte und nach dem Feuer hinblinzelte, bis die zusammengezogenen Pupillen ihrer Augen wie zwei Ausrufungszeichen aussahen. Wie sie so zusammen bei dem Feuer dasaßen, hätte man die gute alte Dame – wir verwahren uns gegen alle respektwidrige Deutung – für eine Hexe und Paul nebst der Katze für ihre zwei vertrauten Geister ansehen können. Auch hätte es völlig zu der Szene gepaßt, wenn die ganze Gesellschaft in einer windigen Nacht einen Ausflug durch den Schornstein gemacht hätte, um nie wieder zurückzukommen.
So weit kam es nun allerdings nicht, sondern nach Einbruch der Dunkelheit sah man die Katze, Paul und Mrs. Pipchin stets an ihren gewöhnlichen Plätzen, und Paul, der die Kameradschaft des Master Bitherstone gerne mied, machte Abend für Abend seine Studien an Mrs. Pipchin,