Trojanische Hühner. Ado Graessmann
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In diesem Jahr kam der Herbst früher als sonst, obwohl es erst Anfang Oktober war, lag schon früh am Morgen ein weißer Schleier auf den Wiesen, in der Nacht hatte es den ersten Frost gegeben. Man konnte förmlich sehen, wie sich die Kälte von den Bergen herunter wälzte, die Berge, sie bilden die Grenze zum Nachbarland, einige sind fast zweitausend Meter hoch. Keiner von uns war je bis zu den Bergspitzen hinauf gestiegen, was sollten wir auch dort oben, Fremde wurden dort schon seit Jahren nicht mehr gesehen, die kamen auch nicht mehr. Die Bergspitzen waren schon seit einigen Wochen mit Schnee bedeckt, bei Sonnenuntergang verfärbt sich der Horizont immer leicht rötlich und der Schnee glitzert weithin sichtbar, auch in der späten Dämmerung besteht noch ein leichtes Leuchten, ganz oben, wo fast keine Bäume mehr wachsen, an den Bergspitzen. Bis zur nächsten Stadt sind es etwas mehr als fünfzig Kilometer. Zuerst bilden sich dunkle Wolken die zunächst oben hängen bleiben, sie verhüllen die Gipfel, dann gleiten sie langsam an den Hängen herab, wie Lawinen die sich um die eigene Achse drehen, um dann nach und nach langsam nach unten hinab zu sinken, sie ziehen bis in das Tal hinein und mit ihnen kommt auch immer die Kälte. Am späten Nachmittag erreichen sie die Höfe die weiter unten am Ende des Tales liegen, dann sind die Berggipfel wieder frei und Nebel liegt dicht über der Erde, nicht höher als einen halben Meter, die eigenen Füße sind kaum noch zu sehen, es fühlt sich an, als würde man durch einen kalten Bach waten.
Was hinter den Bergen liegt und wie es dort aussieht, weiß keiner von uns so genau, nie hatte einer vom Dorf hinüber geblickt, über die Gipfel, in das andere Tal, keiner hatte jemals einen der Bewohner von dort gesehen, die sprechen angeblich anders als wir, die Leute im Nachbartal, im anderen Land, sie sollen aber auch den Koran in den Händen halten, so wird es wenigstens erzählt, zumindest dies haben wir gemeinsam mit den anderen.
Die Menschen hier in der Gegend sind alle Bauern und Farmer, von Reichtum keine Spur, die meisten von ihnen züchten Hühner, die tagsüber frei auf den Wiesen und Feldern herum laufen und dort nach Futter suchen, Zäune gibt es keine, Wölfe die früher manchmal in der Gegend auftauchten, wurden alle schon vor einigen Jahren erschossen, auch die Füchse lassen sich nicht mehr sehen.
Erst kurz vor der Dämmerung kommen die Hühner zurück in ihre Ställe, sie werden nicht gerufen, sie kommen von selbst, sie kennen den Weg und sie wissen, wann dort in ihren Trögen Futter für sie zu finden ist. In den Ställen ist es auch wärmer als auf den Wiesen, sie hocken auf ihren Stangen und rücken enger zusammen, so wird es noch molliger für sie. Nach Sonnenuntergang wird ihr Gegacker immer leiser, bis daraus so eine Art von Sing-Sang wird, und später, ja, dann sind sie alle stumm, bis zum nächsten Morgen. Schon bevor die Sonne aufgeht, sind sie wieder zu hören, zuerst das Krähen der Hähne, wie zur Bestätigung dass sie noch da sind, und ihr Gegacker ist nicht mehr so zart wie am späten Abend zuvor, es klingt etwas herausfordernd und selbstsicher, auf den Höfen braucht keiner einen Wecker, sie stehen mit den Hühnern auf.
Cave ist einer der Farmer, das Wichtigste was er besitzt, sind seine Hühner, auch einige Ziegen und eine alte Kuh gehörten ihm, die Milch die sie geben reichte gerade mal so für den eigenen Bedarf. Sein Hof liegt am weitesten von der Stadt entfernt und ist den Bergen am nächsten, er ist der Jüngste, er hat noch drei Brüder und eine Schwester.
Alle Farmer des Tales gehören zu einer Sippe, den Hamudas. Seine Schwester hatte vor einigen Jahren einen Neffen geheiratet, die züchteten auch Hühner, wie alle Familienmitglieder, ihre Farm ist die nächstgelegene, etwas südlich von Cave, nur einige Kilometer entfernt, von seinem Grundstück aus kann er die Gehöfte der anderen nicht sehen, das Tal macht unterhalb seiner Farm eine Biegung nach Westen und Berge versperren den Blick in das weitere Tal. Sein ältester Bruder hatte als erster eine Farm gegründet, nahe an der Stadt, er ist zehn Jahre älter als Cave.
Die wesentlichen Einnahmen der gesamten Sippe sind die Hühnereier, die Hamudas verkauften täglich mehr als zwanzigtausend Eier und versorgten damit die Stadt und den ganzen Bezirk. Kurz vor Sonnenaufgang kommt immer ein Lastwagen aus der Stadt, alle kennen den Fahrer, es ist immer der Gleiche, schon seit Jahren, ein älterer Mann, er sammelt die Eier ein, in Kisten verpackt, je hundert Stück. Zuerst die von Cave, meistens sind es fünfzig Kisten, seine Farm ist die kleinste, sein ältester Bruder liefert den größten Anteil ab. Geld bekommen sie zunächst nicht, der Fahrer übergibt ihnen nur eine Quittung, erst Ende des Monats erfolgt die Zahlung.
Einmal im Monat wählt Cave etwa hundert Hühner zum Schlachten aus, so bleibt sein Bestand konstant, meist sind es die älteren Tiere, solche, die nicht mehr so richtig legen wollten, trotzdem ist ihr Fleisch noch zart und bekömmlich. Die Hühner bringt er selbst in die Stadt, zum Markt, mit seinem alten Lastwagen, lebend in kleinen Holzkisten. Dort kennt er seit Jahren einen Händler, der alle seine Hühner auf einmal abnimmt und Cave dafür direkt bezahlt, nach dem Tagespreis, verhandelt wurde bisher nie, mit dem Geld kauft Cave meist Sachen, die seine Familie dringend benötigt, die er nicht selbst herstellen kann.
Heute, an seinem dreißigsten Geburtstag war Cave wie immer weit vor Sonnenaufgang aufgestanden, noch bevor die Hühner sich rührten, er hatte sich einen Eimer mit kaltem Wasser über den Kopf geschüttet, Wasser gibt es hier im Überfluss, am Fuß des Berges hat sich ein kleiner See gebildet, der durch das Schmelzwasser gespeist wird, das Wasser ist auch im Sommer noch immer eiskalt aber klar wie Kristall, am südlichen Ende des Sees befindet sich ein Ablauf, dort bildet sich ein Bach, der sich langsam am Hang entlang schlängelt und hinter dem Haus verläuft. Etwas Wasser leitet Cave davon über einen schmalen Kanal in einen Brunnenschacht hinein, so hat er immer genügend davon, auch im Sommer, wenn für einige Wochen kein Regen fällt.
Während der Schneeschmelze wird der Bach immer etwas breiter, das klare Wasser tritt über die Ufer, nimmt die Farbe der Erde an, füllt er seine Hände damit und hält sie gegen die Sonne, dann sieht es so aus, als würden tausend Diamanten darin tanzen. Doch zu einer richtigen Überschwemmung kam es bisher nie, das Wasser staut sich nicht weiter auf, es fließt immer durch das Gefälle rasch weiter ins Tal hinab, wird dort zu einem breiten Fluss, der auch die Stadt mit Wasser versorgt.
Nachdem er den Kopf mit einem Handtuch abgetrocknet hatte, sammelte Cave die noch warmen, frisch gelegten Eier ein, verpackte sie sorgfältig in die leeren Kisten, die der Fahrer am Vortag abgeladen hatte.
Ein kleiner heller Streifen am Horizont verdrängte die Finsternis, wurde langsam breiter und ließ die Berggipfel erscheinen. Vor Caves Augen herrschte noch Dunkelheit, aber das Licht wird schon bald mit aller Macht die Dunkelheit durchbrechen. Er trug nur ein Hemd, hatte eine alte ausgeblichene Jeans an, Jeans die waren eigentlich verboten, aber wer sollte dies hier oben schon kontrollieren, dafür war er auch zu unbedeutend, als dass sich jemand darum gekümmert hätte. Er hatte weder Socken noch Schuhe an, er liebte den direkten Kontakt mit der Erde, auch wenn er sich manchmal dadurch kleine Verletzungen zuzog, an spitzen Steinen oder an abgeschnitten Grashalmen. Im Herbst mähte er und seine Frau immer das Gras, als Futter für seine Tiere im Winter.
Seine Füße konnte er noch nicht sehen, aber jede ihrer Bewegungen hören, wie ein zartes Rascheln, das die Stille der Morgendämmerung durchbricht.
Der Hof lag geräuschlos im Schatten unter ihm, selbst seine Hühner schliefen noch, alle waren lautlos. Da es noch sehr früh war, und er nichts weiter zu tun hatte, setzte er seinen Spaziergang in Richtung Berge langsam fort.
Eine Eidechse saß regungslos vor ihm auf einem Stein, Kopf und Schwanz nach oben gestreckt, sie wartete wohl auf die aufgehende Sonne um sich aufzuwärmen, als er leicht mit dem Fuß gegen den Stein stieß, war sie plötzlich verschwunden, sein Blick verlor sich in der Dunkelheit des beginnenden Tages.
Er hatte für seine Verhältnisse viel erreicht, seitdem er als sechzehnjähriger mit Nasrim, der gleichaltrigen Tochter seines Onkels, verheiratet wurde.
Sein Vater hatte sechs Brüder und drei Schwestern, alle waren verheiratet