Die gelbe Schlange. Edgar Wallace

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Die gelbe Schlange - Edgar Wallace

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Lynne wußte darum, aber er schien es nicht zu verurteilen.

      »Ich habe das kleine Haus hier in der Nähe – ›Slaters Cottage‹ heißt es doch wohl – genommen«, sagte Clifford in seiner seltsam abgerissenen Art. »Ein unheimliches Loch, aber mir sagt es zu. Zu meinem Schrecken sehe ich, daß ich Ihren Teppich beschädigt habe.«

      Dabei sah er düster auf die Spuren der Tragödie, die sich vorhin abgespielt hatte.

      »Immerhin, Schlangen haben gar kein Recht, auf Teppichen herumzukriechen«, sagte er erleichtert, als ob er froh wäre, eine Entschuldigung dafür zu finden, daß er hier diese Unordnung angerichtet hatte.

      Mr. Narth machte ein langes Gesicht.

       »Sie werden hier wohnen?« fragte er, und schon hakte er auf der Zunge, dem Fremden den Rat zu geben, bei seinen späteren Besuchen durch den Dienstboteneingang zu kommen. Aber irgend etwas hinderte ihn daran, diese unhöfliche Bemerkung auszusprechen. Einen Mann, der ein so großes Verbrechen so gleichgültig übersah, der todbringende Waffen bei sich trug, die er so schnell gebrauchen und wieder verschwinden lassen konnte, daß kein menschliches Auge eine Bewegung seiner Hand sah, durfte man nicht ungestraft beleidigen. Deshalb sagte er:

      »›Slaters Cottage‹ ist eigentlich kein angenehmer Aufenthalt für Sie. Es ist nicht viel besser als eine Ruine. Das Anwesen wurde mir neulich für hundertzwanzig Pfund angeboten. Ich habe es aber abgelehnt –«

      »Da haben Sie sich ein gutes Geschäft entgehen lassen«, sagte Clifford Lynne ruhig. »Da drinnen steht nämlich ein Kamin aus der Tudor-Zeit, der diese Summe zweimal wert ist.«

      Während er sprach, hatte er fast geistesabwesend auf Joan geblickt.

      »Ich würde gar nicht erstaunt sein, wenn ich mich in ›Slaters Cottage‹ dauernd niederließe«, fügte er fast belustigt hinzu. »Dort ist eine hübsche Spülküche, wo die Frau einem die Wäsche waschen kann, auch drei ziemlich gute Räume sind vorhanden – wenn erst einmal die Rattenlöcher zugestopft sind. Ich persönlich allerdings habe gar nichts gegen Ratten.«

      »Und ich liebe sie direkt«, sagte Joan kühl, denn sie hatte sofort die Herausforderung gemerkt und gab sie schnell zurück.

      Für eine Sekunde schien der leise Schimmer eines Lächelns in seinen Augen aufzublitzen.

      »Also, ich wohne hier. Aber seien Sie nicht traurig, daß Sie deswegen Ihr Ansehen einbüßen könnten. Ich werde nur selten hier vorsprechen.« Dabei spitzte er den Mund. »Solch ein Chinesenschuft! Natürlich sah mich der Kerl hereinkommen und lieferte seine Sendung gleich ab. Er konnte es ja auch gar nicht vorher tun, sonst hätten sie die Bewegungen des Tieres in dem Kasten gehört. Oder die Schlange wäre gestorben – es waren keine Löcher in dem Deckel.«

      Mr. Narth räusperte sich.

      »Wollen Sie uns glauben machen, daß dieses Reptil in böser Absicht gegen Sie losgelassen wurde?«

      Clifford Lynne betrachtete ihn belustigt.

      »Eine lebendige Giftschlange ist meiner Meinung nach kein Geburtstagsgeschenk,« sagte er höflich, »und ich hasse Gelbköpfe – sie können tödlich verletzen!« Mit plötzlicher Energie schlug er sich auf den Oberschenkel und lachte. »Warum hat er das wohl getan? Natürlich! ›Gelbe Schlange‹! Ich bilde mir nicht ein, daß er das vergessen hat!«

      Wieder suchten seine Augen das Mädchen.

      »Sie werden einen netten, lustigen Mann bekommen ... Ich behielt Ihren Namen nicht ... Joan, nicht wahr? Ich dachte, daß die Joans alle verheiratet seien, aber vielleicht denke ich dabei an die Dorothys! Sie sind ungefähr einundzwanzig Jahre alt, nicht wahr? Alle Joans sind ungefähr einundzwanzig Jahre alt und alle Patricias ungefähr siebzehn, und die meisten Mary Anns beziehen eine Alterspension.«

      »Und alle Cliffords spielen Theater«, gab sie zur Antwort.

      Diesmal lachte er wirklich. Es war ein leises, angenehmes und kultiviertes Lachen, das so gar nicht im Einklang mit seinem verbotenen Äußeren stand. Ein ganz anderer, neuer Mensch schien sich unter dem abstoßenden, rauhen Gewand zu verbergen.

       »Was fällt Ihnen ein, was sagen Sie da?« er drohte scherzend mit dem Finger. »Aber ich habe die Antwort verdient.«

      Er langte plötzlich tief in seinen kuriosen Rock, brachte eine große Messinguhr hervor und sah nach der Zeit.

      »Sie geht nicht«, sagte er entrüstet. Nachdem er sie energisch geschüttelt hatte, hielt er sie ans Ohr. »Wieviel Uhr ist es jetzt?«

      »Sechs«, sagte Mr. Narth.

      »Ich wußte, daß es nicht mittags halb eins sein könnte«, sagte der Besucher ruhig und stellte die Zeiger richtig. »Ich komme wieder. Ich will mir für den Augenblick ein Logis in London mieten. Aber ich werde morgen oder einen Tag später wieder hier sein. – Gehören Sie zur Kirche von England?«

      Diese Frage hatte er an Joan gerichtet, die bejahend nickte.

      »Auch ich gehöre so etwas dazu,« sagte Mr. Lynne, »aber ich schwärme auch für Weihrauch und gute Musik. Auf Wiedersehen, Dorothy!«

      »Sie meinen Agnes«, sagte Joan. In ihren Augen war wieder ein schalkhaftes Lächeln. Sie streckte ihre Hand aus und fühlte, wie er sie kräftig schüttelte. Er würdigte keines der anderen Familienmitglieder eines solchen Grußes und verabschiedete sich mit einem Nicken, das für alle galt. Dann ging er rasch aus der Tür in die Halle. Mr. Narth dachte, daß er fort sei. Gerade wollte er anfangen zu sprechen, als der bärtige Mann wieder in der Türe erschien.

      »Kennt einer von Ihnen einen Herrn mit Namen Grahame St. Clay?« fragte er.

      Blitzartig erinnerte sich Mr. Narth an die Konferenz, die er heute morgen gehabt hatte. »Ach ja, ich kenne einen Herrn Grahame St. Clay. Allerdings nicht genau – aber einer meiner Direktoren ist ein Freund von ihm«, sagte er. Clifford zog die Augenbrauen hoch.

      »So – er kennt ihn?« sagte er ruhig. »Und Sie haben ihn noch nie gesehen?«

      Mr. Narth schüttelte den Kopf.

      »Morgen abend können Sie mir erzählen, was Sie über ihn denken.«

      »Aber ich werde ihn wirklich nicht treffen«, sagte Mr. Narth.

      »Doch, Sie werden ihn sicher sehen«, sagte Clifford leise. Wieder zeigte sich ein Schein von Mißtrauen in seinen klaren, blauen Augen. »Bestimmt, Sie werden St. Clay sehen, denselben St. Clay, der die gelbe Rasse hochbringen will!«

      Im nächsten Augenblick war er fort, indem er die Haustür hinter sich zuschlug. Er war wirklich ein Mann mit etwas heftigen Manieren, wie Mr. Narth feststellen konnte.

      »Gott sei Dank, daß ich ihn nicht heirate«, sagte Mabel, und Letty, die sich kaum von ihrem Anfall erholt hatte, stimmte ihr zu.

      Nur Joan sagte nichts. Sie war verwirrt, aber der fremde Mann war ihr sehr interessant, und sie fühlte nicht die geringste Furcht.

      6

      Am Ende des Fahrweges, der von der Landstraße zum Hause führte, stand Mr. Clifford Lynnes Wagen. »Wagen« ist vielleicht ein etwas zu ehrenvoller Name für die Maschine, die er einige

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