Wir hatten mal ein Kind. Ханс Фаллада

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Wir hatten mal ein Kind - Ханс Фаллада

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       Immer mehr trieb er zum öden, verlassenen, urwaldhaften Bug hinüber, hinter dem Röhricht standen einsame Fichten – der Bauer war froh, als er in der Dämmerung das Fiddichower Posthaus in Sicht bekam, und er hatte alle Mühe, verklammt wie er war, das Boot ordentlich an Land zu bringen und zu vertäuen. Es knackte und krachte in seinem Rücken, als er sich aufrichtete zum Gehen, und die rechte Hand, die den ganzen Tag die Segelleine nicht hatte loslassen können, war gar nicht wieder grade zu bekommen.

      Aber kaum saß er im Posthaus bei den alten Gierkes, die froh waren, in ihrer Einsamkeit endlich einmal einen Menschen zu sehen, so fing er an, sich vorsichtig nach den Silberkühen zu erkundigen. Gradezu mochte er ja nicht sagen, daß er auf solcher Suche war, so berichtete er nur kurz, er fahre auf Stralsund zu einem Vetter, fragte dann nach Neuem und bekam wirklich mancherlei Nachrichten von der Insel Hiddensöe, wo die Winterstürme auf dem flachen Neuendorfer Ende, namentlich auf dem Gellen, schweren Schaden angerichtet hatten, ja, die ganze Insel sollte beinahe in zwei Stücke zerbrochen sein.

      Aber nichts von den Silberkühen – und als er nun selbst die Sprache auf das brachte, was man bei ihnen auf Fiddichow erzählte, da nickte die uralte Großmutter auf der Ofenbank und erzählte mit ihrer hellen Altweiberstimme: ja, sie wisse das wohl, sie gedächte dessen. Ihre Urahne schon habe ihr von den schlohweißen Silberkühen erzählt, früh, urfrüh, in ihren kleinsten Kindertagen. Und es seien die heiligen Kühe Friggas, der Gattin Odins, der Göttin der Fruchtbarkeit und des Hausstandes. Kein Mensch dürfe sie besitzen, wer sie aber einmal erschaue, dem gedeihe alles ausnehmend wohl, ihm wie seinen Kindern und Kindeskindern.

      Malte Gäntschow ging mit einem schweren Zorn hernieder auf seine Strohschütte, er war einen Tag gesegelt, um Sicheres zu erfahren, und er erfuhr alte Sagen von einem uralten Weib. Das war schlechte Vorbedeutung, und richtig, als er am nächsten Morgen in seinem Boot saß, war der Wind noch widriger als am Tage zuvor. Zudem ist es da eine besonders böse Ecke: ist man am Buger Haken vorbei, so kommt der Wind mit aller Gewalt von der hohen See über die Insel Hiddensöe fort und versucht die Boote nach Fährort zu treiben.

       Er mühte sich viele Stunden, zwischen Steinort und Hiddensöer Fährinsel durchzuschlüpfen. Aber es schien ganz umsonst, bis sich schließlich doch gegen Abend der Wind günstiger drehte und ihn durch die Enge in den Schaproder Bodden schoß. Hier, zum Schluß seines zweiten Fahrtages, fuhr er dahin mit Rückenwind, ohne die Segelleine anzurühren. Die Wellen klatschten Kumm! Kumm! an sein Boot, und erst in tiefer, von Sternen kaum durchleuchteter Dunkelheit ließ er sein Fahrzeug auf einem flachen Ufer auflaufen. Er meinte, er sei nun wieder auf der Insel Rügen gelandet, in Wahrheit aber hatte er auf der kleinen Schaproder Oie angelegt, die damals noch nicht mit dem Dorf Schaprode durch eine Brücke verbunden war, sondern ein ausnehmend düsterer, dick mit kurzem Kiefernwald und sparrigem Weidengestrüpp bestandener Erdenfleck war, auf dem zwei seltsame Menschen lebten.

      Es waren dies aber zwei alte Fräulein, Elfriede und Frieda Nipperwiese, Töchter eines zugrundegewirtschafteten und am Dauersuff dann verstorbenen Gutsbesitzers von der Halbinsel Mönchsgut. Von all seinem schönen ehemaligen Besitz hatte der Vater den beiden armen Unverheirateten nichts hinterlassen als dieses häßliche unbrauchbare Inselchen, das er einmal beim Trinken oder vielmehr im Betrunkensein einem Schaproder Bauern abgegaunert hatte. Jahre hindurch hatten die beiden alten verängstigten Mädchen den Niedergang der geliebten Heimat erlebt: die zerfetzten Strohdächer, die Wände, aus denen Fach um Fach fiel, die abgehauenen Prachtbäume, verkommende Äcker, schwindendes Vieh, Schandmähren statt Treckpferden, Wagen ohne Räder, leere Speisekammern, außer Betrieb gesetzte Butterfässer.

      Statt Freundschaft und Nachbarschaft waren schmutzige Händler mit Schafpelzen ins Haus gekommen, die laut und zornig, Papiere in der Hand, redeten und selten ohne ein Stück ihrer Habe fortgingen. Die Diensten waren in alle Welt gelaufen, da sie sich nicht mehr satt essen konnten, und statt ihrer waren Gerichtsboten mit Amtsmützen aufgetaucht, die ständig Stempelpapiere zur Unterschrift vorlegten und das Hoftor mit Versteigerungsankündigungen vollpflasterten. Was Wunder, daß sich die beiden alten Fräulein, von ihrem immer betrunkenen Vater, an dem sie mit unwandelbarer Liebe hingen, stets belogen, nicht mehr in dieser Welt zurechtfanden, daß sie glaubten, jeder Mensch sei ihr Feind, und daß sie mit einem wahren Aufatmen nach dem Tode ihres Vaters auf die kleine einsame Schaproder Oie flüchteten, auf die nie ein Mensch kam.

      Dort stand ein alter Viehstall mit einer Knechtekammer daneben, hier richteten sie sich mit den Resten ihrer Habe, einer halb verhungerten Kuh und ein bißchen Gartengerät ein. Sie brachen inmitten der Kiefernkuscheln ein Stück Roggenacker für sich um, dessen Körner sie in ihrer Kaffeemühle zu einem groben Mehl mahlten, sie führten am Strick die alte Kuh ins schilfige Ufergras, und sie waren in ihrer Einsamkeit so glücklich, wie es Menschen grade nach schweren Stürmen sein können.

      Aber es war, als gönne ihnen das Schicksal nicht einmal diese dürftige Einsamkeit. In Stralsund, im Kloster zur heiligen Anna, dem fast ein Viertel der Insel Rügen gehört, besann sich irgendein Schreiberling darauf, daß jenem Schaproder Bauern die Oie gar nicht gehört, sondern daß er nur ein Erbpachtrecht auf sie besessen habe. Da wurde sich hingesetzt, da wurde den beiden alten Damen ein Brief geschrieben, und als auf den Brief keine Antwort kam, verkündete man ihnen den Streit. Post- und Gerichtsboten wurden nun auf die kleine Insel mit ihren Schreiben und Zustellungen gesandt. Die beiden alten Mädchen glaubten indes, der Feindteufel lasse ihnen auch hier in der letzten Dürftigkeit, auf dem wüstesten Land, auf dem noch keiner hatte sitzen mögen, keine Ruhe, und sie gerieten zuerst in eine große Verzweiflung mit endlosen Tränen und viel Schluchzen. Später aber besannen sie sich auf ihren Kaufvertrag, holten ihn aus ihrer Truhe, besahen ihn, prüften ihn, lasen ihn, und kamen zu dem Ergebnis, daß es nur äußerste Bosheit ihrer Widersacher sein könne, ihnen ihr kleines restliches Erbgut nicht zu gönnen.

      An diesem Gedanken erstarkte der Mut der Schwachen, mit sich und ihrem Herrgott waren sie einig, und so erinnerten sie sich an einen urweltlichen Schießprügel ihres Vaters, der so verrostet und verkommen war, daß sich kein Käufer dafür hatte finden lassen wollen. Mit dieser verstummten und ungeladen bleibenden Donnerbüchse bewaffneten sie sich abwechselnd und hielten scharfe Wacht hinter den Kiefern auf der Inselseite gegenüber dem Dorf Schaprode.

       Der erste, der den kriegerischen Geist der Inselbewohner zu spüren bekam, war ein junger, nicht sehr heller Häuslerbengel aus Schaprode, den der Briefträger, dem längst das Gezeter der Inselbewohnerinnen über geworden war, mit der Besorgung eines Briefes betraut hatte. Kaum war sein Boot im seichten Inselwasser aufgelaufen, so sah er zu seinem Schrecken hinter einem Kiefernbusch ein altes wüstes Weib mit wilden weißen Haarzotteln im spitzen Gesicht hervorstürzen, eine Büchse schwingend und dabei wilde Schreie wie ein Raubvogel ausstoßend. Ehe er sich noch besonnen hatte, fühlte er den Flintenlauf auf der Brust, und eine fast geisterhafte Stimme befahl ihm, sich von hinnen zu machen und nie wieder diesen Strand zu betreten.

      Da der Bengel nicht eben zu den Mutigsten gehörte, so stieß er sein Boot mit solcher Gewalt vom Ufer ab, daß er beinahe mit einem einzigen Stoß das bergende heimische Schaproder Ufer erreichte. Um aber seine Niederlage vor einem alten Weibe dem Dorfgespött zu verheimlichen, machte er aus seiner Flucht ohne Gegenwehr einen wilden Kampf, bei dem ihm die Schrote nur so um die Ohren gepfiffen seien.

      In Schaprode kam man zu der Ansicht, daß die alten Hühner da drüben vollkommen verdreht geworden seien, und sandte den unbestellbaren Brief mit einem kurzen, aber inhaltvollen Bericht des Gemeindevorstehers an das Kloster zur heiligen Anna in Stralsund zurück.

      Aber ehe hierauf noch etwas erfolgte, hatte der Gerichtsbote Eleazar Zörrgiebel eine Zustellung bei den beiden Fräulein Nipperwiese anzubringen. Ganz ungewarnt nahte sich dieser gute, etwas behäbige Mann, mit seinem Boot von Udars kommend, dem Gestade der Oie, wo er auch noch das Unglück hatte, grade zur Ablösung der Wache zurecht zu kommen. Er sah sich also nicht einer, sondern beiden Nipperwiese gegenüber, dazu einem drohenden Schießeisen und einer an einem Strick

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