Wir hatten mal ein Kind. Ханс Фаллада
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Читать онлайн книгу Wir hatten mal ein Kind - Ханс Фаллада страница 10
Bei diesem Glitzern der Sonne fiel Justine das Treibholz ein, und da sie jetzt durch die Butte etwas höher über dem Wasser lag, so sah sie, daß es gar kein Treibholz war, kein von der Deckslast irgendeines Schwedenschoners heruntergerissenes Grubenholz, sondern ein Boot, und ein leeres Boot, schien es, dazu.
Nun, hierauf haben wir ja schon einige Zeit gewartet, und jetzt sind wir recht froh, daß Justine ihren leeren Kahn gesichtet hat, und auf ihn zuschwimmt, und hineinsieht, und dort auf dem Boden besinnungslos in Blut, Dreck und Sickerwasser ihren künftigen Gemahl entdeckt. Da haben wir den Salat, dachte sie verdutzt, und Onkel Walli fiel ihr sofort ein, der gleich sagen würde, daß so etwas nur beim Herumstreunen auf dem Wasser vorkommen könne.
Aber nach dieser anfänglichen Betrachtung hatte sie ja erst einmal für die nächsten paar Stunden zu viel zu tun, um sich weiteren beschaulichen Erwägungen hinzugeben. Manchmal ist es selbst vom Kinderstandpunkt aus ganz gut, wenn Eltern, Pastoren und Vormünder überängstlich mit ihren Schäflein sind. Justine wenigstens fand es für diesmal ganz schön, daß der liebe betrübte, zornige, dicke Onkel Walli am Solkendorfer Strand auf und ab lief, ganz wie eine Glucke, der man Enteneier zum Ausbrüten untergeschoben hat und die nun fassungslos ihre eigene Nachzucht abschwimmen sieht. Als die Flotte einfuhr – die Waschbalje natürlich im Kielwasser –, wollte der Vormünder wohl blitzen und donnern und spucken, aber Justine sagte bloß: Kiek eins, Onkel Walli! – Und da dachte Onkel Walli, als er den besinnungslosen, aber ansehnlichen jungen Menschen liegen sah, vielleicht genau wie Justine vor einer Stunde: Da haben wir den Salat!
Aber auch hier war wieder zu Betrachtungen wenig Zeit, und keine zehn Minuten, da zog auf einer improvisierten Bahre der junge Gäntschow in Justines Hof ein. Onkel Walli aber hatte sogar an einen Rock für das junge Mädchen gedacht, sie hätte es ja wohl rein vergessen, in welchem Aufzug oder Auszug sie da einher ging.
Wenn aber nun Onkel Walli geglaubt hatte, er könnte jetzt den so geheimnisvoll Verletzten dem Doktor Benzin und den alten Tanten des Hofs überlassen, so war er wieder einmal falsch davor gewesen: Justines Platz war an diesem Bett. Sie hatte ihn gefunden. Während sie den Kahn mit ihrem kleinen Tröpfelruder heimwärts trieb, hatte sie den ganzen Weg lang einen recht guten Ausblick auf den jungen Mann gehabt. Da hatte er so gelegen, bleich, mit einem fast strengen Gesicht, das dichte dunkle Haar in der Stirn.
Gesprochen hatte er auch, aber es waren fliegende, flüchtige Worte gewesen, nur den Ton von Angst und Ungeduld hatte sie erfaßt. Nein, er war ihr Heimbringsel, und die alten Tanten mochten vor der Krankenstube tun, was sie wollten, in ihr hatte sie das Wort. Und der Kranke. Sie das leise, er das laute.
Je weiter die Nacht vorrückte, um so mehr, um so heftiger sprach er. Er mußte es bei geschlossenen Augen in den Gründen des Fiebers fühlen, daß er nicht mehr in einem von den Wellen gewiegten Kahn saß, sondern in einem Bette lag.
Ja? fragte sie wohl, über ihn geneigt, wenn er gar zu ungeduldig sprach. Wohin willst du?
Nichts, unkenntliche Wortfetzen. Die Hände laufen über die Bettdecke, Justine hat es, erst bei ihrem Vater, dann bei ihrer Mutter gesehen, daß die Hände so unruhig werden, die Sterbenden graben sich ihr Grab, sagt man. Sie nahm die beiden festen, gebräunten, verarbeiteten Hände zwischen die ihren. Erst suchten sie zu entwischen, dann beruhigten sie sich, das wilde Reden wurde seltener, er schlief wohl ein. Auch sie schlief ein.
Sie erwachte von seinem Blick. Er saß halb aufrecht im Bett und starrte sie verwundert an. Seine Stirn war zusammengezogen, als denke er fast schmerzhaft nach.
Bist du wach geworden? fragte sie.
Hast du die Silberkühe? fragte er.
Die Silberkühe?
Ja doch, die Silberkühe, sagte er ungeduldig. Über sein Gesicht ging wieder jener Ausdruck von Qual und Ungeduld, der sie schon im Boot erschreckt hatte.
Lege dich nur hin, sagte sie tröstend. Es kommt alles zurecht.
Er setzte sich mit einem Ruck ganz grade. Wenn auch du nicht die Silberkühe hast, muß ich weiter. Und wie zu sich: Sie sieht aus, als müßte sie sie haben. Aber sie hat sie auch nicht. – Er sah nach der Tür.
Leg dich doch bloß hin, bat sie nochmal. Das muß dir doch weh tun, das Sitzen.
Ja, es tut weh, sagte er. Wieso tut es eigentlich weh?
Jemand hat dich wohl mit einer Forke gestochen? fragte sie.
Mit einer Forke gestochen –? Dann erinnerte er sich. Ja, ich weiß wieder. In der Nacht. Es waren Hexen, sie wollten mich umbringen, weil ich die schwarzweiße Kuh gesehen habe, eine Herenkuh. Aber die silberne hatten sie auch nicht.
Das Mädchen machte einen großen Fehler. Es sagte: Wir haben auch schwarzbunte Kühe.
Schwarzbunte? Herenkühe? So sieht sie nicht aus. Und Silberkühe habt ihr nicht?
Nein, sagte Justine etwas ungeduldig. Und nun leg dich wieder hin, sonst wirst du noch kränker.
Aber statt sich hinzulegen, nahm er die Beine über den Bettrand. Sein Gesicht glühte von Fieber, seine Augen blickten flackrig. Plötzlich begriff sie, daß er weit fort in tiefem Fieber war, daß er kaum noch etwas sah von seiner Umwelt. Angst faßte sie, sie lief zur Tür, sie rief ins Treppenhaus: Onkel Walli! Tante Bertha! Ernstine! Erna!
Niemand rührte sich, es war die tiefste Schlafensstunde, die Uhr ging auf drei.
Als sie sich umwandte, war der Kranke schon auf den Beinen und in den Hosen. Er schien sie nicht zu sehen, er murmelte vor sich hin, aber sie verstand nicht. Sie verstand wohl, in welch schlimmer Lage sie mit ihm war, daß er wirklich fort wollte und daß sie ihn nicht halten konnte. Da verfiel sie in ihrer Besorgnis auf eine List, und sie befragte ihn: Was für Silberkühe sind denn das, zu denen du mußt?
Er drehte ihr langsam den Kopf mit den tiefliegenden, fieberglühenden Augen zu, er hörte auf, sich weiter anzuziehen, er fragte: Ja?
Sie wiederholte ihre Frage.
Friggas Kühe, sagte er. Die heiligen Kühe im Silberhaar, mit dem Silberhuf, mit dem Silberhorn. Er setzte hinzu: Sie geben zwanzig Liter jeden Tag.
Ja, sagte sie. Und wo sollen die sein?
Sein Gesicht bekam einen hilflosen Ausdruck. Ich suche, sagte er dann.
Komm, sagte sie. Leg dich wieder hin. Wenn du erst wieder gesund bist, suchen wir gemeinsam. Und sie legte den Arm um ihn, damit er wieder zum Bett ging.
Er drückte den Arm fort, als sei er ein dünner Zweig. Ich muß suchen, sagte er, und sein Gesicht sah böse aus. Sie redete auf ihn ein, er antwortete gar nicht mehr. Sie fragte noch einmal nach den Silberkühen, er antwortete gar nicht mehr. Noch einmal rief sie ins Treppenhaus: die schliefen.
Sie war so hilflos, sie konnte nichts gegen sein Fortgehen tun, ach, sie mußte ihn sogar noch dabei unterstützen. Als sie sah, wie sich seine fieberischen Hände mit den Hosenträgern abmühten, daß er die warme Strickweste anzuziehen vergaß, da half sie ihm. Und als er oben auf dem dunklen Gang nicht zurechtfand, da half sie ihm wieder mit der Lampe. Und sie half ihm weiter, auf der Treppe, auf dem Hof, an dem bläffenden Tyras vorbei.
Während sie